Kapitel 28 - Wer nicht hören will ...

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Evelyn

Nachdem ich mich endlich dazu entschieden hatte, duschen zu gehen und eventuell etwas Druck abzulassen, beschloss ich in bequeme Klamotten zu schlüpfen. Im Gegensatz zu den anderen Tagen war ich heute nämlich nicht motiviert meine müden Knochen und erschöpften Muskeln in eine Jeans oder etwas ähnliches zu zwängen.

Deswegen und nur deswegen wurde es mein Lieblings-Loungewear-Outfit. Dieses bestand aus einer lila Jogginghose, einer grünen Sweatshirtjacke sowie einem gelben Shirt. Ich wusste, dass diese Farbkombination gewagt war und bei den meisten für Augenkrebs sorgte, doch das war mir mittlerweile ziemlich egal geworden.

Denn im Gegensatz zu meiner Seele und meinem Inneren, waren die Farben, welche ich täglich trug so bunt gemischt, wie ein Regenbogen. Meine Persönlichkeit und mein Auftreten waren davon jedoch weit entfernt. Es gab wenige Momente, in denen ich ehrlich lächelte, mich freute oder einfach wunschlos glücklich war.

Das wurde mir alles seit meinem zwölften Lebensjahr und innerhalb der letzten Schuljahre genommen. Ohne Freunde, welche hinter einem standen, einen in Schutz nahmen oder sich für einen einsetzten, war das Teenagerleben ziemlich .. wie soll ich sagen? Einsam? Öde? Langweilig? Deprimiert?

Eine Mischung aus alldem, irgendwie. Aber wer bin ich schon, mich über mein Leben zu beschweren. Mir ging es doch gut, oder nicht? Ich meine, ich hatte einen Platz zum Schlafen, Klamotten in meinem Schrank und Essen im Kühlschrank.

Damit bin ich 75% reicher als der Rest der Menschheit. Ich habe genug Geld, um spontan irgendwo hinzugehen, womit ich zu den Reichsten 18% der Welt gehöre. Ich kann lesen und schreiben, genauso wie du, die das hier gerade liest. Damit haben wir mehr Glück als die 3 Milliarden Menschen, die genau das nicht können.

Und da ich heute hier und jetzt gerade lebe, kann ich mich doch eigentlich glücklicher schätzen als die Millionen Menschen, welche heute sterben werden. Also warum sollte ich mir Gedanken darüber machen, wie schlecht es mir geht, wenn ich doch alles habe, was ich brauche?

Ich kann essen. Mir ist warm und vor allem lebe ich. Zu mindestens noch. Wer weiß, wie lange ich noch leben werde, wenn ich von jetzt an täglich so viel Energie einsetzen muss, um anderen das Leben zu retten. In den letzten Wochen und Monaten hatte ich genug Zeit, um zu recherchieren.

Denn, wenn wir ehrlich sind, ist es nicht normal, dass ich diese Fähigkeiten besitze und keine Energie beherrsche. Ich weiß, vielleicht übertreibe ich ja auch ein bisschen aber selbst mein Aussehen ist unter allen Werwölfen eine Abnormalität. Da kann doch schon mal etwas nicht hinhauen, oder bilde ich mir das alles nur ein?

Ich weiß selbst nicht mehr, was oder vor allem woran ich noch glauben soll. Ich schnappte mir also meinen Rucksack, welcher bereits seit gestern Abend fertig gepackt auf meinem Schreibtischstuhl stand und verließ mein Zimmer.

Im Anschluss lief ich die Stufen der Treppe herunter, um kurz darauf in meine Straßenschuhe zu schlüpfen, damit ich in Richtung Ausbildung gehen kann. Vor der Tür traf ich noch Arden, welche mich zwar skeptisch beäugte aber nichts weiter dazu sagte, weswegen ich einfach weiter ging, direkt auf das Rudelhaus zu.

Dort angekommen, suchte ich den Lehrraum auf und öffne die Tür. „Tut mir leid, dass ich etwas zu spät bin aber letzte Nacht war ziemlich .." Doch ich wurde zum Ende immer leiser, da ich den Raum völlig leer vorfand. Wo war Grace? Ich zog eine Augenbraue hoch und zückte mein Handy, um nachzusehen, ob ich heute überhaupt Unterricht hatte.

Komisch. Es war Mittwoch, was so viel bedeutet wie: Pflanzenkunde. Ich drehte mich also wieder um und suchte das Arbeitszimmer des Beta auf, um nach Grace zu fragen. Nach dem Anklopfen trat ich ein und fand einen beschäftigten Noah vor. „Heyy, ähhm ich mache es kurz, du siehst beschäftigt aus. Weißt du, wo Grace ist? Wir hätten eigentlich Unterricht aber sie ist nicht da."

Die Bürde einer Werwölfin zu tragenWhere stories live. Discover now