𝔼𝕚𝕟𝕦𝕟𝕕𝕫𝕨𝕒𝕟𝕫𝕚𝕘

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Danielle hatte sich schließlich für eine der zahlreichen True-Crime-Dokus entschieden, während ich erneut meine Freundin als Ausrede vorschob. »Ich werde dann mal zu Megan rübergehen«, erklärte ich abschließend mit einem Fingerzeig in Richtung unserer Haustür.

»Alles klar. Bis später, Nervensäge«, erwiderte meine Schwester bereits vollkommen abwesend, ohne den Blick vom Fernseher abzuwenden.

Da ich nicht wusste, wie nah Dylan unserem Haus tatsächlich war, bedankte ich mich innerlich für ihre geistige Abwesenheit und schlüpfte aufgeregt in meine Converse. Anschließend atmete ich einmal tief ein, öffnete unsere Haustür und trat langsam nach draußen. Es dauerte nicht lange, da hatte ich Dylan auch schon entdeckt. Er stand auf der anderen Straßenseite, den Blick nachdenklich in die Ferne gerichtet. Während er mein Auftauchen nicht einmal bemerkt hatte, verursachte sein Anblick sofort ein zaghaftes Kribbeln in meiner Magengegend.

»Hi«, riss ich ihn aus seinen Gedanken, als ich ihn endlich erreicht hatte. Ich ignorierte meinen heftigen Herzschlag und zwang mir ein Lächeln auf.

»Hey«, erwiderte er meine Begrüßung und die Intensität seiner Augen raubte mir erneut den Atem. »Also ...«, ergriff er erneut das Wort. »Wohin gehen wir?«

»Ähm«, machte ich wenig geistreich, denn ehrlich gesagt hatte ich mir darüber überhaupt keine Gedanken gemacht. Unschlüssig sah ich mich in beide Richtungen um, bevor ich schließlich in eine deutete. »Lass uns erstmal zum Hafen gehen, da ist eigentlich immer etwas los«, schlug ich unsicher vor, denn offen gestanden war es mir ziemlich unangenehm, so unvorbereitet zu sein. Immerhin war er nur zu Besuch in Beaufort und eigentlich lag es auf der Hand, dass ich mir etwas für unsere Verabredung überlegen sollte.

Glücklicherweise schien er mit meinem Vorschlag einverstanden zu sein, denn er setzte sich sofort bereitwillig in Bewegung. »Bleibst du den Sommer über immer zu Hause?«, wollte er irgendwann von mir wissen, während wir gemeinsam in eine der gepflasterten Gassen abbogen.

»Für meine Eltern und ihr Restaurant bedeutet der Sommer Hochsaison, daher ist Urlaub zu dieser Zeit leider nicht drin«, erklärte ich schulterzuckend. Natürlich nervte es mich, wenn meine Freunde über den Sommer nicht da waren und ich quasi allein zurückblieb, aber es war meine Realität und mittlerweile hatte ich mich damit abgefunden. »Und du? Was hast du sonst im Sommer gemacht?«

Ich hielt kurz die Luft an, denn ich wollte ihm nicht zu nahetreten.

»Meine Eltern und ich sind eigentlich immer für zwei Wochen nach Spanien geflogen. Den restlichen Sommer habe ich zu Hause mit meinen Freunden verbracht.« Ich versuchte aus seinen Worten herauszulesen, ob ich mit weiteren Fragen zu weit gehen würde. Immerhin hatte ich noch immer keine Ahnung, welche Rolle Greg in all dem spielte. Zwar war mittlerweile klar, dass sie sich sehr nahegestanden hatten, aber ob sie Freunde, Brüder oder auf andere Weise verwandt waren, wusste ich noch immer nicht.

»Nach Spanien wollte ich auch immer mal«, entschied ich mich schließlich für eine unverfängliche Aussage. »Allerdings habe die Staaten bisher noch nie verlassen.«

»Spanien ist eine Reise wert«, versicherte er mir, während wir geradewegs auf die Uferpromenade zusteuerten. Es herrschte reger Wochenendbetrieb und ich war recht zuversichtlich, das Lokal meiner Eltern in dem Gedränge unerkannt passieren zu können.

Als wir am Restaurant ankamen, beschleunigte ich sicherheitshalber meinen Schritt und drängte mich hektisch an den Touristen vorbei. Im Affekt griff ich nach Dylans Hand, um ihn in der Menschenmenge nicht zu verlieren. Nachdem wir den Abschnitt mit den Bars und Restaurants hinter uns gelassen hatten, wurde der Andrang weniger. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich einfach so seine Hand genommen hatte.

Hitze flutete meinen Körper, während ich peinlich berührt die Verbindung zu ihm löste. Wir legten die letzten Meter zum Hafen schweigend zurück, worüber ich sehr dankbar war. Insgeheim hatte ich nämlich mit einem spöttischen Kommentar gerechnet.

Es dämmerte bereits, als wir schließlich den breiten Holzsteg betraten. Er führte ein gutes Stück über den großen Fluss, während Boote verschiedener Größe links und rechts neben dem dunklen Steg verweilten und auf ihren nächsten Einsatz warteten.

»Gehört deinen Eltern eines von denen?«, wollte Dylan irgendwann von mir wissen, während er sich neugierig umsah und die Boote betrachtete.

»Leider nicht«, erklärte ich schulterzuckend, denn tatsächlich gehörten meine Eltern zu der Minderheit von Einwohnern, die über kein eigenes Boot verfügten. »Mein Dad meint immer, er hätte keine Zeit für sowas, aber wenn du mich fragst, ist das nur eine Ausrede«, schob ich schmunzelnd hinterher.

»Ausrede?«, hakte Dylan verwundert nach. »In wie fern?«

»Ich glaube, er mag es einfach nicht und schiebt die fehlende Zeit als Ausrede vor, um sein Gesicht nicht zu verlieren. Ein Boot zu besitzen gehört in einer Stadt wie Beaufort schon fast zum guten Ton, verstehst du?«

»Verstehe«, antwortete Dylan nickend und ich meinte, den Anflug eines Lächelns auf seinem Gesicht gesehen zu haben. »Und du? Hättest du gern ein eigenes Boot?«

»Ehrlich gesagt habe ich noch nie darüber nachgedacht. Für mich war es immer normal, dass wir kein Boot besitzen, aber ich schätze, zu einem eigenen Boot würde ich nicht Nein sagen.«

Dylan nickte wieder und lehnte sich anschließend gegen das Geländer, um mich ansehen zu können. Kurz rechnete ich damit, dass er noch etwas zu den Booten sagen würde, aber er betrachtete mich schweigend.

»Also ...«, ergriff er doch irgendwann das Wort. »Was genau möchtest du wissen?«

»Was meinst du?«, brachte ich überfordert hervor. Natürlich gab es tausend unbeantwortete Fragen, aber ich wollte auf keinen Fall taktlos wirken.

»Du hast mich auf der Brücke gesehen und dachtest, ich wollte mich umbringen. Dann hast du meinen Brief gefunden und gelesen«, er pausierte kurz, um mich mit hochgezogener Augenbraue zu mustern. »Ich bin sicher, du willst wissen, was passiert ist, oder liege ich da falsch?«

»Wer war Greg und was ist mit ihm passiert?«, kam es daraufhin vorschnell über meine Lippen. Allerdings biss ich mir sofort auf die Zunge, als ich realisierte, welche Worte da gerade aus meinem Mund gekommen waren.

Who Is Dylan?Where stories live. Discover now