02-May

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„Das Püppchen ist wieder hier!", schreit jemand, als ich die Bar betrete und ich muss mir ein Grinsen verkneifen. Alle Blicke liegen auf mir, während ich den Raum durchquere, und ein paar der Männer pfeifen mir hinterher. Mein Griff verstärkt sich um meinen Baseballschläger und ich lasse diesen locker hin und herschwingen. Mit der anderen Hand fahre ich mir durch meine kurzen Haare, die mir geglättet nicht mehr über die Schulter reichen. Schließlich komme ich an dem Vorhang an, der mich in das hinterste Zimmer der Bar bringt. Mit dem Holz meiner Waffe, die mir natürlich nur als Verteidigung dient, klopfe ich an dem Türrahmen an und schiebe den Stoff ohne zu warten zur Seite.

Alle Männer starren mich an, als wäre ich die Polizei, die ihre dreckigen Spielchen auffliegen lassen will. Einer von ihnen richtet sein großes, altmodisches Gewehr auf mich und ich hebe abwehrend beide Hände neben meinen Kopf. „Ach, komm' schon, Louis. Willst du mich wirklich erschießen?", necke ich ihn lachend, woraufhin er seine Augen verdreht und mich stumm zu ihm winkt.

Er zieht mich an der Taille zu sich und drückt mir einen Kuss auf die Wange. Anschließend ruft er in die Runde: „Unsere geliebte May ist von ihrer geheimen Mission zurück!"

Die restlichen Männer grölen wie unzivilisierte Tiere und pfeifen wie die Verrückten. Sie widern mich mit ihrem Verhalten und ihrem Aussehen an. Die Meisten von ihnen haben seit Wochen keine Dusche mehr gesehen, manche sogar seit Monaten, weil ihnen Hygiene zu unwichtig erscheint. Ihr einziges Ziel ist, sooft wie möglich der Realität zu entfliehen mit der Hilfe von Spritzen, Pillen und Pulver. Wie sie an diese Mittel gelangen, interessiert sie nicht, sie würden über Leichen gehen, um wieder high zu sein. Mir ist auch bewusst, dass sie auch über meinen toten Körper steigen würden, wenn ich ihnen nicht das gebe, was sie wollen und mittlerweile, trauriger Weise, auch brauchen.

Denn ich gebe ihnen ihre Spritzen, Pillen und Pulver. Ich gebe ihnen ihre Flucht vor der Realität, wo sie schon längst von der Gesellschaft verstoßen wurden. Für die breite Masse sind sie nur Junkies, die es nicht schaffen, ihr Leben auf die Reihe zu bekommen. Doch hinter diesen dreckigen Menschen ohne jegliche Manieren steckt viel mehr. Man muss nur hinter ihre Fassade blicken und man sieht ihre Vergangenheit, die sie so sehr prägt, dass sie sich vor ihr verstecken müssen. Mit der Hilfe von Drogen.

Ich kenne ihre Geschichten, von jedem Einzelnen. Einer von ihnen wurde von seinen alkoholsüchtigen Eltern misshandelt und geschlagen, woraufhin er mit erst 16 Jahren von Hause weggerannt ist. Unglücklicherweise ist er in die Arme eines Dealers gelaufen, wodurch er nun direkt vor mir kniet und mich um seine Spritze anbettelt. John hat seine Hände gefaltet, als würde er mich anbeten, sein ganzer Körper zittert. Der Entzug von seiner geliebten, verehrten Droge breitet sich schon in seinem System aus und es würde nicht lange dauern, bis er deshalb durchdrehen würde. Ich strecke meine freie Hand zu ihm aus und fordere ihn emotionslos auf: „Geld her, sonst gebe ich dich nichts, außer meinem Schläger in deinem Gesicht."

Um ihm meine Worte zu verdeutlichen wedele ich meine Waffe direkt vor seinen Augen herum und sehe stumm zu, wie er panisch in seinen Taschen herumkramt. Ich schlucke das Mitgefühl und den Kloß in meinem Hals herunter, da ich mir Schwäche nicht mehr leisten kann. Wenn ich Empathie zeigen würde, würden sie alle mich zerstören, physisch sowie psychisch. Daher habe ich mir schon vor langer Zeit angeeignet, meine Gefühle gewissermaßen abzuschalten, sobald es um Geschäft geht.

„Ich habe nur so viel, aber ich kann dir das restliche Geld morgen zurückgeben.", murmelt John und wiederholt den Satz zwei weitere Male, ein Symptom seines Entzuges. Er hält mir drei Geldscheine hin, welche ich mit einem Nicken aus dem Griff seiner Finger ziehe und mir in meinen Ausschnitt stecke. Ich krame in den Taschen meiner Jacke herum, bis ihm schließlich seine Droge vor die Füße werfe. Verwirrt runzelt er die Stirn beim Anblick der Dosierung und fragt nach: „Wo ist der restliche Stoff?"

Ich wende mich von ihm ab und lasse mich neben Louis auf das schmutzige Sofa fallen. „Du hast mir Geld gegeben und ich habe dir die entsprechende Menge gegeben.", antworte ich ihm und beuge mich nach vorne, um eine Zigarette von dem kleinen Tisch zu nehmen. Ich platziere mir diese zwischen die Lippen und drehe mich zu dem Mann neben mir, der mir sofort ein Feuerzeug hinhält und sie anzündet. Tief atme ich den Qualm ein und klemme mir anschließend den Glimmstängel zwischen Zeigefinger und Ringfinger, um ihn von meinem Mund zu entfernen. Während ich den Rauch kräftig ausblase, höre ich Johns Stimme: „Aber das ist nicht genug, ich brauche mehr."

„Es tut mir leid, Schätzchen, aber das sind die Regeln. Ich arbeite nicht mit Schulden.", erkläre ich ihm, woraufhin er schnell aufspringt und sich an einem der anderen Männer klammert, um nicht umzufallen. Er zeigt mit einem Finger auf mich und schreit: „Aber ich brauche diesen Stoff!"

Ich zucke mit den Schultern und nehme noch einen Zug von der Zigarette. „Das ist mir egal. Kein Geld, kein Stoff.", lasse ich den Mann wissen und schließe entspannt die Augen. Da ich weiß, dass Louis aufpasst, dass mir niemand zu nahekommt, konzentriere ich mich einzig und allein auf den Rauch in meinen Lungen, der mir heute ein komisches Gefühl gibt.

Schlagartig richte ich mich wieder auf und werfe den Stängel auf den Boden. Während ich mit einem Fuß diesen zerdrücke, drehe ich mich zu Louis und frage diesen panisch: „Was war in dieser Zigarette?"

Gelangweilt, wohl eher viel zu entspannt, starrt er auf den Boden vor ihm und verzieht seinen Mund zu einem breiten Grinsen. Sein Blick wandert wieder zu mir und er erklärt mir kichernd: „Das war keine normale Zigarette. Herzlichen Glückwunsch, du hast gerade einen herrlichen Joint verschwendet, indem du ihn auf dem Boden zerdrückt hast."

Ich stehe schnell auf und verlasse den Raum, ohne mich von irgendjemandem zu verabschieden. Meine Muskeln werden immer entspannter und ich spüre, wie mein Handy in meiner Hosentasche vibriert. Genervt ziehe ich das Gerät hervor und drücke, ohne auf den Bildschirm zu blicken, auf den grünen Knopf. Ich lehne mich an den Bartresen und zische in den Apparat: „Was willst du?" „Oho, ist da jemand heute mit dem falschen Fuß aufgestanden?", lacht eine Männerstimme und ich kann mir vorstellen, wie Liam grinst.

„Ich bin nicht in der Stimmung, herumzuscherzen. Was willst du?", raune ich, während ich das Lokal verlasse und die Sonnenstrahlen mich blenden. Trotz der Droge in meinem System, die mich verwirrt, verstehe ich seine Worte klar und deutlich, für einen Moment bewirkt er sogar, dass ich mich wie nüchtern fühle: „Es geht um Harry. Er hat gegen den Mörder ausgesagt und möchte dich jetzt sofort sehen."

Unfreeze / h.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt