𝕊𝕖𝕔𝕙𝕤𝕦𝕟𝕕𝕕𝕣𝕖𝕚ß𝕚𝕘

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Unterbewusst hatte ich während Dylans Erzählung die Luft angehalten, so dass ich irgendwann unauffällig nach Luft schnappen musste. Er saß noch immer neben mir, vermied es jedoch, mich direkt anzusehen. Zumindest kam es mir so vor.

Der dicke Kloß, welcher sich in meinem Hals gebildet hatte, hinderte mich ohnehin daran, etwas auf seine Offenbarung zu antworten. Ganz davon abgesehen, dass ich nicht mal wusste, was ich darauf erwidern sollte. Keine Worte der Welt würden seinen Schmerz lindern können, dessen war ich mir bewusst, weshalb ich dem Drang widerstand und stattdessen zaghaft einen Arm um ihn legte.

Ich wollte einfach nur für ihn da sein und blinzelte heimlich meine eigenen Tränen weg, als ich meinen Kopf seitlich auf seiner Schulter ablegte. Eine Zeit lang saßen wir einfach nur stumm nebeneinander, aber an seiner Körpersprache erkannte ich, dass er sich langsam wieder entspannte.

Mittlerweile war die Sonne untergegangen und durch das Loch in der Decke konnten wir den von rötlichen Streifen durchzogenen Abendhimmel beobachten. Früher hatte ich nie darüber nachgedacht, aber in diesem Moment erkannte ich, wie romantisch dieser besondere Platz sein konnte.

»Ich vermisse ihn«, merkte Dylan irgendwann leise an, was mich dann doch dazu veranlasste, den Kopf von seiner Schulter zu nehmen und ihn anzusehen. Sein Schmerz schien fast greifbar und doch war es mir nicht möglich, ihm etwas von seiner Last zu nehmen.

»Wahrscheinlich wirst du ihn immer vermissen, aber das bedeutet nicht, dass du dich ein Leben lang bestrafen musst.« Es hatte mich all meinen Mut gekostet, diesen Satz laut auszusprechen. Instinktiv hielt ich die Luft an. War ich damit vielleicht zu weit gegangen?

Angespannt lauschte ich den Atemzügen von Dylan, während ich inständig hoffte, keine imaginäre Grenze überschritten zu haben. »Greg hätte wahrscheinlich etwas Ähnliches gesagt«, erwiderte er schließlich und eine Welle der Erleichterung durchfuhr mich. »Er fand immer die richtigen Worte, egal um was es ging.«

Vollkommen unerwartet suchte Dylan meinen Blick. In seinen Augen lag Trauer, aber auch Hoffnung und ich konnte nicht anders, als vorsichtig eine Hand auf seiner Wange zu platzieren.

Obwohl er so unnahbar wirkte, hatte er sich mir geöffnet.

Ohne weiter darüber nachzudenken, beugte ich mich in seine Richtung. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, bevor er die letzten Zentimeter zwischen uns überbrückte, um seine Lippen zärtlich auf meine zu legen. Ganz von allein öffnete ich meinen Mund, um ihn schmecken zu können. Mein Bauch kribbelte verdächtig, als er seine Hände währenddessen über meinen Rücken gleiten ließ. Ihn zu küssen war unglaublich, es löste Gefühle in mir aus, von denen ich nicht einmal wusste, dass sie überhaupt existierten.

Langsam ließ ich meine Hände ebenfalls über seinen Oberkörper wandern, spürte die angespannten Muskeln unter seinem Shirt. Die Hitze seines Körpers, sein Geruch ... All das vernebelte mir die Sinne und ich kam erst wieder richtig zu mir, als wir uns schwer atmend voneinander lösten.

»Was machst du nur mit mir?« Sein heißer Atem streifte mein Gesicht, als er heiser die Worte aussprach.

»Bist du okay?«, erwiderte ich nur leise, während ich vorsichtig nach seiner Hand griff. Es war nicht so, als wirkte er besonders zerbrechlich, allerdings wusste ich mittlerweile, dass das äußere Erscheinungsbild nicht unbedingt Rückschlüsse auf die entsprechende Person lieferte.

»Genau das ist der Punkt«, antwortete er schließlich ungläubig. »Ich dachte, ich würde niemals mehr okay sein und doch sitze ich gerade mit dir hier und fühle mich gut.«

Er fühlte sich besser. Endlich. Es lag noch ein langer Weg vor ihm, dessen war ich mir bewusst, aber trotzdem erfüllte mich diese Verbesserung seines Gemüts mit Glück.

»Ich weiß nicht, wie lange ich noch hierbleiben werde«, wechselte er plötzlich nachdenklich das Thema. »Du weißt, dass ich irgendwann zurück nach England gehen muss, oder?«

»Ja«, antwortete ich schlicht und ignorierte dabei die Schwere meines Herzens. »Aber jetzt bist du hier – bei mir.«

Dylan lächelte mich liebevoll an, bevor er erneut meine Lippen suchte. »Gerade gäbe es auch keinen Ort, wo ich lieber wäre«, murmelte er in unseren Kuss hinein und brachte mein Herz mit dieser Äußerung erneut zum Hüpfen.

Irgendwann klingelte mein Handy. Als ich es aus der Tasche zog, wurde mir ein eingehender Anruf von Megan angezeigt.

»Geh ruhig dran«, ergriff Dylan das Wort, während ich noch immer unschlüssig auf das Display blickte. Ich wollte die Stimmung zwischen uns nicht durch ein Telefonat zerstören, war aber trotzdem neugierig darauf, zu erfahren, warum Megan mich anrief.

»Hey«, begrüßte ich meine beste Freundin schließlich und hoffte inständig, dass sie nichts Peinliches sagen würde.

»Na, wie war die Verabredung mit deinem mysteriösen Freund?«, quasselte sie drauf los und mir war sofort bewusst, nicht schnell genug die Lautstärke nach unten reguliert zu haben. Ganz davon abgesehen, würde er sie wahrscheinlich auch dann noch verstehen können.

»Wir sind noch zusammen unterwegs.«

»Oh!«

»Ich rufe dich später zurück, ja?«

»Moment! Wo seid ihr?«

»In der alten Scheune.«

»Claire! Sag mir bitte nicht, dass ihr es dort getrieben habt!«

»Oh mein Gott, Megan! Er sitzt neben mir und kann jedes Wort hören. Ich lege jetzt auf!«

»Warte!«

»Hast du noch irgendwelche anderen Sprüche, mit denen du mich blamieren willst?«

»Sollen wir uns vielleicht Morgen endlich mal zu viert treffen und ein bisschen zusammen abhängen?«

Hilfesuchend sah ich zu Dylan, der ihre Anfrage natürlich gehört hatte. Ohne zu zögern signalisierte er mir mit einem Nicken, einverstanden zu sein.

»Okay«, stimmte ich schließlich augenrollend zu, woraufhin Megan sofort aufgeregt zu quietschen begann. »Ich rufe dich später zurück«, ergänzte ich noch, bevor ich kopfschüttelnd das Telefonat beendete.

Beschämt warf ich das Telefon neben mich, um mein Gesicht peinlich berührt in meinen Händen zu verbergen. Megan war schon immer ziemlich gut darin gewesen, mich mit ihrem losen Mundwerk in Verlegenheit zu bringen. Dylan schien das Ganze jedoch amüsant zu finden, denn ich konnte ihn neben mir lachen hören.

Ich hoffte währenddessen nur inständig, meine Zusage nicht noch zu bereuen.

Who Is Dylan?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt