𝕊𝕚𝕖𝕓𝕖𝕟

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Fassungslos darüber, wie schnell ich meine Vorsätze über Bord geworfen hatte, starrte ich auf den Bildschirm meines Laptops. Es war gar nicht so einfach gewesen, das entsprechende Formular beim digitalen Archiv von South Carolina auszufüllen. Zusätzlich zu den erfragten Daten musste ich nämlich einen Grund für die Anfrage eintragen. Nur was würde es rechtfertigen, nach einem völlig Fremden zu suchen?

Nachdem ich einige Zeit über eine Begründung – welche nicht nach durchgeknallter Stalkerin klang – gegrübelt hatte, gab ich kurzerhand an, nach einem alten Freund zu suchen. Nicht sehr kreativ, aber mir fiel tatsächlich nichts Besseres ein. Natürlich musste ich ebenfalls die möglichen Geburtsjahre der Person, nach der ich suchte, eintragen. Ich entschied mich dazu, das mögliche Alter auf die Geburtsjahre von männlichen Einwohnern zwischen sechzehn und achtzehn zu beschränken. Dabei hatte ich natürlich keine Ahnung, ob Greg überhaupt in diese Altersspanne passte. Immerhin könnte es sich durchaus auch um ein deutlich jüngeres – oder älteres – Familienmitglied handeln. Außerdem musste ich natürlich veranschlagen, wie viele Jahre rücklaufend gesucht werden sollte. Hier legte ich mich spontan auf die letzten zwei Jahre fest.

Unschlüssig ließ ich den Zeiger der Maus über dem Absende-Button kreisen. Warum nur war ich so besessen davon, zu erfahren, wer dieser Dylan war und welches Schicksal Greg ereilt hatte?

Ich hielt die Luft an, presste meine Augen fest zusammen und schloss die Anfrage ab. Gleich nachdem ich auf das Feld geklickt hatte, knallte ich meinen Laptop zu und sprang von meinem Stuhl auf. Nun blieb mir nichts weiter übrig, als zu warten. Zusätzlich schwor ich mir jedoch, mit der Suche aufzuhören, sollte ich auch im Archiv nicht fündig werden. Schließlich konnte ich nicht wissen, ob die beiden überhaupt aus South Carolina stammten.

Ich zwang mich, tief durchzuatmen und bewegte mich langsam zu meinem Nachttisch, wo ich das Handy vom Ladekabel löste. Aufgewühlt öffnete ich den Nachrichtenverlauf mit Megan und beschloss, sie gleich über den neusten Stand in Kenntnis zu setzen. Erleichtert stellte ich fest, dass sie gerade online war.

Ich habe die Anfrage
beim Archiv gestellt.
Wenn das nichts ergibt,
höre ich mit der
Suche auf.

Warte erst mal ab.
Vielleicht ist ja
ein Treffer dabei.

Mal sehen.
Mich nervt es,
permanent nur
daran denken
zu können.

Endlich ist mal
was los bei dir ;)

MEGAN!

Was denn?
Ist ja nicht so,
als wären unsere
Leben sonst super
spannend.

Muss mich jetzt für
die Arbeit fertigmachen.
Ich melde mich
wieder bei dir.
Bis später!

Alles klar und
halt mich bloß
auf dem
Laufenden.

Langsam ließ ich mein Handy zurück auf den Tisch sinken. Für Megan schien das alles nur ein Spiel zu sein, was mir überhaupt nicht gefiel. Andererseits war sie nicht auf der Brücke dabei gewesen, weshalb sie keine Vorstellung davon hatte, wie es war, einen Menschen in solch einer Situation zu beobachten.

****

»Kannst du in der Küche Bescheid geben, dass Mrs. Foster einmal den Shrimp-Burger mit Pommes zum Mitnehmen möchte?« Meine Mom rief mir die Worte im Vorbeigehen zu, während ich eigentlich dabei war, einen der Tische für eine anstehende Reservierung herzurichten.

Seufzend ließ ich daraufhin den Putzlappen auf das Holz sinken, um die Köche über den Wunsch der Kundin in Kenntnis zu setzen. Es war nicht ungewöhnlich, dass Speisen zum Mitnehmen bestellt wurden. Allerdings hatte die ältere Dame nur ein paar Minuten zuvor bereits eine komplette Hauptspeise bei uns verzehrt, was mich zugegebenermaßen ein wenig irritierte. Trotzdem war es nicht mein Job, Fragen zu stellen. Der Kunde war König und wenn er sich zwei Hauptspeisen bestellte, war das halt so.

Kurz darauf nahm ich das gewünschte Gericht in der Küche fertig verpackt entgegen und brachte es in den Hauptbereich des Lokals, wo Mrs. Foster bereits auf mich wartete. Ihre braunen Augen blickten mir freundlich entgegen, als ich mich auf sie zubewegte.

»Vielen Dank«, richtete sie sich höflich an mich, als sie ihre Bestellung entgegennahm. Früher war sie oft gemeinsam mit ihrem Mann bei uns gewesen, allerdings war dieser bereits vor einigen Jahren verstorben, weshalb sie unser Lokal nur noch alleine aufsuchte.

»Guten Appetit und noch einen schönen Abend«, wünschte ich ihr daraufhin und wollte mich schon wieder von ihr abwenden, als sie kurz auflachte.

»Oh nein, das ist doch nicht für mich«, erklärte sie kopfschüttelnd und deutete auf die Schale in ihrer Hand. »Im Moment habe ich meinen Neffen zu Besuch. Er hatte leider keine Lust mich zum Essen zu begleiten, deshalb bringe ich ihm etwas mit.«

»Wenn das so ist, hoffe ich natürlich, dass es Ihrem Neffen schmecken wird«, erwiderte ich pflichtbewusst und versuchte, meine freundliche Miene aufrecht zu erhalten. Insgeheim fand ich es nämlich ziemlich gemein, dass besagter Neffe seine Tante nicht zum Essen begleiten wollte. Bei ihren Besuchen betonte sie oft, wie einsam sie war und nun hatte sie offenbar jemanden da, der keinen Wert auf ihre Gesellschaft legte.

»Das werde ich ihm ausrichten«, gab sie milde lächelnd zurück. »Er ist eigentlich ein guter Junge, aber im Moment macht er eine schwere Zeit durch, da ist es nicht immer leicht, ihn zum Essen zu überreden.«

»Oh, das tut mir sehr leid.«

»Er wird schon wieder. Mein Bruder hat Dylan schließlich zu mir geschickt, damit er auf andere Gedanken kommt und ich bin sicher, Beaufort wird ihm dabei helfen.«

Who Is Dylan?Where stories live. Discover now