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Es tut mir leid.

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„Ich habe genug!", schreit Brendon wütend und stampft wie ein kleines Kind mit einem Fuß auf den harten Untergrund. Seine Hände sind zu Fäusten geballt und seine Brust hebt sich heftig. Das Blut rauscht in seinen Ohren, als er zusieht, wie sich seine Geliebte noch näher an ihren Verlobten drängt. Aus lauter Angst hat May ihre Augen weit aufgerissen und zittert am ganzen Körper.

„Du brauchst Hilfe.", murmelt Harry und verstärkt seinen Griff um ihre Hilfe. Sein Blick ist auf den Boden vor ihnen gerichtet und er schluckt hart. Er muss all seinen Mut zusammennehmen, um dem Menschen, der ihm all das Leid zugefügt hat, in die Augen zu sehen. Doch schließlich überwindet er sich und schreit Brendon an: „Du bist ein kranker Bastard! All die Monate, die ich in einer beschissenen Klinik verbringen musste, getrennt von May habe ich dir zu verdanken."

Er schiebt seine Verlobte zur Seite und macht einen Schritt auf sein gehasstes Gegenüber zu. Mit einem Finger zeigt Harry auf dessen Brust und setzt fort: „Ich hätte schon damals in der High-School wissen müssen, dass du gestört bist. Du bist einfach nur ein psychopathischer Stalker, der es nicht wahrhaben kann, dass sein Opfer mit einem anderen glücklich ist. Deine Vorstellung vom Lieben und Leben ist bereits so abgefuckt, dass du fernab von jeglicher Realität lebst."

„Ich kann dich nicht hören.", wiederholt Brendon wie ein Kind mehrere Male, während er sich beide Handflächen auf die Ohren presst. Er kneift seine Augen fest zusammen und schüttelt den Kopf. „Du bist einfach nur neidisch, dass May zu mir gehört.", fügt er hinzu, kaum hörbar für das Pärchen.

Dennoch stellt May sich neben Harry und platziert eine Hand auf dessen Oberarm. „Bitte, Brendon, du brauchst Hilfe. Verstehe doch endlich, dass die Realität nicht so aussieht, wie du es dir vorstellst.", redet sie eindringlich auf den Mann vor sich ein, hoffend auf eine Einsicht seinerseits.

Ebenfalls hofft sie, dass die Passanten endlich die Szene bemerken. Dass Menschen durch die Rufe aufmerksam werden und einschreiten. Es sollen endlich Polizeisirenen ertönen und Blaulicht sichtbar werden.

Doch niemand beachtet das Drama, das direkt vor der Kirche stattfindet. Der langsam durchdrehende Stalker kann weiterhin seinen Anfall ausleben, seiner Wut freien Lauf lassen, während zwei sich liebende Menschen nur mehr um ihre Leben fürchten. Weiterhin steht ein Mörder inmitten des breiten Gehweges, die kalte Klinge des Messers, versteckt in seinem rechten Ärmel, wartet nur auf ihren Einsatz.

Nicht einmal die Bodyguards greifen ein, obwohl sie ein ungutes Gefühl in ihren Mägen verspüren.

„Ich habe genug von dir, May Richards! Ich hasse dich so sehr, dass ich den Drang verspüre, dich zu lieben. Du hast mein Leben zerstört und darfst jetzt ruhig zusehen, wie das deines Geliebten zugrunde geht.", fährt Brendon die Frau an, welche erschrocken nach hinten weicht.

Sie hebt abwehrend beide Hände neben ihren Kopf und fleht ihn an: „Überlege dir noch einmal, ob es das wirklich wert ist. In der Realität wartet bestimmt eine Frau auf dich, die dich bedingungslos lieben wird. Du musst jetzt niemanden verletzen."

Kopfschüttelnd lacht Brendon auf, purer Hass wird spürbar für jeden Anwesenden. „Ich habe schon längst meine Entscheidung getroffen, geliebte May Richards.", raunt er und richtet sich in seiner vollen Größe auf.

„Sag Lebewohl."

Und plötzlich ertönt ein Schuss, gefolgt von einem herzzerreißenden Schrei. Menschen werden auf das Geschehen aufmerksam, wenden ihre Gesichter zu der Gruppe. Sie sehen zu, wie ein Körper leblos auf den Boden fällt und eine Blutlacke den betonierten Untergrund dunkelrot färbt. Wie eine andere Person sich auf die Knie wirft und die Leiche packt.

„Verlasse mich nicht! Bitte bleib bei mir!"

Zwei starke Arme schlingen sich um einen schmalen Oberkörper und ziehen diesen zu sich. Ein lautes Schluchzen ertönt, welches jedem Beobachter das Herz zerreißt. Tränen bahnen sich ihre Wege über Wangen und tropfen schließlich auf den Stoff, der den toten Körper bedeckt.

„Wir wollten doch glücklich sein."

Doch sie hört ihn nicht mehr.

Sie hört seine Bitten, ihn nicht zu verlassen nicht mehr. Sie hört gar nichts mehr.

Nie wieder wird sie ihm in seine grünen Augen sehen können und ihm sagen, dass er sich nicht um sie sorgen muss. Nie wieder muss er sich um sie Sorgen.

Denn der Moment ist gekommen, an dem ein Engel, der so lange gekämpft hat, zugrunde gegangen ist. May Richards ist tot.

„Du darfst mich nicht auch noch verlassen. Bitte, tu mir das nicht an. Jeder geht, bitte nicht auch noch du.", schluchzt Harry und umarmt den Leichnam seiner Geliebten. Er hält sie ganz nahe bei sich, in der Hoffnung, dass er vielleicht doch ihren Herzschlag hört.

Aber es gibt keine Hoffnung für ein Herz, das mit einer Kugel durchlöchert wurde.

Und plötzlich ertönen Sirenen. Die Menschen um Harry herum haben die Initiative ergriffen, doch leider zu spät. Die Liebe seines Lebens kommt nicht mehr zurück.

„Ihr müsst sie wiederbeleben. Macht euren verdammten Job und bringt sie wieder zurück!", schreit Harry die Sanitäter an. Er legt May auf den Boden und drückt mit beiden Händen auf ihr Herz. „Sie kann wieder leben. Ihr müsst sie wiederbeleben!"

Er sieht in ihre Augen, in deren Funkeln er sich einst verliebt hat. Doch jetzt sieht er nur mehr den Tod, der May ihm entrissen hat.

„Es tut mir leid, aber wir können ihr nicht mehr helfen. Eine Schusswunde direkt in das Herz ist tödlich.", teilt einer der Sanitäter das Offensichtliche mit und macht Harry damit erst bewusst, was geschehen ist.

Und daher schreit er.

Harry lässt den ganzen Schmerz, der droht, sein Herz zu zerreißen, heraus, hörbar für alle Passanten. Er krümmt sich zusammen, sein Gesicht direkt über dem seiner Verlobten. Es tut ihm weh.

Plötzlich wird er von ihr weggezogen, kann nicht reagieren.

„Nein, lasst mich bei ihr, ich darf sie nicht verlassen! Bringt mich auch um, ich will bei ihr sein.", ruft Harry aufgebracht und versucht, sich aus den Griffen der Menschen zu reißen. Er schlägt um sich und schreit wieder und wieder.

Doch auch dies wird nichts mehr daran ändern, dass May Richards tot ist.

Gestorben durch eine Kugel, die ihm gegolten hat, die ihn umbringen sollte. Abgefeuert von einem Mann, dessen Leben sich um sie gedreht hat.

Und jetzt ist sie tot, genauso wie Harrys Familie. Er ist jetzt alleine.

„Ich werde mich umbringen! Im Himmel wird mich niemand mehr von May trenne wollen, ich weiß das. Ich werde zu ihr zurückkehren.", lässt er die Menschenmenge wissen. Sein Blick bleibt auf ihrem Körper, der soeben von einer schwarzen Decke zugedeckt wird. Die Blutlacke um sie herum lässt ihn würgen, er will all seine Emotionen aus seinem Körper schaffen.

Bis eine Nadel in seinen Hals gerammt wird und er betäubt wird. Dann ist alles schwarz.

Unfreeze / h.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt