𝕊𝕚𝕖𝕓𝕖𝕟𝕦𝕟𝕕𝕧𝕚𝕖𝕣𝕫𝕚𝕘 // 𝔻𝕪𝕝𝕒𝕟

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Dylan

Mein Herz hämmerte heftig gegen meinen Brustkorb, als ich adrenalingeladen die Straße entlang joggte. Ich konnte nicht fassen, mich derart von Claire täuschen gelassen zu haben.

Wie viel von dem, was ich in ihr sah, war überhaupt echt? Wahrscheinlich nicht sonderlich viel, sonst hätte sie mit offenen Karten gespielt.

Ich spürte nichts als rasende Wut. Allerdings nicht auf Claire, sondern auf mich. Immerhin war ich so dumm gewesen, mich ihr zu öffnen. Dabei schien ich die ganze Zeit über nichts weiter als ihr persönliches Ferienprojekt gewesen zu sein.

Einen verfickten Antrag an irgendein Archiv zu stellen, um etwas über Todesfälle herauszufinden und sich anschließend an meine Fersen heften, um alles über meine Geschichte zu erfahren? Sie war nicht besser, als die Spinner in Folkestone.

Fassungslos schüttelte ich meinen Kopf, während ich weiter ziellos in eine Richtung lief. Mittlerweile hatte die Dunkelheit die Umgebung in ein tiefes Schwarz gehüllt und ich hatte keinen Schimmer, wo ich überhaupt war. Lediglich die Tatsache, mich auf einem kaum beleuchteten Weg zu bewegen, suggerierte mir, fernab vom Kern der Stadt zu sein.

Irgendwann stoppte ich, stützte meine Hände auf den Oberschenkeln ab und erlaubte mir, meine brennenden Lungen mit Sauerstoff zu füllen.

Fuck.

Wahrscheinlich hätte ich schon bei der Geschichte mit ihrer Schwester und dem Fakeaccount misstrauisch werden müssen, aber ich hatte mich von ihrer unschuldigen Art blenden lassen. Nicht sehen wollen, wie sie wirklich tickte.

Egal, ich hatte meine Lektion gelernt und der Gedanke, zurück nach Folkestone zu fliegen, fühlte sich plötzlich nicht mehr bedrohlich an. Im Gegenteil. Wahrscheinlich war dies mein Zeichen, mich wieder in meinem wahren Leben einfügen zu müssen.

Während ich mich erneut in Bewegung setzte, zog ich bereits in Erwägung, bei meinen Eltern auf eine schnellstmögliche Abreise zu pochen.

****

»Wann kommst du denn endlich frühstücken? Das Rührei ist mittlerweile schon wieder kalt!«, rief meine Tante erneut aus dem Erdgeschoss, aber ich drehte mich demonstrativ zur Wand. Mal davon abgesehen, dass ich erst in den frühen Morgenstunden zu Hause gewesen war, verspürte ich keinen Appetit.

Keine zwei Minuten später öffnete sich die Tür des Gästezimmers, woraufhin ich dann doch einen Blick über meine Schulter riskierte. Meine Tante hatte ihren Kopf durch die halb geöffnete Tür gesteckt und musterte mich besorgt.

»Dylan? Ist alles in Ordnung?«, wollte sie von mir wissen und ich entschied spontan, ihr eine Lüge aufzutischen. Sie und meine Eltern hatten sich schon genug um mich gesorgt, da wollte ich ihnen nicht noch mehr Kummer bereiten.

»Alles bestens. Ich bin bloß müde«, log ich also, woraufhin sich ihr Gesicht sofort entspannte. »Das Frühstück hole ich später nach – versprochen.« Sie nickte verstehend, dann zog sie sich zurück.

Als ich einige Zeit später dann doch das Erdgeschoss aufsuchte, war meine Tante nicht mehr im Esszimmer. Ich ignorierte das auf dem Tisch für mich zurückgelassene Frühstück und entschied, nach ihr zu suchen. Sie sollte die erste Person sein, mit der ich über meine Rückkehrpläne sprechen würde.

Wenn sie nicht im Haus zu finden war, hielt sie sich meistens im Garten auf. Daher verlor ich keine Zeit und begab mich auf direktem Wege zur Tür. Als ich sie öffnete, zwang mich die hochstehende Sonne sofort dazu, meine Augen zusammenzukneifen.

Eins stand definitiv fest: Diese verdammte Hitze würde ich ganz sicher nicht vermissen.

Als sich meine Augen an das helle Licht gewöhnt hatten, trat ich auf die Veranda und ließ meinen Blick suchend durch den Vorgarten streifen. Zu meiner Verwunderung musste ich jedoch feststellen, dass sie sich auch dort nicht aufzuhalten schien. Gerade, als ich zurück ins Haus gehen wollte, bemerkte ich jedoch eine Person, die hektisch vor dem Gartenzaun auf sich aufmerksam machte.

»Dylan!«, rief sie aufgeregt und warf ihre Arme in die Luft. »Hast du einen Moment für mich? Bitte!«

Was will die denn hier? Ob Claire wohl wusste, dass ihre Freundin bei mir vor dem Haus stand und mit mir reden wollte?

Ich beschloss, sie zu ignorieren. Betont desinteressiert drehte ich mich ab und begab mich zurück ins Haus, um dort schnellstmöglich die Tür hinter mir schließen zu können.

»Warst du im Garten?« Die plötzliche Ansprache meiner Tante ließ mich zusammenzucken.

»Eigentlich habe ich nach dir gesucht«, antwortete ich, als ich mich in ihre Richtung gedreht hatte. Ihre nassen Haare verrieten mir, dass sie anscheinend duschen gewesen war.

»Ach ja?« Nun klang sie doch wieder beunruhigt. »Ist wirklich alles okay mit dir?«

Bevor ich jedoch dazu kam, ihr zu antworten, hämmerte es von außen gegen die Haustür. Meine Tante blickte überrascht von mir zur Tür, dann begab sie sich unter meinem Protest in den Eingangsbereich, um zu öffnen.

»Oh, hallo Megan«, die Verwunderung war ihr deutlich anzuhören. »Möchtest du zu Dylan?«

Fuck.

»Ja, bitte«, antwortete sie daraufhin und im Bruchteil einer Sekunde stand Megan mir auch schon gegenüber.

»Ich lasse euch dann mal allein«, merkte meine Tante noch immer sichtlich irritiert an, bevor sie ins Obergeschoss des Hauses verschwand und mich meinem Schicksal überließ.

»Wenn ich dir jetzt sagen würde, dass nichts von dem, was ich gestern gesagt habe, wahr ist, würde ich lügen«, begann sie und überraschte mich tatsächlich mit dem Beginn des Gespräches. Eigentlich hatte ich fest angenommen, sie würde genau das nun behaupten. Allerdings konnten ihre Worte trotzdem nichts ändern, mein Entschluss stand fest. Ich wollte Claire nicht wiedersehen.

»Es ist mir egal, was du zu sagen hast. Ich werde zurück nach Folkestone gehen, also tu mir und dir einen Gefallen und verschwinde.« Meine Worte verfehlten ihre Wirkung nicht, denn jeglicher Hoffnungsschimmer in ihrem Gesicht erstarb. Claire wäre wahrscheinlich weinend aus der Tür gelaufen, aber Megan tickte anders, wie sie erneut unter Beweis stellte.

»Du bist ziemlich egoistisch, weißt du das eigentlich?«

»Lieber ein Egoist, als eine verrückte Stalkerin, würde ich behaupten.«

»Ich kann mich nicht daran erinnern, was ich gestern gesagt habe und weiß alles, was vorgefallen ist, bloß von Claire«, begann sie erneut und ihre Augen strahlten eine fast greifbare Verzweiflung aus. »Es tut mir leid, wenn ich deine Gefühle verletzt habe, aber du hast kein Recht, meine beste Freundin so zu behandeln. Sie hat das nicht verdient, klar?«

»Ist das so? Oder bist du vielleicht hergekommen, um dein Gewissen zu reinigen? Immerhin warst du doch diejenige, die ihr kleines Geheimnis ausgeplaudert hat, oder etwa nicht?«

Es fiel mir schwer, cool zu bleiben. Innerlich zerriss es mich, so über Claire zu sprechen. Allerdings musste ich ihre Freundin davon überzeugen, dass es mir egal war, denn so würde es jedem von uns leichter fallen, darüber hinwegzukommen. Zumindest redete ich mir genau das ein.

»Wir haben Nachforschungen angestellt und ja, sie hätte dir davon erzählen sollen. Allerdings konnte sie am Anfang doch nicht wissen, dass sie sich in dich verlieben würde.« Megan hatte ihre Stimme gesenkt und gab sich ganz offensichtlich Mühe, ihre eigene Anspannung zu überspielen.

»Du solltest jetzt gehen«, antwortete ich monoton und deutete auf die Tür, ohne auf ihre vorherigen Worte einzugehen.

Sie stand noch einen Moment abwartend auf der Stelle, bis sie meiner Aufforderung widerwillig nachkam. Bevor sie die Türschwelle übertrat, drehte sie sich jedoch noch einmal zu mir um. »Ganz egal, wie oft man wegläuft, die Wahrheit holt einen immer wieder ein.«

Dann lief sie die Treppen hinunter und ich schlug aufgewühlt die Tür hinter ihr zu.

Who Is Dylan?Where stories live. Discover now