𝕍𝕚𝕖𝕣𝕦𝕟𝕕𝕫𝕨𝕒𝕟𝕫𝕚𝕘 // 𝔻𝕪𝕝𝕒𝕟

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Dylan

Die schwüle Abendhitze brannte sich in meine Lungen, während ich mit schnellen Schritten in der Menge verschwand. Was war nur in mich gefahren? Wie hatte Claire mich dazu gebracht, ihr derart detailliert von Greg zu erzählen?

Kopfschüttelnd – und noch immer fassungslos –  drängte ich mich an einer Gruppe besoffener Touristen vorbei, woraufhin sich mir einer der Typen unvermittelt in den Weg stellte. »Du hast es aber eilig«, lallte er, während er mit einer Bierflasche auf mich deutete. »Ich lasse mich ungern anrempeln, klar?«

Wortlos schob ich die Flasche von mir und versuchte, einfach weiterzugehen. Eine Konfrontation würde in meiner Verfassung keinesfalls glimpflich ausgehen, das war mir vollkommen klar. Allerdings dachte der andere gar nicht daran, es einfach gut sein zu lassen. Er griff mit seiner freien Hand nach meiner Schulter und legte seine Finger wie einen Schraubstock um sie: »Ich rede mit dir, Arschloch.«

Dann ging alles ganz schnell. Innerhalb weniger Sekunden landete meine Faust mitten in seinem Gesicht und verursachte dabei ein unüberhörbares, knackendes Geräusch. Obwohl ich es nicht genau gesehen hatte, vermutete ich, dass das Knacken von seiner Nase kam. Mein Gegenüber war so perplex, dass er nicht mal versuchte, sich zu wehren. Stattdessen landete seine Bierflasche mit einem lauten Knall auf dem Boden, während er benommen rückwärts taumelte. Hatte ich ihm etwa die Nase gebrochen? Selbst wenn, juckte es mich nicht. Noch bevor seine Freunde auf die Situation reagieren konnten, setzte ich meinen Weg unbeeindruckt fort und niemand hinderte mich daran.

Eigentlich war ich nicht der Typ für körperliche Auseinandersetzungen, aber selbst in diesem Moment fühlte ich nichts. Mir war schlichtweg alles egal.

Ohne ein bestimmtes Ziel lief ich an der Promenade entlang und bog schließlich in eine der weniger besuchten Nebenstraße ab. Ich ignorierte das gleichmäßige Pochen in meiner Hand, stattdessen musste ich erneut an das Mädchen denken, was aus einem mir nicht erklärbaren Grund in mein Leben getreten war. Kurz überlegte ich, ob Greg sie wohl zu mir geführt hatte und bei der Vorstellung verzog sich mein Mund für den Bruchteil einer Sekunde zu einem schiefen Grinsen. Er hätte sie gemocht, da war ich mir sicher. Wohingegen ich in meinem Leben vor Gregs Tod wohl kaum ein Wort mit ihr gewechselt hätte.

Sie war unscheinbar und obwohl ich ihre ruhige Art früher ganz sicher als langweilig bezeichnet hätte, war ihre Gesellschaft das Einzige, was ich im Moment ertragen konnte. Natürlich bemühte sich meine Tante ebenfalls darum, mir den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten, aber tief in mir drin wollte ich noch immer allein sein. Ich hatte es nicht verdient hier zu sein und diese Erkenntnis würde ich bis zum Ende meines Lebens mit mir herumtragen.

»Hey«, rief mir plötzlich irgendein Kerl von der gegenüberliegenden Straßenseite zu. Er stand in der Einfahrt vor einem dieser riesigen, weiß gestrichenen Häuser und signalisierte mir mit seiner Handbewegung, dass ich zu ihm kommen sollte. Im Hintergrund nahm ich ziemlich laute Musik und unüberhörbares Stimmengewirr wahr.

Irritiert blickte ich über meine Schulter, um zu checken, ob er wirklich mich meinte. Da hinter mir niemand war, schnellte mein Blick zurück zu ihm. »Was ist?«, wollte ich schließlich von ihm wissen, insgeheim bereits auf eine weitere Auseinandersetzung eingestellt. Anstelle einer Antwort schloss er jedoch zu mir auf.

»Du bist doch Marc, oder?«, redete der Fremde sofort euphorisch auf mich ein. »Kyle hat mich nach unten geschickt, um auf dich zu warten. Nachschub ist dringend notwendig.« Er deutete verheißungsvoll auf das Haus hinter sich.

»Sorry, ich kann dir leider nicht weiterhelfen«, erklärte ich und hob abwehrend meine Hände. Was auch immer dieser Marc vorbeibringen wollte, ich konnte nicht damit dienen.

»Ach fuck«, stöhnte mein Gegenüber daraufhin genervt auf. »Wäre auch zu schön gewesen. Dann werde ich wohl weiter warten müssen.«

»Viel Glück dabei«, erwiderte ich kurzangebunden, bevor ich mich auch schon wieder abwandte. So viel menschliche Interaktion wie heute, hatte ich schon lange nicht mehr erlebt.

»Aber hey, falls du Bock auf ein bisschen Party hast«, er deutete erneut vielsagend auf das Gebäude hinter sich, »kannst du hier auf jeden Fall auf deine Kosten kommen. Es sind eh schon etliche Leute im Haus, die kein Mensch kennt.«

»Keine gute Idee, fürchte ich.«

»Wie du meinst«, gab er schulterzuckend zurück. »Dann noch viel Spaß bei was-auch-immer.«

Für einen Augenblick verharrte ich auf der Stelle. Natürlich hatte ich keine Lust auf irgendeine beschissene Party. Allerdings lockte mich plötzlich die Aussicht auf kostenlosen Alkohol, weshalb ich mich nach kurzem Zögern doch noch einmal an meinen Gesprächspartner wandte. »Weißt du was? Vielleicht ist dein Vorschlag doch nicht so schlecht.«

»Besser als alleine durch die Straßen zu ziehen ist es auf jeden Fall«, erklärte dieser daraufhin lachend. »Mein Name ist übrigens Matt«, er hielt mir erwartungsfroh seine Hand hin.

»Dylan«, antwortete ich und schlug ein. Erst das Einschießen des Schmerzes erinnerte mich daran, dass ich vorerst besser vorsichtig mit meiner Verletzung sein sollte. Natürlich ließ ich mir nichts anmerken und setzte stattdessen eine neutrale Miene auf.

Genau in diesem Moment schloss besagter Marc zu uns auf und händigte Matt einen schwarzen Rucksack aus. Der Inhalt klirrte verdächtig, was mich in meiner Annahme bestätigte:

Ich würde diese Party benutzen, um mich mal wieder richtig abzuschießen.

Who Is Dylan?Where stories live. Discover now