Kapitel 40

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»Leo, beeil dich! Ich steh in zweiter Reihe!« Ich schaue bei Matts Stimme erschrocken in den Spiegel. Ein eingeschüchtertes Mädchen starrt zurück, das zum hundertsten Mal mit zittrigen Fingern und geröteten Wangen über ihr genähtes Kleid streicht. Ob ich Kira gefallen werde? Wird sie überrascht sein, mich zu sehen, oder hat Matt sie vorgewarnt, dass ich das Mädchen bin, das ihn nach Hause begleiten wird? Scheiße bin ich nervös!

Nicht nur wegen Kira! Zwei Wochen ist es her, dass Matt und ich beschlossen haben, es miteinander zu versuchen. Dieses Wochenende ist das erste, an dem wir beieinander schlafen!

Bevor meine Gedanken auf Grundlage dieser Tatsache Amok laufen, wende ich mich vom Spiegelbild ab und schlüpfe in meine dunkelblauen Winterstiefel. Argwöhnisch drehe ich mich wieder zum Spiegel und mustere mich erneut. Verdammt, ich müsste dringend zum Friseur. Die türkise Farbe aus meinen Haaren ist vollständig herausgewaschen, das Silber nur erahnbar und die Spitzen eindeutig ausgefranst.

»Leo!«

Ich zucke zusammen, weil mein Puls in die Höhe schießt. »Ja, verdammt! Ich komm ja schon!«, rufe ich und schnappe mir meinen gepackten Rucksack.

Matt lehnt lässig an der gegenüberliegenden Wand im Flur und schielt mit ungeduldigen Blick auf seine Armbanduhr. Sein Haar ist unter einer dicken schwarzen Mütze versteckt. In der letzten Woche ist es kalt geworden. In dieser Nacht hat es sogar begonnen zu schneien und bis jetzt hat es nicht damit aufgehört.

Ich habe keine Zeit, Matts Anblick zu genießen, denn er stößt sich von der Wand ab, drückt mir einen Kuss auf den Mundwinkel und nimmt mir die Tasche ab. Ohne zu zögern, schiebt er mich aus der Wohnung.

»Wir sind spät dran, und um Berlin ist die Hölle los. Wir werden bei dem Schneechaos Stunden brauchen.«

Ich winke stumm Maya zum Abschied, die grinsend im Türrahmen lehnt und verschwörerisch mit den Augenbrauen wackelt. Mit dem Mund formt sie das Wort »Kondome« und ihr Grinsen wird breiter, weil meine Wangen Feuer fangen.

Ich lasse mich von Matt die Treppe runterführen und schnappe nach Luft, als ich auf den Bürgersteig trete. Draußen ist es klirrend kalt, dass man den Atem in kleinen Rauchwölkchen aufsteigen sieht. Dicke Flocken rieseln auf den weißen Fußgängerweg. Ich entdecke das Auto. Matt hat nicht gelogen. Der VW steht mit Warnblinkanlage in zweiter Reihe.

»Dass sie mich echt zu diesem beknackten Trip überreden konnte«, knurrt Matt kopfschüttelnd und schmeißt meinen Rucksack in den Kofferraum. Ich schlüpfe auf den Beifahrersitz. Dicke Schneeflocken rieseln auf die Frontscheibe des Autos und schmelzen sofort. Ich lächle und fahre mit den Fingern den Weg entlang, den der neu gebildete Tropfen die Scheibe hinunterläuft. Ich liebe Schnee!

»Das ist echt eine Schnapsidee«, wiederholt Matt, als er neben mir einsteigt und die Tür zu knallt. Kalte Luft mischt sich mit warmer und ich bekomme eine Gänsehaut. Schnell stelle ich die Sitzheizung eine Stufe höher.

»Wird schon nicht so schlimm und die Zwillinge freuen sich auf dich«, versuche ich, ihn aufzuheitern, und bekomme dafür ein amüsiertes Grinsen. Matt ist durchaus bewusst, dass ich mir ebenfalls eine bessere Gesellschaft als Kiki vorstellen kann.

Auf dem Weg unterhalten wir uns über alles Mögliche. Ich erzähle Matt von den Seminaren, die ich heute für die Fahrt sausen lasse und welche Ideen ich für mein nächstes Projekt an der Nähmaschine habe. Matt hört mir zu und steuert manchmal Ideen bei, welche Farben ich besser für ein Kleid oder ein T-Shirt nehmen kann. Dafür, dass er eigentlich keine Ahnung hat, hat er echt Ahnung. Gleichzeitig schafft das lockere Gespräch, mir die Anspannung zu nehmen.

Als Matt den Wagen in eine ruhige Wohngegend lenkt, sind wir bereits zwei Stunden länger unterwegs, als vorgehabt. Die Sonne geht gerade unter und lässt den Schnee im Dämmerlicht rötlich glitzern. Ich richte mich erleichtert auf. So sehr ich die Zeit mit Matt im Auto genossen habe, langsam tut mein Rücken weh. Neugierig blicke ich aus dem Fenster. Wir fahren an verschneiten Reihenhäusern vorbei. In vielen Vorgärten stehen Schneemänner. In anderen liefern sich Väter mit ihren Kindern Schneeballschlachten. Das Kreischen und Lachen dringt durch die geschlossenen Scheiben des Wagens. Es ist die perfekte Familienidylle. Der Gedanke lässt meine Brauen argwöhnisch in die Höhe wandern. Früher waren wir die Kinder mit der Familie im Garten. Jetzt ist es Kiki, die dieses Klischee erfüllt. Verdammt, ich vermisse meine Eltern.

Always meet TwiceWhere stories live. Discover now