22-May

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Also fahren wir an den Strand. Nur wenige Minuten später, nach einer gewissen Überredungskunst meinerseits, sitzen wir in meinem Auto. Anfangs ist Harry mehr als skeptisch gewesen, die Sorge, dass er etwas Unpassendes machen könnte oder er mich – sowohl körperlich als auch verbal – verletzen könnte, ist in ihm fest verankert. Die Male, die er mich schon vor mehr als einem Jahr bedroht hat, sind noch immer so präsent in seinem Gedächtnis, als wären sie erst vor wenigen Tagen geschehen.

Aber ich beschließe, für diesen Abend, diese eine Nacht das alles zu vergessen. Denn ich möchte Harry wieder glücklich sehen, möchte wissen, ob sich noch immer der Mann, den ich unsterblich liebe, hinter Medikamenten und Traumas versteckt. Ich will diese Person hervorlocken, indem ich etwas anbiete, was an unsere schöne Vergangenheit erinnert, was ihm damals Spaß gemacht hat.

Er soll wieder lachend durch den Sand laufen, unzählige Male stolpern und wie ein Kartoffelsack hinfallen, seine tollpatschige Seite zum Vorschein bringen. Er soll zu den Wellen rennen und durch diese klitschnass werden, bis er wehleidig zu mir kommt und er herummotzt, dass ihm zu kalt ist. Wenn ich dann meine Augen verdrehe und ihm erkläre, dass er selber schuld an der Gänsehaut auf seinen Armen ist, soll er mich umarmen und meine Kleidung ebenfalls befeuchten.

Harry soll wieder unbeschwert leben.

Daher parke ich, einige Zeit und viel zu vielen, grottigen Karaoke-Versionen unserer Lieblingslieder später am nächstgelegenen Parkplatz direkt neben dem Strand. Vor unseren Augen geht gerade die Sonne unter und färbt den Himmel orange. In Erinnerungen schwelgend starre ich durch die Frontscheibe direkt auf das Meer, bis Harry mich vorsichtig mit seinem Zeigfinger am Oberarm berührt. „Wollen wir an die Küste?", fragt er, während er mich verlegen ansieht.

Schnell nicke ich und steige aus dem Auto aus. Während ich darauf warte, dass Harry meine Aktion nachahmt, werfe ich einen kurzen Blick auf mein Handy. Ein ungutes Gefühl breitet sich in meinem Magen aus, als ich sehe, dass Brendon mich während der Fahrt beinahe durchgehend angerufen hat. Am liebsten würde ich mich übergeben, denn es hat noch nie gut geendet, ihn auf etwas warten zu lassen, sei es nur ein Anruf.

Doch als Harry mich abwartend ansieht, ein gewisses Funkeln in seinen Augen, werfe ich mein Handy achtlos auf den Fahrersitz und werfe die Tür schwungvoll zu. Nachdem ich das Auto abgeschlossen habe, gehe ich direkt auf ihn zu und greife nach seiner Hand. Überrascht sieht er mich an, als wäre es unüblich, mit seinem Verlobten Händchen zu halten, und langsam ziehen sich seine Mundwinkel nach oben, bis er mich breit angrinst.

„Willst du mich noch weiterhin wie das achte Weltwunder anglotzen, oder willst du auch auf den Strand?", fahre ich ihn halb scherzend, halb genervt an und ziehe eine Augenbraue nach oben. Harry murmelt beschämt eine Entschuldigung und blickt zu Boden, während er sich gleichzeitig mit mir in Bewegung setzt. Sofort treten Schuldgefühle in mir ein, da ich seine gute Stimmung nicht dämpfen wollte und es trotzdem getan habe. Deshalb drücke ich ihm schnell einen Kuss auf die Wange und beschleunige mein Tempo. Ich ziehe ihn hinter mir her und rufe mit einer gespielten Freude: „Jetzt komm doch endlich!"

Wie von mir gewünscht und herbeigesehnt, erreicht wenig später der schöne Klang von Harrys Lachen meine Ohren und lassen mich entspannen. Er reißt sich die Schuhe von den Füßen, um den Sand auf seiner nackten Haut zu spüren und läuft zu dem wellenreichen Wasser. Seine von Skinny Jeans bedeckten Beine kommen in Kontakt mit dem höchstwahrscheinlich eiskalten Wasser, doch das scheint ihn nicht zu stören. Einige Augenblicke später dreht er sich wieder zu mir um und sieht mich grinsend an. Ich brauche keine Worte, die aus seinem Mund kommen, um zu verstehen, was er vorhat. Doch noch bevor ich ihm schreiend und mit den Armen herumwedelnd mitteilen kann, dass er mich in Ruhe lassen soll, rennt er auf mich zu und hebt. mich hoch. Er dreht sich schnell um die eigene Achse, um genau zu sein so schnell, dass nach der ungefähr dritten Umdrehung sein Rücken mit dem sandigen Boden in Berührung kommt und ich nun auf ihm liege. Seine Brust vibriert durch das Gelächter, in das er noch lauter als zuvor ausbricht. Neben seinen Augenwinkeln bilden sich Lachfalten und die Grübchen in seinen Wangen sind so tief wie schon lange nicht mehr.

Ebenfalls lachend vergrabe ich mein Gesicht an seinem Hals und atme seinen Duft ein, der mich komischerweise genau in diesem Moment an Heimat erinnert. Ich spüre seine Arme um meine Taille und wie er einen federleichten Kuss auf meinen Haaransatz haucht, sobald er sich wieder einigermaßen beruhigt hat. Mit einer Hand streicht er mich langsam und sanft über meinen Rücken und zum ersten Mal, seitdem ich ihn wieder sehe, habe ich kein Problem mit einer Berührung von ihm.

„Weißt du, worauf ich gerade Lust habe?", raunt Harry direkt neben meinem Ohr und bringt mich somit dazu, ihn verwirrt sowie abwartend anzusehen. Ein schiefes Grinsen ziert sein Gesicht und bevor er mir verbal antwortet, zieht er mit einer Hand meinen Kopf schnell zu seinem hinunter, sodass unsere Lippen aufeinandertreffen. Er fährt mir durch die Haare und zieht das Haarband aus diesen, sodass meine Locken auf seine Wangen fallen. In den langen, intensiven Kuss hinein seufzend bewege ich meine Arme so, dass meine Fingerspitzen in Berührung mit seinem Hals kommen. Ich fahre über die sensible Haut und entlocke somit ein leises Stöhnen aus Harrys Mund. Außerdem spüre ich seine Handflächen auf meinem Po und wie sie diesen sanft massieren.

Eine gefühlte Ewigkeit später lösen wir uns von einander, beide außer Atem. Ich lehne mich mit meiner Stirn gegen seine und durch die Nähe spüre ich seinen warmen Atem und wie dieser aus seinem leicht geöffneten Mund entflieht. Wie in Zeitlupe öffnet Harry seine strahlend grünen Augen und blickt mir mit diesen direkt in meine. „Lass uns ein Hotel für die Nacht suchen.", schlägt er hauchend vor, das Funkeln in seinen Augen verrät mir, was er dort vorhat.

Während er mich noch immer abwartend anstarrt überlege ich, ob mein gesundheitlicher Zustand mir über zulässt, Harrys Wünschen nachzugehen. Doch dann streichelt Harry mir mit seinen Fingerspitzen über meinen unteren Rücken und beginnt, zarte Küsse an meinem Hals zu platzieren. Er saugt leicht an meiner Haut, genau an meinem Schwachpunkt, den nur er kennt.

Also gehe ich das Risiko ein, dass ich während meines Höhepunkts heute Nacht an einem Hustenanfall sterbe oder dass meine angeknackste Rippe brechen könnte. Ich drehe mit zwei Fingern Harrys Kopf so, dass ich kurz unsere Lippen aufeinandertreffen lassen kann und raune anschließend: „Dann lass uns schnell ein Hotel mit dicken Wänden suchen."

Unfreeze / h.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt