Kapitel 48

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Mir bleibt die Spucke weg und ich erstarre einfach. Ich kann mich nicht bewegen und hoffe somit, dass er mich nicht auf dem Absatz der Treppe erkennen kann. Vielleicht falle ich nicht auf, wenn ich einfach still stehen bleibe. Zumindest ist das der Plan, der im ersten Moment auch zu funktionieren scheint. „Hey, Partner. Ist Kim auch da?", sagt er an meinen Bruder gerichtet und streckt ihm die Faust entgegen, die er skeptisch betrachtet und anschließend seine Arme vor der Brust verschränkt. „Nein. Es hat sich ausgepartnert", mosert Jonny los und ich zucke zusammen, als Conny sich zu mir dreht, nur um mich wieder mitleidig anzusehen. Ehe ich irgendwas dagegen tun könnte, setzt sie sich in Bewegung und augenblicklich richtet sich Marcos Aufmerksamkeit auf mich. Hat der Sehnsucht nach meiner Hand? Auf seinem Gesicht? Oder was führt ihn hierher?

Meine Knie fühlen sich an wie Wackelpudding und ich halte noch immer an meiner Theorie fest, dass es besser ist, weiterhin Stein zu spielen. Mir fällt auch erst jetzt auf, dass ich die Luft angehalten habe und ich japse leise nach Sauerstoff. Conny schnappt sich meinen Bruder und schleift diesen unter Prostest hinter sich her. Es kommt mir vor, als stünde die Zeit still und dabei müssen erst bereits wenige Sekunden verstrichen sein. Mein Herz stolpert kurz und wieder stockt meine Atmung, als meine Augen an dem Mann im Türrahmen hängen bleiben. Er stützt sich mit einer Hand an dem Holz ab, die andere steckt in seinem Nacken und sein Gesicht wirkt irgendwie total verbeult. Ich blinzle ein paar Mal, vermeide es direkt in seine Augen zu blicken und verschränke meine Arme vor der Brust. „Können wir reden?" Seine Stimme klingt leise, hoffnungsvoll und ich spüre, wie sich meine Brust zusammenzieht. Wie sich der Schmerz wieder sammelt und geballt in meinem Herzen ankommt. Ich habe Mühe, meine gleichgültige Miene aufrecht zu erhalten und setze einen Schritt nach den anderen. Er hätte nicht herkommen dürfen. Er hat wohl gemerkt, dass ich weder reden, noch irgendetwas anderes von ihm hören möchte.

Je näher ich komme, desto deutlicher wird, dass seine Nase auf ein ungesundes Maß angewachsen ist, was ich auf Grund seiner vielen Lügen schon wieder fast witzig finde, und seine Augen sind um die Nasenwurzel herum dick ein geschwollen. Ein Funke Hoffnung flammt in mir auf, dass ich das war, halte es aber doch für eher unwahrscheinlich, dass meine läppische Ohrfeige so eine Verletzung verursacht hat. Aber egal was ihn da im Gesicht getroffen hat, er hat es verdient. Für den Bruchteil einer Sekunde treffen meine Augen auf seine und der Schmerz ist kaum mehr zu ertragen, sodass ich mit Schwung die Tür zuschmeiße. Allerdings fällt sie nicht wie erwartet ins Schloss und ich stöhne genervt, als ich Marcos Fuß dazwischen erkenne. Er kennt mich mittlerweile eindeutig zu gut. „Kim, bitte", sagt er und drückt die Tür wieder auf. „Verschwinde einfach", erwidere ich und verfluche mich dafür, dass ich so schwach klinge. Verletzt. Mein Anblick müsste ihm genügen, um das zu erkennen, aber ich schaffe nicht mal mehr so zu tun, als ginge es mir gut. Klasse, hat er gut hingekriegt. Ohne auf meine Aussage zu reagieren, überbrückt er den Abstand zwischen uns, schließt die Tür und erneut halte ich die Luft an. Sein Duft steigt mir sofort in die Nase, vernebelt meine Sinne und fügt mir schreckliche Qualen zu, die sich durch meine Knochen fressen. „Du kannst nicht einfach abhauen, mich komplett ignorieren und glauben, dass ich mich damit zufrieden gebe", redet er unbeirrt weiter und ich spähe über meine Schulter. Conny steht ums Eck und duckt sich viel zu spät mit, als dass ich es nicht geschnallt hätte, dass sie lauscht. Mit verdrehten Augen mache ich auf dem Absatz kehrt und tapse die Treppe wieder nach oben. Wie ich ihn kenne, wird er mir sowieso folgen. Und das verdeutlichen mir seine Schritte hinter mir. Ich versuche die kurze Zeit bis in mein Zimmer zu nutzen, um mich irgendwie zu sammeln. Um mich irgendwie auf das vorzubereiten, was kommen wird und merke, dass ich das nicht hinkriege. Ich bin dafür nicht bereit, dass er hier ist. Ich habe mich in verdammter Sicherheit gewogen, dass er tausende Kilometer entfernt von mir ist und nun trennt uns kein Meter mehr voneinander.

Regenbogen [Marco Reus]Where stories live. Discover now