Kapitel 51

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Mir bleibt echt die Spucke im Hals stecken und ich kann nur völlig geschockt auf die Stelle gucken, die geschätzt 50 Meter von mir entfernt liegt. Mein Herz fängt an komisch zu pochen und ich löse langsam meinen Blick von seinem Arsch. Lasse ihn weiter nach oben gleiten und wende mich letztlich von ihm ab. Starre stattdessen meinen Bruder an, der ihn anstrahlt wie ein Honigkuchenpferd. Vorbei ist es wohl mit der Loyalität. Aber was will man von einem 8-Jährigen erwarten? War klar, dass das mit der Zeit so kommen musste. Schließlich ist Marcos Status bei ihm höher, als der von Gott. Zumindest kommt es oft so rüber.

Ich kann spüren, wie mein Magen kribbelt und in mir macht sich ein ausgeprägter Fluchtinstinkt breit. Ja, ich muss hier weg und zwar schleunigst. Mir bleibt nur zu hoffen, dass mein Kommen bis jetzt unbemerkt geblieben ist. Man muss ja dem arroganten Saftsack nicht die Genugtuung geben, dass ich mich von ihm in die Flucht schlagen lasse. Wäre ja noch schöner. Also ducke ich mich ganz unauffällig, was äußerst bekloppt kommen muss, da vor mir nichts ist außer Wiese, und ich drehe mich um. Will wieder zurück zu meinem Auto und dort überlegen, wie das hier weitergehen kann. „Kimmy!", ertönt es in schriller Tonlage und ich mache wieder kehrt, tue so, als wollte ich gar nicht davonlaufen und setze ein falsches Lächeln auf. Mein Bruder winkt wie ein Irrer und ich vermeide es, in Marcos Gesicht zu blicken, das nun ebenfalls in meine Richtung zeigt. Keine Hinteransicht mehr. Schade.

Diese Situation hier; die beinhaltet das Böseste vom Bösesten. Das perfekte Horrorszenario und ich gehe in Gedanken sämtliche Möglichkeiten durch, wie ich mich da wieder rauswinden kann. Aber mir fällt keine ein. Gar nichts. Mein Kopf ist wie leergefegt und ich muss sogar meine Füße daran erinnern, dass sie sich bewegen müssen. Kann der sich nicht einfach irgendwie in Luft auflösen? Das wäre das Beste. Doch er bleibt an Ort und Stelle stehen und beobachtet mich, wie ich den kleinen Kiesweg zu den beiden nach oben laufe. Es ist aussichtslos. Ich stecke da jetzt mittendrin und hoffe, dass ich meine spitze Zunge nicht verschluckt habe. Die werde ich brauchen. Davon bin ich absolut überzeugt.

Mein Herz hämmert von Meter zu Meter lauter und ich habe meinen Blick stur auf Johnny haften, dessen Augen wieder und wieder zwischen Marco und mir hin und her gleiten. Wenn er was damit zu tun hat und verantwortlich dafür sein sollte, dass der hier ist, dann werde ich meinen Bruder zu Hackfleisch verarbeiten. Da kann er sich sicher sein.

Natürlich bleibe ich auch noch am Absatz hängen, der Kiesweg und Teer Weg voneinander trennt und ich schaffe es gerade noch so, dass mein Stolpern halbwegs elegant aussieht. Mein Kopf muss trotzdem feuerrot sein und seufze, als ich bei den beiden Jungs ankomme. Noch immer habe ich meine volle Aufmerksamkeit auf meinen Bruder gerichtet und bin ganz cool dabei, den Typen daneben zu ignorieren. Ja, ignorieren ist gut. Das ist die Taktik. So tun, als wäre er nicht da. Alles andere würde mich gerade mehr als überfordern. „Können wir dann?", frage ich und kann aus dem Augenwinkel erkennen, wie Marco mich mustert. Mein Bruder grinst nur blöd und haut sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Uch", macht er, „da hab ich wohl meine Sporttasche vergessen." Zack. Weg ist der. Rein durch die Tür und mich zurückgelassen ohne Alibi. Ohne eine Möglichkeit dem aus dem Weg zu gehen, was mir schier den Verstand raubt. Hackfleischverarbeitung wäre noch zu nett. Da muss ich mir was anderes einfallen lassen. Das hier stinkt meines Erachtens mächtig nach Verschwörung.

Mein Herzschlag wird wieder schneller und ich wische unauffällig meine feuchten Handflächen an meiner Jeans ab. Ich versuche mein inneres Chakra wieder auszugraben, beschließe, dass es besser wäre, hier ganz erwachsen mit der Situation umzugehen und schnaufe tief durch. „Was zur Hölle hast du denn hier zu suchen?", zische ich, während ich mich zu ihm umdrehe und halte augenblicklich die Luft an, als ich direkt in seine Augen blicke. War wohl nix mit erwachsen. Ich kann nix dafür. Seine reine Anwesenheit, die Tatsache, dass er dieselbe Luft einatmet wie ich, macht mich rasend. Das ist wie ein Mechanismus. Ich bin machtlos dagegen.

Regenbogen [Marco Reus]Where stories live. Discover now