Die Dunkle Insel

1.7K 70 2
                                    

Wenig später steuert Drinian die Morgenröte langsam durch die kalten Nebelschwaden

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.

Wenig später steuert Drinian die Morgenröte langsam durch die kalten Nebelschwaden. Ich stehe neben Lucy und Reepicheep an der Reling und behalte das Deck so gut wie möglich im Blick. Keine Bewegung entgeht mir. Der Kapitän und der erste Maat haben die bewaffneten Männer auf ihre Posten geschickt und sie angehalten, diesen nicht wieder zu verlassen. Es ist so still, dass sich jedes Geräusch zu einem ohrenbetäubenden Dröhnen ausweitet und alle zusammenzucken lässt. Selbst das leise Knarzen der Planken und der Ruder, die ins Wasser getaucht werden, scheinen nicht an diesen Ort zu passen. Es ist keine friedliche Stille, sondern eine angespannte, feindselige Stille; als würde hinter der dichten Nebelwand um uns herum etwas lauern. Bei diesem Gedanken schließe ich meine rechte Hand noch fester um den Schwertknauf und lasse meine Augen zum hundertsten Mal über das Schiff gleiten – vom Drachenkopf am Bug bis hin zum Heck, an dem sich die goldene Schwanzspitze entlangringelt. Auf dem Achterdeck steht Drinian mit zusammengekniffenen Augen am Steuerrad und versucht vergeblich, im Nebel etwas zu erkennen. Neben ihm tritt der König nach vorn und sieht zu uns herunter. Mir entgeht nicht, dass er einmal tief durchatmet und die Schultern strafft.

» Männer «, sagt er schließlich mit erhobener Stimme,

» Hier liegt nun die Dunkle Insel und niemand weiß, welches Übel uns erwartet. Doch fürchtet euch nicht und haltet zusammen, so werden wir auch diesen Teil unserer langen Reise überstehen. Jeder von euch hat sich seinen Platz in der Mannschaft der Morgenröte mehr als verdient und ihr habt alle euren Mut und eure Tapferkeit bewiesen. Haltet daran fest, denkt an Narnia, denkt an Aslan und an jene, die wir zu retten gedenken «. Zum Zeichen, dass er geendet hat, nickt er leicht und verschränkt die Arme hinter dem Rücken. Einen Moment ist es still, dann reckt Edmund die Faust in die Höhe und ruft

» Für Narnia! «. Ihm schließen sich nach und nach alle an. Auch Reepicheep, Lucy und ich. Als sich unsere Blicke kurz kreuzen, tauschen wir ein flüchtiges Lächeln aus. Mehr lässt diese schauderhafte Umgebung nicht zu. Immerhin bleibt das warme Gefühl in der Magengegend und schirmt mich ein kleines bisschen von dem Geschehen ab. Jetzt, da wir immer weiter durch den Nebel fahren, gerät dieser in Bewegung. Aus dem undurchdringlichen Schwarz wird ein giftiges Grün. Jenes Grün, das wir auf den Einsamen Inseln bereits einmal angetroffen haben. Doch dabei allein bleibt es nicht. Aus dem Nebel formen sich schemenhafte Gestalten und schweben zwischen uns hindurch, geräuschlos. Manche Männer drehen sich im Kreis als würden sie etwas suchen oder hören, das wir anderen nicht sehen oder hören können. Einige flüstern miteinander. Leise, aber doch für jeden verständlich.

» Da! Hörst du? Wie Schwerter, die geschliffen werden «, sagt einer.

» Was ist das? «, meint ein anderer und deutet vor sich in die Luft. Wenn auch jeder durch etwas anderes gepeinigt wird, so haben doch alle eines gemeinsam. In jedem Gesicht ist der Schrecken tief eingegraben.

» Helaine! «, flüstert jemand neben mir. Es ist Rhince, der auf eine dieser schemenhaften Figuren starrt und langsam die Arme ausbreitet. Helaine ist seine Frau und Mutter seiner kleinen Tochter Gale. Eine von jenen, die dem Nebel als Opfer vorgeworfen wurden. Plötzlich höre ich meinen Namen, ganz leise. Ich fahre herum und entdecke etwas über der Reling schweben. Es ist dieses andere Ich aus meinem Traum.

» Luna «, sagt sie noch einmal und lächelt ein eiskaltes, berechnendes Lächeln.

» Was willst du? «, zische ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Daraufhin lacht sie nur und wirbelt einmal um mich herum, immer eine feine, grüne Spur hinterlassend.

» Das weißt du doch ganz genau, Luna «, wispert sie gefährlich nahe an meinem Ohr. Am liebsten würde ich nach ihr schlagen, doch noch bin ich bei so klarem Verstand, nicht mit Nebelgebilden kämpfen zu wollen.

» Verschwinde! «, stoße ich hervor und sehe mir selbst in die Augen.

» Aber wieso denn? Ist dir meine Gesellschaft etwa nicht genehm? Hältst du dich selbst nicht aus? «, erwidert sie und vollführt eine Art Tanz über das ganze Deck. Immer weiter bewegt sie sich auf das Achterdeck zu, wo Kaspian steht. Je näher sie ihm kommt, desto fester balle ich meine freie Hand zur Faust. Nur wenige Fuß von ihm entfernt, hält sie mitten in einer Drehung an und fixiert mich. Ein Schauer jagt den nächsten meinen Rücken hinab.

» Sieh an, du bist meinem Rat nicht gefolgt. Willst du ihn also ins Verderben stürzen? «, fragt sie höhnisch und tritt etwas näher auf den König zu.

» Keinen Schritt weiter «, befehle ich und schlage einen möglichst drohenden Tonfall an. Sie lacht nur und setzt unbeirrt einen Fuß vor den anderen. Mein Herz beginnt, schneller zu schlagen und gerät aus dem Takt. Ich dränge mich an einigen Männern vorbei über das Deck zur Treppe, die zum Achterdeck hinaufführt. Niemand scheint mich zu bemerken, alle sind in ihrer eigenen Paranoia gefangen. Die andere Luna hat Kaspian nun beinahe erreicht. Sie lacht immer noch. Wut kocht in mir hoch, doch sie ist mit Angst durchsetzt. Was, wenn diese Nebelgestalten echt sind? Können sie wirklich jemandem gefährlich werden oder verwirren sie nur durch ihr Erscheinen und ihre Worte? Ich vermag es nicht zu sagen. Diese Insel lässt Einbildung und Realität miteinander verschmelzen, eins werden. Gerade als mein schemenhaftes Abbild die Hand nach Kaspian ausstreckt, zerreißt ein lauter Ruf die Stille und ich bleibe wie angewurzelt stehen. Das andere Ich ist verschwunden und mir ist, als wäre ich aus einer Trance erwacht. Meine Augen suchen denjenigen, der gerufen hat. Schlussendlich bleiben sie an Edmund hängen, der mit zu Schlitzen verengten Augen den Mast hoch sieht. Lucy steht neben ihrem Bruder und legt ihm vorsichtig eine Hand auf die Schulter. Erleichtert atme ich aus und mein Blick wandert zu Kaspian zurück. Er steht unbewegt da, den Kopf von mir abgewandt. Es scheint als würde er jemandem zuhören, der hinter ihm steht. Langsam gehe ich auf ihn zu und komme neben ihm zum Stehen. Zaghaft greife ich mit der Linken nach seiner Linken und lege meine Rechte auf seine Schulter. Diese Berührung holt ihn zurück in die Gegenwart. Er sieht mich an und atmet tief ein und aus.


Einen Moment versinke ich in seinen Augen, doch eine Bewegung hinter ihm lenkt meine Aufmerksamkeit zurück zu dem Nebel. Wieder ist sie es, dich aus dem Nebel tritt.

» Denkst du, du kannst ihn schützen? Denkst du, du kannst irgendjemand schützen? «, fragt sie hämisch und antwortet sich selbst,

» Du kannst niemanden schützen, denn du bist es, vor dem sie beschützt werden müssen! «. Ich presse die Lippen zusammen und schließe die Augen, doch ich kann diese andere nicht aussperren. Als ich die Augen wieder öffne, zucke ich zusammen, denn das andere Ich schwebt direkt hinter Kaspians Rücken. Fest umklammere ich seine Hand. Am liebsten würde ich mich in seinen Armen vergraben bis dieser Spuk vorüber ist. Das aber ist nicht möglich. Einerseits, weil ich meine Angst noch nie gezeigt habe und jetzt sicher nicht damit anfange. Andererseits, weil wir das siebte Schwert finden müssen. Die Sternenfrau Liliandil hat uns den Weg hierher gewiesen und nun ist es an uns, diesen Nebel und das dahinter verborgene Böse zu bezwingen.

» Luna, ist alles in Ordnung? «, fragt Kaspian nun und streicht flüchtig über meine Wange. Ohne ihn anzusehen, nicke ich leicht. Mein Ebenbild im Nebel lacht wieder. Diesmal scheint mir der Ton unsagbar laut und ich muss mich beherrschen, um mir nicht die Ohren zuzuhalten. Da zerreißt ein gellender und durchdringender Schrei die Luft, der selbst das grässliche Lachen verstummen lässt. Kaspian und ich wechseln einen Blick und sehen uns dann an Deck um. Auch die Männer sehen einander ratlos an. Da zeigt Lucy nach backbord. Alle Augen folgen ihrem ausgestreckten Arm und ich erkenne eine Felsplattform aus dem Wasser ragen, auf der sich etwas bewegt. Ein Mensch.

Die Reise des Löwen | Eine narnianische GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt