ℕ𝕖𝕦𝕟𝕦𝕟𝕕𝕧𝕚𝕖𝕣𝕫𝕚𝕘

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Mittlerweile lagen bereits etliche Anrufversuche hinter mir, aber wie befürchtet, gab es keine Chance, Dylan telefonisch zu erreichen. Sein Handy war ausgeschaltet und ehrlich gesagt hatte ich auch nichts Anderes erwartet.

Megan schien ebenfalls wie vom Erdboden verschluckt, allerdings war ich in diesem Augenblick auch froh, sie nicht um mich zu haben. Der Alkohol mochte sie dazu gebracht haben, meine Geheimnisse auszuplaudern, aber unabhängig davon, konnte ich nicht einfach so darüber hinwegsehen. Trotzdem hoffte ich, mich bald ebenfalls mit ihr aussprechen zu können.

Umso dankbarer war ich, meine Schwester an meiner Seite zu wissen. Sie schien die Sache mit Quentin erstaunlich gut weggesteckt zu haben, was wohl auch daran lag, dass sie der Beziehung rückblickend ohnehin keine großen Zukunftschancen eingeräumt hatte. Allerdings schämte ich mich trotz allem unglaublich.

»So!«, rief Danielle, als sie mit einem Spiegel und ihrer Kulturtasche aus dem Badezimmer zurückkehrte. »Jetzt werden wir versuchen, dich irgendwie wieder vorzeigbar zu machen.«

Als ich sie daraufhin fragend ansah, hielt sie mir kommentarlos den Spiegel vor mein Gesicht. Meine braunen Augen waren vom vielen Weinen blutunterlaufen, die Augenlider rötlich geschwollen und auch der Rest meines Gesichtes wurde von großflächigen Stressflecken geziert.

»Oh Gott«, stöhnte ich nur und schob den Spiegel mit einer schnellen Bewegung beiseite. Ich wollte diesen Anblick keine Sekunde länger ertragen.

»Japp«, kam es von ihr trocken zurück, bevor sie vielsagend ihre Kulturtasche in die Luft streckte, »sei froh, dass ich für solche Notfälle gut ausgerüstet bin.«

Ehe ich mich versah, vollzog sie auch schon das volle Programm. Meine Gedanken kreisten jedoch bloß um Dylan. Was machte er gerade? Würde er meinen Brief überhaupt lesen? Und wenn ja, konnte ich ihn damit zurückgewinnen?

Ich fühlte mich kraftlos, als Danielle mich anschließend in den Stand zog. »Wag es bloß nicht, wieder zu weinen«, mahnte sie mich, als sie den Brief vom Schreibtisch nahm und ihn mir in die Hand drückte. »Du wirst jetzt zu Dylan gehen und ihm den verdammten Brief überreichen, verstanden?«

»Du kommst doch mit, oder?« Ängstlich sah ich von dem Schriftstück in meiner Hand zu meiner Schwester.

»Klar«, beruhigte sie mich und griff nach meiner Hand, um mich auf der Stelle ins Erdgeschoss zu ziehen. Ich bekam mit, wie sie unseren Eltern irgendeine Ausrede auftischte, bevor wir uns schließlich gemeinsam auf den Weg machten.

****

Mit klopfendem Herzen schritt ich die Straße entlang, meine Finger fest um den Brief geschlossen. Ich ignorierte die Hitze der mittlerweile hochstehenden Sonne, denn ich würde wahrscheinlich ebenso schwitzen, wenn wir Minusgrade hätten. Es fühlte sich an, als käme die Hitze aus meinem tiefsten Inneren.

Als wir in die Zielstraße einbogen, blieb Danielle plötzlich stehen. »Kommst du?«, forderte ich sie auf, aber sie schüttelte bloß ihren Kopf.

»Die letzten Meter schaffst du allein«, antwortete sie zuversichtlich und ich spürte sofort, dass jeglicher Protest sinnlos gewesen wäre. Wahrscheinlich hatte sie recht, ich würde versuchen, Dylan den Brief persönlich zu übergeben und das sollte ich wohl alleine bewerkstelligen. »Viel Glück! Du schaffst das!«, rief sie mir nach, aber ihre Worte wurden auf unangenehme Weise von dem lauten Pochen meines eigenen Herzschlages übertönt.

Mit jedem weiteren Schritt sank mein Selbstvertrauen und als ich kurz davor war, unverrichteter Dinge umzudrehen, erblickte mich Mrs. Foster. Sie arbeitete mal wieder in ihrem Vorgarten, als sie mich bereits in einiger Entfernung entdeckte.

Die ältere Frau klopfte sich die Hände an ihrer Hose ab und, kam nun direkt auf mich zu. »Hallo Claire!«, begrüßte sie mich freundlich, aber ich konnte deutlich sehen, dass sie etwas bedrückte. »Wenn du zu Dylan möchtest, bist du leider ein wenig zu spät.«

»Oh«, machte ich wenig geistreich und blickte mich verloren um. »Wann ... wann wird er wieder zu Hause sein?«

»Er war heute Morgen nach dem Besuch deiner Freundin ziemlich aufgewühlt. Außerdem hat er mir mitgeteilt, dass er bald nach Hause zurückkehren möchte. Nachdem er seine Eltern angerufen hat, hat er das Haus verlassen und ...« Mit versteinerter Miene beobachtete ich, wie sich Tränen in den Augen von Mrs. Foster sammelten. »... bisher ist er noch nicht zurückgekehrt.«

»Meine Freundin war hier?«, wiederholte ich ungläubig und plötzlich fiel mir ihr Versprechen, es wieder gutmachen zu wollen, ein. Offenbar hatte sie es mit dieser Aktion tatsächlich geschafft, Dylan noch mehr aufzuwühlen.

»Er ist ein Hitzkopf. Er wird sicher wieder zurückkommen, wenn er sich beruhigt hat und so lange lenke ich mich ein wenig mit Gartenarbeit ab«, erklärte meine Gesprächspartnerin schließlich und deutete hinter sich auf ein frisch umgegrabenes Blumenbeet.

Ich musste schwer gegen den Kloß in meinem Hals schlucken, als ich ihr kurzerhand den Brief in die Hand drückte. »Können Sie ihm den geben, wenn er wiederkommt?«, brachte ich mit brüchiger Stimme hervor, während ich es vermied, ihr in die Augen zu sehen. Anderenfalls würde ich wohl erneut in Tränen ausbrechen.

»Du hast viel für meinen Neffen getan, Claire«, ergriff sie erneut das Wort. »Ich weiß zwar nicht, was genau vorgefallen ist, aber ich kann dir sagen, dass du die erste Person warst, die er wieder in sein Herz gelassen hat und natürlich werde ich deinen Brief an ihn weiterleiten.«

Nun konnte ich die Tränen doch nicht mehr zurückhalten. Halbherzig wischte ich sie mit dem Handrücken weg und Mrs. Foster lächelte milde, als sie sich über den weißen Gartenzaun beugte und mich kurzerhand in den Arm nahm.

Who Is Dylan?Where stories live. Discover now