4 | let it be

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Die Stille am Tisch war so erdrückend, dass selbst ein Granitbrocken nachgegeben und angefangen zu weinen hätte. Jeongguk hatte das Gefühl die Suppe hätte zu wenig Salz und mit jedem Löffel, den er zu sich nahm, wurde ihm schlechter und schlechter.

Er saß seinen Eltern gegenüber und am nächsten an der Tür. Wenn er sich übergeben musste, würden sie nicht so schnell nachkommen. Vielleicht schaffte er es sogar sich im Badezimmer einzusperren und Jimin und Hoseok anzurufen, damit sie ihm bei der Flucht helfen konnten. Es musste ja nicht sonderlich lang dauern oder spektakulär werden. Nur ein kurzer Ausflug bis sein Vater sich wieder gefangen hatte und ihn genauso wenig beachtete wie vorher.

Vielleicht konnte er bei Jimin und Hoseok auf der Couch schlafen. Er könnte ihnen sogar etwas Miete zahlen. Auch wenn es schwer gewesen war, es vor seiner Mutter geheim zu halten, hatte er von seiner Arbeit immer ein paar Mäuse zurücklegen können. Nicht viel, aber genug, um einen Monat lang überleben zu können.

„Es ist wirklich sehr lecker, Schätzchen", meinte seine Mutter und Jeongguk erwartete schon nervöses Lachen ihrerseits und einen Seitenblick zu seinem Vater, in der Hoffnung die erdrückende Stille ein wenig aufzulösen, doch sein Vater lächelte ebenfalls und nickte. Als wäre zwischen den beiden alles in bester Ordnung. Als würde er als Einziger an diesem Tisch diese seltsame Luft einatmen.

„Danke Ma", nuschelte Jeongguk und nahm einen Schluck Wasser. Sie hatten zwar Bier zuhause, doch in der Anwesenheit seines Vaters wollte er lieber nicht trinken. Er wusste noch immer nicht, warum sich seine Meinung zu ihm auf einmal so weit geändert hatte, dass sie wieder an einem Tisch sitzen konnten. Und solange er es nicht herausgefunden hatte, würde er wachsam bleiben, sprungbereit, falls im Laufe des Abends doch noch eine Bombe hochgehen sollte.

Doch nichts geschah. Sie aßen still und im Hintergrund lief das Radio. Jeongguk traute sich nicht aufzusehen aus Angst seine Eltern würden ihn beobachten. Um sich abzureagieren dachte er an den Kerl vom letzten Freitag zurück. Auch wenn er nicht ein einziges Wort mit ihm gewechselt hatte, war diese Begegnung ausschließlich mit Glücksgefühlen gefüttert gewesen.

Es hatte einfach alles gepasst, als würden sie beide zusammen auf der gleichen Welle schwimmen, selbst wenn sie sich nicht an der Hand gehalten hatte. Er hatte lang nicht mehr so empfunden. Und schon gar nicht bei einem Wildfremden, den er vermutlich nie wieder sehen würde.

Er war zwar irgendwo dort draußen, aber er lebte ein eigenes Leben. Ihre Seifenblasen hatten sich an diesem Abend nur überschnitten und Jeongguk geholfen wenigstens für ein paar Stunden aus seiner Welt zu flüchten. Es war schön gewesen, aber nicht von Bedeutung.

Lächelnd blickte Jeongguk letztendlich doch auf und hoffte inständig sein Vater würde ihm seine Gedanken von den Augen ablesen. Diese Nettigkeit löste im Jeongguk den Wunsch aus sie auszureizen. Wie weit würde sein Vater wohl gehen, wenn Jeongguk ihn schmerzhaft daran erinnerte, dass sein einziger Sohn eine Schwuchtel war. Vielleicht würde er dann endlich mit diesem falschen Vater-Sohn-Gehabe aufhören. Dieser Gedanke ließ Jeongguks Lächeln in ein diabolisches Grinsen umschlagen.

Selbstsicher lehnte er sich zurück und schob die Schüssel von sich. Gerade jedoch als er Luft holen und von einem potenziellen neuen Freund erzählen konnte, fiel ihm seine Mutter dazwischen.

„Jeongguk, wir müssen mit dir reden."

Es gab zwei Anzeichen, warum Jeongguk an dieser Stelle hätte weglaufen sollen. Erstens, weigerte seine Mutter sich mit ihm zu reden, seit sie ihn von der Schule genommen hatte. Und zweitens, nannte sie ihn nie bei seinem Namen. Nie.

Coup d'état ⇢ TaekookWhere stories live. Discover now