20-May

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Ich stelle den Pizzakarton auf den Esstisch aus Mahagoni und setze mich anschließend auf den Sessel gegenüber von Harry. Dieser hat seinen Blick nicht mehr von der Holzplatte gehoben, seitdem er Platz genommen hat. Seine Lippen bleiben fest aufeinander gepresst und seine zerkratzten Unterarme hat er versteckt, damit ich sie nicht ansehen kann. Seufzend schiebe ich das Essen ein kleines Stück in seine Richtung und fordere ihn auf: „Iss, solange die Pizza noch warm ist."

„Ich habe nicht besonders viel Hunger.", murmelt er und starrt weiterhin nur auf den Tisch. Seufzend beuge ich mich über diesen und hebe mit zwei Fingern sein Kinn an, damit er mich ansieht. Widerwillig hebt er seinen Blick und endlich schauen mich zwei trübe, grüne Augen an. Ich neige meinen Kopf schief zur Seite und lächele ihn aufmunternd an. „Das ist deine Lieblingspizza. Iss wenigstens ein oder zwei Stücke davon.", argumentiere ich und setze mich wieder auf meinen Sessel.

Harry nickt und öffnet zögerlich den Pizzakarton. Anschließend nimmt er ein Stück der Pizza in beide Hände und bittet mich: „Erzähle mir etwas. Diese Stille ist unerträglich." „Über was soll ich denn reden?", frage ich nach und sehe ihm zufrieden zu, wie er einen großen Bissen macht. Wie früher reißt er seinen Mund weit auf und streckt seine Zunge heraus, um die Nahrung aufzunehmen. Unwillkürlich lache ich kurz auf, glücklich darüber, dass sich wenigstens seine Essgewohnheit nicht verändert hat.

„Das Thema lasse ich dich entscheiden.", antwortet er mit vollem Mund und sieht mich abwartend an. Während ich noch immer überlege, was ich erzählen soll, schluckt er den nun zerkauten Bissen Pizza herunter und fügt etwas hinzu, was mein Herz einen Schlag aussetzen lässt: „Zum Beispiel kannst du mir sagen, wer Brendon Urie und was er mit dir zu tun hat."

Entsetzt starre ich ihn an, wie er nur weiterhin sein Essen zu sich nimmt und mich nicht mehr ansieht. „Woher kennst du ihn?", forsche ich vorsichtig nach, woraufhin Harry nur mit einer Schulter zuckt und das Stück Pizza in seiner Hand langsam komplett in seinem Mund verschwinden lässt. Er wischt sich mit den schmutzigen Fingern über seine Jogginghose und legt danach beide Hände flach auf die Tischplatte.

„Er hat mir heute Vormittag einen Besuch abgestattet, anscheinend auf der Suche nach dir. Außerdem hat er mir noch einmal verdeutlicht, dass ich nur eine Last für dich bin.", erklärt Harry mir. Als ich ihn nur weiterhin mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen anstarre, fügt er noch hinzu: „Ich soll dir übrigens von ihm ausrichten, dass du mehr Respekt gegenüber deinem Boss haben sollst."

Beschämt wende ich meinen Blick ab, verwundert und wütend zugleich, weshalb dieser Bastard namens Brendon Harry besucht hat. Er weiß, dass ich unter der Woche an Vormittagen niemals zu Hause bin, sein Ziel war definitiv, meinen Verlobten alleine anzutreffen. Mit seinen Worten hat er schlechte Gedanken in Harry aufkeimen lassen, wodurch dieser gegenüber von mit sitzt mit zerkratzten Unterarmen und roten Augen.

„Willst du wirklich wissen, wer er ist? Ich möchte dich nicht damit belasten, du hast andere Dinge, um die du dich sorgen musst.", will ich wissen, während ich meinen Blick wieder hebe und ihm direkt in die Augen sehe. Zögernd nickt er und verschränkt seine Arme miteinander. Er lehnt sich nach hinten und fordert mich stumm auf, zu erzählen. Also mache ich dies auch: „Brendon ist mein Boss. Er hat mich an dem Tag, an dem ich dich zum letzten Mal gesehen habe, angeredet als ich wütend und traurig zugleich durch die Straßen gestapft bin. Anfangs hat er nett gewirkt, hilfsbereit sogar.

„Er war wie ein Kumpel, mit dem man über alles reden konnte. Aber im Nachhinein weiß ich, dass er keinerlei guten Absichten hatte. Er hat mir Joints angeboten, mich dazu gezwungen, gemeinsam mit ihm high zu werden. Damals war es zwar eine gute Ablenkung von den Problemen, die mir nach und nach förmlich die Luft zum Atmen nahmen. Aber natürlich war nicht alles nur super, wie die Drogen mir das Gefühl gaben. Ich habe meine Nebenjobs verloren und war kurz davor, auf der Straße zu leben, damit ich deinen Aufenthalt in der Klinik bezahlen konnte.

„Da hat Brendon mir angeboten, seine persönliche Drogendealerin zu werden. Seitdem muss ich mich in dunklen Seitengassen herumtreiben, in schäbige Bars gehen und mich mit einem verdammten Baseballschläger verteidigen, damit die Junkies mich nicht umbringen, um an ihre Suchtmittel zu gelangen. Aber mittlerweile habe ich mich an all das gewöhnt, ich kriege mehr als genug Geld dadurch, was in dem Fall das Wichtigste ist."

Fertig mit meiner stark zusammengefassten Erzählung sehe ich Harry wieder in die Augen, auf eine Reaktion seinerseits wartend. Er atmet hörbar aus und presst seine Lippen für einige Momente fest aufeinander. Anschließend fragt er ganz leise, sodass ich mich anstrengen muss, ihn zu hören: „Wieso hat er dich geschlagen?" „Weil ich ihm nie das gegeben habe, was er eigentlich von mir wollte.", antworte ich knapp, in der Hoffnung, dass Harry nicht weiternachfragen würde.

Aber die neugierige Seite von Harry kommt zum Vorschein, als er raunt: „Was will er von dir?" Sein Blick ist starr auf mich gerichtet und seine Miene wirkt todernst. Allein seine derzeitige Ausstrahlung lässt Gänsehaut auf meinen Armen entstehen und mich erschaudern. „Brendon will Liebe und Sex von mir. Er möchte, dass ich dich verlasse, um mit ihm mein Leben zu verbringen. Als er mich letztens besucht hat, habe ich mich wieder gewehrt und ihm gesagt, dass ich dich niemals für ihn fallen lassen würde. Da ist er durchgedreht und hat mich zusammengeschlagen. Anschließend hat er mich vor meiner eigenen Haustür liegen lassen.", erkläre ich ihm und bemerke, dass seine Hände zu Fäusten geballt sind.

Wie in Zeitlupe steht Harry auf und geht um den Tisch herum, geradewegs auf mich zu. „Du willst mir gerade allen ernstes sagen, dass dieser Mann dich schlägt, weil du nicht mit ihm vögeln willst, dich zu den Drogen geleitet hat und sich auch noch mir gegenüber wie ein großspuriges Arschloch benimmt?", zischt er mich an und stellt sich direkt vor mich. Schwer schluckend nicke ich, woraufhin er hinzufügt: „Das wolltest du vor mir geheim halten? Nachdem du mir weißmachen wolltest, dass ich offen zu dir sein soll?"

Abermals nicke ich und traue mich nicht, aufzustehen, um mit ihm auf einer Augenhöhe zu sein. Leise murmele ich: „Du musst auf dich schauen, dich nicht um mich kümmern. Ich dachte -" „Du denkst nicht nach, das ist hier das Problem!", unterbricht Harry mich schreiend.

„Ändere sofort deinen Ton mir gegenüber. Ich habe keine Lust, von dir angeschrien zu werden, nachdem mein Arbeitstag schon beschissen genug war.", fahre ich ihn an, während ich aufstehe. Angriffslust lässt seine Augen funkeln, als er mich provoziert: „Sonst was? Willst du etwas zu diesem Brendon rennen?"

Ich dränge mich wortlos an ihm vorbei, während ich die Tränen, die nur darauf warten, über meine Wangen zu fließen, zurückhalte. „Wohin gehst du?", ruft Harry mir nach, als ich die Küche verlasse. Ohne mich zu ihm umzudrehen steige ich die Treppen hinauf und erspare mir eine Antwort. Er weiß, wo er mich findet, sobald er sich wieder beruhigt hat.

Unfreeze / h.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt