Kapitel 21

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Matts Angebot beherrscht den Rest des Tages meine Gedanken. Jedes Mal, wenn mein Blick zur Uhr schweift, sage ich mir, dass ich ihn nicht anrufen werde, doch je später es wird, desto aufgeregter und hibbeliger werde ich. 

Maya ist arbeiten und Sophie hat sich in ihren Zimmer eingeschlossen und bereitet ihre Vorlesungen vor. Eine Zeit lang versuche ich mich mit den Powerpoint-Präsentationen meiner Kurse zu beschäftigen, doch mein Blick schweift alle paar Sekunden zur Desktopnotiz mit Matts Einladung. Ich konnte sie nicht löschen und deshalb kann ich mich nicht konzentrieren.

Ich gehe um neun Uhr ins Bett, weil ich mir sage, dass ich endlich mal früh schlafen könnte. Dort liege ich unruhig unter der Decke und starre auf den Laptop an. Ich habe ihn natürlich ohne Hintergedanken mit ins Bett genommen. Stur schalte ich das Licht aus und starre anstelle des Laptops die Zimmerdecke an. Inzwischen ist es halb elf und ich bin hellwach.

Gott, mich macht es wahnsinnig! Matt macht mich wahnsinnig!

Fluchend richte ich mich auf, packe den Laptop und reiße ihn auf. Matts beknacktes Angebot kann mich mal und das werde ich ihm mitteilen. Danach kann ich bestimmt seelenruhig schlafen. Hoffe ich.

Mit fahrigen Fingern starte ich Skype und suche Matts Adresse in meinen Kontakten. Sie steht fast am Ende der Liste. Kurz starre ich auf sein Profilfoto und ein wehleidiges Gefühl steigt in mir hoch. Es zeigt ihn, wie er sich im Rückspiegel eines fahrenden Autos fotografiert. Seine Haare wehen im Fahrtwind und das Lächeln, das er auf dem Foto trägt, wirkt verführerisch frei. Sehnsucht breitet sich in mir aus. Kopfschüttelnd klicke ich auf das Bild und kurz darauf auf das Hörersymbol.

Das Freizeichen ertönt, bricht sofort wieder ab und ein Ladekreis kündigt an, dass sich die Verbindung aufbaut. Keine zwei Sekunden, nachdem ich den Anruf gestartet habe, funkeln mich intensive grüne Augen an. Perplex starre ich auf den Bildschirm. In Matts Zimmer ist es dunkel. Sein Gesicht wird durch den Computerbildschirm angeschienen, sodass seine Züge scharf und kontrastreich von der Kamera wiedergegeben werden. Matt trägt seine Brille. Schwarze Kopfhörer sitzen schief auf seinem Kopf, dass nur ein Ohr von der Muschel bedeckt ist. Dadurch stehen die blonden Haare in alle Richtungen ab. Ich kann nicht abstreiten, dass er süß aussieht. Mein untreues Herz bestätigt das, indem es ein paarmal kräftiger schlägt und im Bauch Schmetterlinge wild durcheinanderwirbeln. 

»Hey«, er lächelt mich an und der zärtliche Klang seiner Stimme legt sich wie Seide über meine nervösen Nerven.

»Hey.« Ich versuche, eine böse Miene aufzusetzen, doch das sorgt dafür, dass sich Matts Lächeln in ein belustigtes Lachen verwandelt. »Ich habe nur angerufen, damit du weißt, dass du ein Vollidiot bist, Tiesi!«

Sein Grinsen lässt ihn wie einen Teenager aussehen. Matt zieht sich mit dem Stuhl näher an den Schreibtisch, sodass ich einen Moment seine Brust sehe. Sie steckt in einem weißen Shirt. Eine Hand erscheint, die die Kamera in den richtigen Winkel dreht. Kurz blitzt die Eule am Unterarm auf, dann ist wieder sein Gesicht zu sehen. Zufrieden lehnt er sich zurück, winkelt ein Bein an und stützt dem Kopf darauf ab. »Habe ich mir fast gedacht. Geht es dir jetzt besser, nachdem du mir das mitgeteilt hast?«

Ich starre ihn an und stelle überrascht fest, dass ich mich ruhiger fühle. »Tatsächlich ja.«

Er neigt den Kopf und das Lächeln ist zurück. »Wenigstens bist du ehrlich. Und nun? Legst du wieder auf?«

Ich zögere. Soll ich auflegen?

»Du siehst müde aus«, durchbricht er mein nachdenkliches Schweigen, »Und du störst mich nicht.«

Ich merke, wie mein Körper durch das leichte Rauschen aus den Lautsprechern zu entspannen beginnt. Wie macht Matt das, dass seine Anwesenheit dafür sorgt?

»Es ist echt komisch«, murmle ich, lehne mich zurück und kuschle mich in die Decke.

»Was?« Er wendet seinen Blick ab, sodass es wirkt, als ob er etwas anderes am Computer macht. Im Hintergrund höre ich seine Maus klicken.

»Mit dir! Ich frage mich echt, wie du das machst.«

»Soll ich den Bildschirm teilen?«, fragt er und geht nicht auf meine Gedanken ein. Ich nicke. Kurz darauf kann ich sehen, wie er in einer Word-Datei hin und her scrollt. Ich überfliege die Seite, doch beim dritten Wort schalte ich kognitiv ab.

 »Was ist das?«

»Eine Hausarbeit über Informatikkram. Für dich uninteressant. Also perfekt, dass du schlafen kannst.«

Ich schließe die Augen und gähne. »Ja total.« Ich höre sein amüsiertes Lachen, dann dämmere ich weg. 

Als ich das nächste Mal die Augen aufschlage, schaue ich mich verwirrt um, bis ich den leuchtenden Laptop neben mir sehe. Mein Herz macht einen Sprung. Matt hat die Übertragung nicht beendet. Die Word-Datei ist noch immer geöffnet, doch nun sieht er hundemüde aus. Seine Augen sind gerötet. Gedankenverloren lässt er einen Stift zwischen den Fingern hin und her rollen. Meine Augen huschen zur kleinen Uhr auf der Taskleiste. Es ist kurz nach zwei Uhr nachts. Ich habe drei Stunden geschlafen! 

Still beobachte ich, wie Matt sich die Augen reibt. Die Brille baumelt zwischen seinen Zeige- und Mittelfingern. Wie von selbst wandert mein Blick über seine Hände weiter zu seinen Armen und betrachten die vielen Tattoos. Die Kamera gibt die bunten Muster der Eule detailreicher wieder, als sie es in Wirklichkeit sind. Sie wirkt lebendig! Ohne darüber nachzudenken strecke ich die Finger nach der Zeichnung aus und fahre die Konturen des Gefieders nach. Fast kann ich mir einbilden Matts Haut unter meinen Fingern zu spüren. Der Gedanke beschert mir einen Schauer und wieder frage ich mich, was der Vogel auf seinem Unterarm zu bedeuten hat. Ist sie wirklich nur eine Erinnerung? Die Finger gleiten zu Matts Gesicht, die Wangenknochen entlang und verharren an seinem Mund mit den weich geschwungenen Lippen. Die Kamera fängt sein Profil ein. Inzwischen sitzt die Brille wieder auf seiner Nase. Konzentriert starrt er auf den anderen Bildschirm. Der Stift wandert erneut zwischen seinen Fingern hin und her. 

Plötzlich erkenne ich zu Hundertprozent den Jungen, den ich vor drei Jahren verloren habe. Ich sehe alles, was ich immer so an ihm geliebt habe. Seine Augen, seine Lippen, seine hohen Wangenknochen, sein strohblondes Haar, alles! Ich weiß genau, warum ich ihn vermisst habe. Ich will ihn nie wieder gehen lassen!

Der Stift rutscht aus Matts Fingern und landet klackernd auf dem Schreibtisch. Er zuckt erschrocken zusammen. Seine Augen huschen zu mir auf dem Bildschirm. Schnell ziehe ich die Hand weg. Zum Glück fängt meine Kamera nicht alles auf, doch unsere Blicke verschmelzen miteinander. 

»Hab ich dich geweckt?«, fragt er mit rauer Stimme und ich schüttle den Kopf.

»Nein, aber du siehst müde aus.« 

Sein Blick huscht zur Uhr und er verzieht wehleidig die Lippen, dann lehnt er sich gähnend zurück. »Ich hab die Zeit vergessen. Mal wieder«, seufzt er. 

»Hast du etwas für deine Hausarbeit geschafft?«

Er schaut rüber auf den anderen Bildschirm und zuckt mit den Schultern.

»Hätte mehr sein können, aber es reicht für heute. Ich muss sie erst in zwei Wochen abgeben.«Er neigt den Kopf. Bedauern liegt auf seinen Zügen.

»Furbs, ich muss schlafen. Sehen wir uns Morgen in der Cafeteria? Ich hab zur selben Zeit Mittagspause wie heute. Ich würde mich sehr freuen!«

Ein scheues Lächeln kräuselt sich an seinen Mundwinkeln. Ich nicke und kribbelnde Vorfreude steigt in mir auf. Wir trennen die Verbindung. Mit klopfenden Herzen schließe ich die Augen und kann den morgigen Tag nicht mehr abwarten. 

 

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Always meet TwiceWhere stories live. Discover now