1 | you need a boyfriend, darling

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„Und Schätzchen? Was gibt's Neues bei dir?"
„Nicht sonderlich viel. Eine Dauerwelle, eine Glatze und knallrote Haare, weil sie ihrer Freundin beweisen wollte, dass es gut aussieht. Tat es tatsächlich, aber sie ist trotzdem heulend rausgerannt. Alles andere ist unspannend."
„Das glaub ich dir nicht. Junge Leute, wie du gehen doch jeden Abend zum Feiern aus. Wie sieht's denn damit aus? Hast du da nicht ein paar heiße Feger, die dir gefallen und es wert sind über sie zu lästern...?"

Jeongguk verdrehte die Augen und griff zu dem Besen, um die Haare auf dem Boden zusammenzufegen.
„Ich glaube kaum. Die Stadt ist voller Gesichter, die man am besten niemals in seinem Leben wiedersehen möchte", antwortete er und dachte an letzte Woche Freitag zurück. Nun ja... teilweise.

„Als ich in deinem Alter war, hätte ich meine Taschensammlung aufgegeben, um manche meiner Männern wiederzusehen. Nur für eine Nacht... du verstehst." Mrs. Jang zwinkerte ihm durch den Spiegel zu und wackelte anzüglich mit den Augen und Jeongguk fälschte ein Lächeln. Er mochte die alte Frau, doch Bettgeschichten von ihren verflossenen Liebschaften gehörten jetzt nicht unbedingt zu dem, was ihm beim Einschlafen half.

„Vielleicht später. Ich hab im Moment einfach viel zu viel zu tun", redete er sich schnell aus dem Verhör und griff nach einem Handspiegel, den er seiner Kundin reichte. „Ich hoffe, es entspricht den Erwartungen, Madame?"

„Perfekt, Jeongguk. Wie immer. Ich danke dir", lächelte die Frau und fuhr sich über die kurzen, glänzend schwarzen Haare. „Wie schaffst du es, dass sie danach immer so weich sein? Bei meiner Drahtwolle..."

„Ich bin ein Zauberer. Und ein Zauberer verrät nie seine Tricks", grinste Jeongguk und verschränkte die Hände hinter seinem Rücken, um aufrechter zu stehen. Lob brachte ihn immer in Verlegenheit und Verlegenheit in peinliche Situationen. „Aber wir verkaufen eine Haarkur, die vielleicht auch ein wenig dazu beigetragen hat."

Mrs. Jangs Lächeln wurde breiter und sie gab Jeongguk den Spiegel zurück, um in ihrer Tasche nach ihrem Portemonnaie zu suchen. Ohne einen zweiten Blick darauf zu verschwenden, drückte sie Jeongguk einen Fünziger in die Hand und stand auf.

„Behalt den Rest, Schätzchen, und trag mich schon einmal für den nächsten Monat ein. Mein Mann wird mich kaum wieder erkennen", strahlte sie ehrlich. „Und besorg dir bitte in der Zwischenzeit einen Freund über den du dich dann bei mir beschweren kannst. Ist ja nicht auszuhalten, wie dich die Arbeit einnimmt."

„Ach... mir macht sie Spaß", beruhigte Jeongguk Mrs. Jang und begleitete die alte Dame zum Ausgang. Eigentlich trafen ihre Worte schon auf fruchtbaren Boden, doch er würde später einfach ein bisschen darauf herumtrampeln und sie hätten sich erledigt. Es war die Wahrheit; er hätte tatsächlich keine Zeit für so etwas wie eine Beziehung. Und keine Lust ebenfalls.

„Ich will's ja nur gesagt haben. Du hast dein ganzes Leben noch vor dir und es gibt so viele Menschen auf der Welt, die sich Hals über Kopf in dich verlieben würden."

Ganz bestimmt sogar.
Jeongguk verkniff sich seine sarkastische Antwort und verabschiedete Mrs. Jang mit einem Lächeln. Er hatte wirklich nichts gegen sie. Sie war eine der wenigen Kundinnen, die sich normal mit ihm unterhalten konnte, aber ihr Hang zur Romantik war nicht auszuhalten. Wenn Jeongguk ihr erzählen würde, dass er letzte Woche Freitag erst einen Blowjob von einem Typen bekommen hatte, dessen Gesicht er nicht einmal erkannt hatte, wäre sie vom Stuhl gekippt.

Jeongguk wollte sich gerade umdrehen und „Der Nächste" rufen, als seine Mutter aus dem hinteren Teil des Ladens auf ihn zugeeilt kam mit einem Zettel in der Hand. Sofort sackte Jeongguks Laune noch ein wenig tiefer.

„Jeonggukkie, Schatz. Du kannst für heute Schluss machen. Ich brauch noch ein paar Sachen vom Markt und es wäre echt lieb, wenn du..."
„Schon gut. Ich gehe", beschwichtige Jeongguk sie und hob die Hände, um jeden Überredungsversuch von ihr im Keim zu ersticken. Er hatte schon lange aufgehört, sich gegen die Drecksarbeit zu wehren, für die er immer den Kopf hinhalten musste. Obwohl einkaufen noch das Harmloseste von dem war.

„Wie viel hast du?"
„Fünfzig."
„Das reicht. Hier ist die Liste. Dein Vater kommt heute früher von der Arbeit, damit wir zusammen essen können."
„Ist irgendwas besonderes?" Wenig begeistert nahm Jeongguk den Zettel entgegen und zog sich seine alte, viel zu dünne Strickjacke über. „Er lässt sich doch sonst nicht blicken, wenn er weiß, dass ich zuhause bin."

Mürrisch und ohne eine Antwort abzuwarten wollte Jeongguk sich gerade umdrehen und den Friseur Salon verlassen, als seine Mutter nach seinem Handgelenk griff und ihn zurückhielt. Sie war klein, mager, hatte tiefe Schatten unter den Augen und machte trotz ihrer fünfundvierzig Jahre den Eindruck einer Sechzigjährigen. Trotzdem fuhr Jeongguk bei dieser Entschlossenheit eine unangenehme Kälte seinen Arm hinauf, die ihn stehen bleiben und zurücksehen ließ.

„Wir haben dir etwas zu sagen", meinte sie leise und starrte zu ihrem Sohn hinauf, als erwartete sie eine Nachfrage oder ähnliches, doch Jeongguk nickte nur leicht und machte einen Schritt zurück.
Sie ließ ihn los.

„Ich beeil mich", nuschelte er, wenig interessiert daran, was offensichtlich so wichtig war, das selbst sein Vater ihn wieder eines Blickes würdigte.
Sein Leben plätscherte dahin wie ein Bach. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich vor ihm ein Wasserfall auftun würde, war äußerst gering.

„Und wenn du schon mal dabei bist... ich komme hier nicht vor sechs raus. Könntest du schon einmal mit kochen anfangen?"

Jeongguk nickte und atmete tief durch. Natürlich.
Er würde kochen. So wie jeden Tag in den letzten zwei Monaten. Was fragte sie ihn überhaupt noch jedes Mal?

„Danke, Schatz", lächelte sie matt und Jeongguk drehte sich von ihr weg, um den Salon zu verlassen.

Die kalte Luft schlug ihm entgegen und augenblicklich fing er wieder an zu frösteln. Das Loch an seiner Hose hatte er noch immer nicht genäht und seine Jacke hielt vielleicht eine laue Sommerbrise ab. Obwohl es schon Anfang März war. Im Winter hatte er sich bei solchen Temperaturen zwei Pullover übereinander gezogen, doch heute Morgen, als er den Kalender umgeblättert hatte, war ihm das dämlich vorgekommen.

Die Geräuschkulisse des Spätnachmittag in der Einkaufsstraße war sehr laut im Vergleich zu der leisen Radiomusik und dem Gemurmel im Innern des Ladens seiner Mutter. Jeongguk wollte gerade sein Handy aus der Tasche ziehen, um mithilfe von Musik den Anblick um sich herum zu vergessen, als er von der Fußgängerzone her auf einmal das Schwanensee-Thema vom Tschaikowski hörte.

Laut. Sehr laut.
Vermutlich über drei Boxen. Eine blau, zwei violett.

Grinsend schob Jeongguk den Fünfziger tiefer in seine Hosentasche und folgte den Klängen des Balletts.
Der Markt würde schon nicht weglaufen.











Das Tollste an Geburtstagen sind die Unmengen an Kuchen...

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Flying On Faith [Chungha]

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