ℤ𝕨ö𝕝𝕗

496 65 61
                                    

»Hast du mich fotografiert?«, kam er ohne Umschweife zum Punkt und fixierte mich dabei mit seinen blauen Augen.

»Nein«, log ich augenblicklich, während ich innerlich vor Scham zusammenbrach. »Ich sagte doch gerade, dass ich nur die Umgebung fotografiert habe.«

»Darf ich es sehen?«

»Wie bitte?«

»Deine Aufnahmen ... Zeigst du sie mir?«

»Auf keinen Fall«, gab ich mich empört. »Meine Fotos sind privat.«

Für den Bruchteil einer Sekunde betrachtete er mich schweigend. Anscheinend schien er abzuwägen, ob er diese Diskussion fortsetzen sollte.

»Wie war dein Name noch gleich?«, wechselte er glücklicherweise das Thema. Er lehnte noch immer gegen den Baumstamm, die Arme abwartend vor der Brust verschränkt.

»Claire«, erwiderte ich tonlos. Nebenbei begann ich bereits, mein Equipment zusammenzupacken. Unter den gegebenen Umständen würde ich ohnehin keine weiteren Fotos an diesem Ort schießen können.

»Also, Claire ...«, begann er erneut und betonte dabei meinen Namen auf besondere Art und Weise. »Warum warst du zweimal vor dem Grundstück meiner Tante?«

Oh Gott. Anscheinend dachte er wirklich, ich wäre durchgeknallt und hätte es auf ihn oder Mrs. Foster abgesehen.

»Hör zu, ich weiß, es wirkt merkwürdig«, redete ich aus einem plötzlichen Impuls heraus auf ihn ein. Auf einmal verspürte ich das dringende Bedürfnis, mich verteidigen zu müssen. »Allerdings bin ich nicht irre oder so. Es war mehr oder weniger Zufall.«

»Mehr oder weniger?«

Verdammter Mist. Irgendwie schaffte ich es immer, mich um Kopf und Kragen zu reden.

»Ich bin auf jeden Fall keine Stalkerin oder sowas, okay?«

»Das erleichtert mich wirklich sehr«, antwortete er trocken und zu meiner Verwunderung schlich sich das erste Mal die Andeutung eines Lächelns auf seine Lippen.

»Und ... Falls du auf meinen Aufnahmen bist, ist es reiner Zufall. Es sind so viele Menschen hier unterwegs, dass ich da nicht jeden im Blick haben kann.«

»Natürlich«, gab er ironisch zurück, jedoch ohne eine Miene zu verziehen. Er glaubte mir offensichtlich kein Wort.

»Also ... Ich werde mich dann mal auf den Weg machen«, kündigte ich schließlich erleichtert an, als ich sämtliche Utensilien wieder in meinem Rucksack verstaut hatte. Ohne eine Antwort von ihm abzuwarten, hatte ich mich bereits zum Gehen abgewandt, als er sich hinter mir räusperte.

»Kannst du meiner Tante sagen, dass wir etwas zusammen unternommen haben?« Seine Frage traf mich so unvermittelt, dass ich mich in Zeitlupe zu ihm umdrehte.

»Was?«

»Sie ist sehr ... besorgt«, erklärte er seine unerwartete Bitte, bevor er den Kopf schief legte und mich abwartend betrachtete.

»Ich soll sie anlügen?«, sprach ich das offensichtliche aus, während ich ihn mit großen Augen ansah.

»Ist das ein Problem für dich?«

»Ja! Natürlich, es ist–«, begann ich, wurde jedoch sogleich von ihm unterbrochen.

»... falsch?«

»Genau!«

»Eigentlich tust du ihr damit sogar einen Gefallen.«

»Du meinst wohl, ich tue dir einen Gefallen«, korrigierte ich seine ursprüngliche Aussage. Dachte er vielleicht, ich wäre total verblödet?

»Dafür sehe ich darüber hinweg, dass du mich fotografiert hast«, konterte er, woraufhin ich sofort meinen Mund öffnete, um zu widersprechen. Allerdings entschied ich mich dann doch dagegen, denn er immerhin hatte er Recht mit seiner Vermutung und ich wollte nicht in die Situation geraten, ihm meine Aufnahmen doch noch zeigen zu müssen.

»Okay«, gab ich mich also geschlagen. »Wenn ich Mrs. Foster das nächste Mal sehe, werde ich ihr–«

»Nein«, unterbrach er mich erneut. »Sei einfach heute Abend um 20 Uhr bei mir zu Hause. Meine Tante muss sehen, wie wir zusammen weggehen, sonst wird sie mir die Geschichte nicht glauben. Keine Angst, wir gehen nur ein Stück zusammen die Straße runter und dann trennen sich unsere Wege wieder.«

Bevor ich etwas erwidern konnte, hatte er sich bereits abgedreht und entfernte sich mit festen Schritten von mir. »Dann bis später!«, hörte ich ihn noch sagen, jedoch ohne sich noch einmal zu mir umzudrehen.

Einige Zeit stand ich fassungslos auf der Stelle und starrte ihm hinterher, bis er endgültig in der Menge von Touristen verschwunden war. Gleich im Anschluss zog ich mein Handy hervor, um meine beste Freundin über die neuesten Entwicklungen in Kenntnis zu setzen.

»Er will sich mit dir verabreden?«, schrie mir Megan in einer derart hohen Laustärke in das Telefon, dass ich gezwungen war, mein Handy ein Stück von meinem Ohr wegzuhalten. Ich hatte die aktuellen Ereignisse so schnell runtergeredet, dass mir für einen Moment buchstäblich die Luft wegblieb.

»Es ist keine Verabredung. Er will es bloß vor seiner Tante so aussehen lassen«, widersprach ich sofort eindringlich, während ich noch immer angestrengt nach Luft schnappte. »Sie wünscht sich, dass er endlich Anschluss hier findet und anscheinend möchte er sie genau das durch diese Aktion glauben lassen.«

»Wirst du hingehen?« Die Neugierde in ihrer Stimme war unüberhörbar.

»Ich denke schon«, erwiderte ich zögerlich. Auf der einen Seite wollte ich Mrs. Foster nichts vorspielen, aber andererseits war in meinem Kopf noch immer das Bild von Dylan auf der Brücke präsent.

Irgendwie hatte ich dadurch das Bedürfnis, ihm diesen einen Gefallen zuzugestehen – auch wenn es vielleicht nicht richtig war.

Who Is Dylan?Where stories live. Discover now