„Also er hat schon den Führerschein.“ Dass er ihn seit nicht mal einen Jahr hat, erwähne ich nicht.

„Dann seid ihr gar nicht in einer Klasse?“

„Ja.“

„Hä, also seid ihr doch in einer Klasse. Ist er sitzengeblieben?“

„Nein, wir sind nicht in einer Klasse.“ Dieses Gespräch haben wir öfter. Ich bin nur froh, dass wir von Ciaran wegkommen. „Du hast gefragt: Seid ihr nicht in einer Klasse? Ja, wir sind nicht in einer Klasse“, versuche ich, zu erklären.

„Das ist doch nur logisch“, kommt mir Marie zu Hilfe. Wir lächeln uns an. Ich weiß, wir denken dasselbe: Wir verstehen uns.

„Ist ja auch egal“, meint Sabine. „Ihr seid also nicht in derselben Klasse. Wie habt ihr euch dann kennengelernt?“

Jetzt muss ich diese Geschichte auch noch erzählen. „Mir ist auf dem Schulhof die Tasche runter gefallen und er hat mir eben geholfen.“ Mit einem genervten Tonfall versuche ich, zu signalisieren, dass ich keine Lust auf solch ein Gespräch habe. Leider funktioniert es nicht.

Thomas und Sabine wechseln einen Blick.

„Weißt du Alice, bei solchen Männern muss man vorsichtig sein. Die meisten helfen nur, wenn sie etwas von dir wollen“, erklärt Sabine. Thomas hält sich rücksichtsvoll raus.

„Ich werde jawohl noch am besten beurteilen können, ob Ciaran nett ist oder nicht. Ihr kennt ihn nicht mal und meint schon, euch über ihn ein Urteil bilden zu müssen. Das ist nicht fair“, sage ich und es ist meine ehrliche Meinung. Still essen wir weiter.

„Darf ich denn jetzt bei Chiara übernachten?“, fragt Marie irgendwann.

„Ja sicher, wenn Chiara will und wenn es für ihre Eltern in Ordnung ist“, sagt Sabine sofort.

„Aber sei vorsichtig“, klinke ich mich ein, „sie könnte etwas von dir wollen.“

Die Worte sind an Sabine und Thomas gerichtet, obwohl ich mich an meine Schwester gewendet habe und Marie weiß das auch. Ich bin fertig mit dem Essen und rolle aus der Küche.

In meinem Zimmer setzte ich mich sofort an den Computer, den Thomas mittlerweile angeschlossen hat, und rufe über Skype Elli an. Sie ist offensichtlich nicht da, genauso wie Laura, Markus und Simon. Da fällt mir ein, dass sie alle in der AG sind, in der man die dritte Fremdsprache lernt. Ich war früher auch da. Simon, Markus und Elli sind in Spanisch, Laura und ich hatten Russisch. Nun ist sie alleine.

So fange ich mit den Hausaufgaben an. Als ich damit fertig bin, begebe ich mit meinen Malsachen und meinem Buch nach draußen. Es ist ziemlich warm. Wärmer als dort, wo wir früher gelebt haben. Ich schlage meinen Zeichenblock auf. Sofort fällt mir Ciarans unfertiges Portrait in den Schoß. Ich versuche, es zu Ende zu zeichnen, doch es gelingt mir wieder nicht. Weil ich keine Ideen habe, was ich sonst zeichnen soll, schlage ich mein Buch auf. Es heißt die Drachenkämpferin und handelt von einem Mädchen, das von klein auf Drachenkämpferin werden wollte, um in den Krieg zu ziehen, und nun versucht, ihren Traum zu verwirklichen, was nicht leicht ist, da sie eine weibliche Person ist. Ich habe vielleicht zwei Seiten gelesen, als Sabine raus kommt und mir das Telefon reicht.

„Ist für dich“, sagt sie und verschwindet wieder im Haus, nachdem ich es ihr aus der Hand genommen habe.

„Hallo?“, spreche ich in den Hörer.

„Hi, Alice, ich bins!“ Wer ist ich? Die Stimme, die mir entgegenschallt ist eindeutig Finnies. „Ich wollte fragen ob du heute was vor hast? Weil sonst würde ich jetzt zu dir kommen und wir könnten zusammen was machen. Vielleicht ein bisschen quatschen oder einen Film gucken, oder so...“

Gehandicapt - Eine besondere LiebesgeschichteWhere stories live. Discover now