Kapitel 44

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Die frische Luft in meinen Lungen gibt mir Kraft und der kühle Regen, der auf meine erhitzte Haut prasselt, beruhigt mich. Meine Sicht ist durch den dichten Tränenschleier in meinen Augen benebelt und ich nehme nur den prasselnden Regen wahr, der flutartig auf dem Asphalt unter meinen Schuhen niedergeht.

Fuck. Ich trage ein Versacekleid, das mehr kostet, als ich im Monat verdiene und renne darin vor einem Kerl davon, dem ich offensichtlich nichts bedeute. Durch strömenden Regen. Danach ist das sicherlich am Arsch.

Meine Füße tragen mich weiter, ohne dass ich überhaupt verstehe, wo ich hinlaufe. Allerdings komme ich nicht sonderlich weit. Zumindest nicht so weit, wie ich es geplant habe. Den Aspekt, dass ich vor einem Profisportler weglaufen will, habe ich mal wieder dezent verdrängt. Marcos Stimme dringt gedämpft durch die Entfernung und den Regen in meine Ohren, doch ich laufe stur weiter. Ich will gar nicht wissen, was für eine lausige Erklärung er mir auftischen möchte.

„Kim. Bleib stehen." Ich höre, wie er mir näher kommt und sehe mich schluchzend nach Fluchtmöglichkeiten um. Doch da sind keine. Ich stehe in irgendeinem gottverdammten Park und um mich herum erkenne ich außer Wiesen und kahlen Bäumen gar nichts. Wenn er sich jetzt wieder lächerlich über mich macht, weiß ich nicht ob ich das aushalte. Da es sowieso sinnlos ist, weitere Kräfte in meine Flucht zu investieren, bleibe ich stehen, streiche mir überflüssigerweise die mit Regentropfen vermischten Tränen davon und drehe mich um. Marco bleibt vor mir stehen und ich beobachte seine Brust, die sich schwer hebt und wieder senkt.

Er wirkt unsicher, nervös, ganz anders als er sonst ist und ich schlinge meine Arme um meinen Körper und weiche seinen Augen aus, die mich nur noch mehr verletzen würden. „Spar dir deine schnippischen Kommentare. Ich hab's kapiert, okay?" Ich schniefe und verfluche mich selbst dafür, dass ich ihm meine Gefühle hier auf dem silbernen Tablett serviere, sodass er noch ein bisschen darauf herum trampeln kann.

„Was...?"

„Ich will das nicht hören, Marco!", unterbreche ich ihn und widerstehe dem Drang, mir meine Hände gegen die Ohren zu pressen. „Kannst du mich ein verdammtes Mal ausreden lassen?", brummt er und ich halte meine Klappe und blicke weiterhin auf seine Brust. „Was meinst du damit, dass es alles geändert hätte?" Seine Stimme ist leise, vorsichtig und das leichte Zittern darin, gibt mir Mut zu ihm aufzusehen. Einige nasse Haarsträhnen hängen ihm in die Stirn und ich verfolge die einzelnen Tropfen, die sich von ihnen lösen, über seine Nasenspitze tröpfeln und letztlich genauso auf dem grauen Asphalt enden, wie der Rest von ihnen. Sein Jackett ist geöffnet und unter dem durchnässten Stoff seines weißen Hemds, zeichnen sich bereits seine Muskeln ab. „Willst du mich veraschen?", zische ich und trete einen weiteren Schritt zurück. Mache der Wut Platz, die sich mit der Enttäuschung und meinem allgemeinen Gefühlswirrwarr mischt und alles nur weiter verschlimmert. Meine Tränen sind regelrechte Sturzbäche, die über meine Wangen fließen und hoffentlich unter dem sinnflutartigen Regen untergehen. Auch wenn ich befürchte, dass er das trotzdem schnallt. Was mir nicht passt. Damit zeige ich ihm nur, wie sehr mich all das verletzt und diese Genugtuung will ich ihm nicht geben.

„Nein. Was meinst du damit?", stellt er sich blöd und ich kann mir ein verächtliches Schnauben nicht verkneifen. „Meinst du das wirklich ernst, Marco? Oder was soll das?", keife ich drauf los und schlucke, als er einen Schritt auf mich zumacht und seine Hände auf meinen Schultern ablegen will. Doch ich schüttle ihn ab und recke mein Kinn in die Höhe, werfe ihm einen drohenden Blick zu. „Du hast spätestens seitdem Sarah dich darauf angesprochen hat, gewusst was abgeht. Du warst der einzige, der mir meine Erinnerungen hätte geben können und hast sie mir vorenthalten. Und dann fragst du mich allen Ernstes, was ich damit meine? Was geht in deinem Kopf vor?", rufe ich und schniefe aufgebracht. Dass es hier vielmehr um ihn geht, lasse ich natürlich absichtlich weg. Ganz sicher werde ich mich vor ihm nicht noch lächerlicher machen. „Was in meinem Kopf vorgeht?" er lacht gequält auf, „ich wusste nicht, dass das so eine große Bedeutung für dich hat." Das Grinsen auf seinem Gesicht wirkt wie eingemeißelt und erreicht seine Augen nicht, die mich bedrohlich in dem gedämpften Licht durchbohren. „Macht dir das Spaß?", frage ich schnippisch und verschränke meine Arme vor der Brust, während sich seine Augen zu einem schmalen Schlitz verengen. „Was soll mir bitte Spaß machen? Dass ich dir nicht gesagt habe, dass wir uns bereits begegnet sind? Wieso sollte mich oder dich das kümmern?", brüllt er los und ich zucke innerlich zusammen, straffe meine Schultern und versuche somit halbwegs selbstbewusst rüberzukommen. Obwohl alles in mir drinnen zerbricht. Wie konnte ich mich damals, sowie heute, so sehr täuschen? Wie konnte ich Gefühle für einen Mann entwickeln, dem ich augenscheinlich am Arsch vorbei gehe? Von der ersten Sekunde hatte ich Recht und hätte mich voll und ganz auf Marcel konzentrieren sollen und stattdessen mache ich das kaputt. Wegen ihm.

Regenbogen [Marco Reus]Where stories live. Discover now