ℙ𝕣𝕠𝕝𝕠𝕘

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»Kann ich dich nicht doch irgendwie überreden?« Mein bester Freund Greg blickte mir hoffnungsvoll entgegen. Eifrig begann er daraufhin etwas in sein Smartphone einzutippen und hielt mir anschließend erwartungsfroh das Display vor mein Gesicht. Der Trailer irgendeines neuen Filmes, welcher erst vor ein paar Tagen im örtlichen Kino angelaufen war, schien mir darauf entgegen. Ich wusste, dass er sich schon ewig auf den Streifen freute, allerdings hatte ich andere Pläne für diesen Freitagabend.

»Ach, komm schon«, antwortete ich also lachend und drückte seine Hand entschieden von mir weg. »Die anderen werden nachher alle an den Klippen sein. Es gibt auch Alk.«

»Hm«, gab er nicht wirklich überzeugt zurück. »Vielleicht gehe ich dann einfach allein in den Film.«

»Was?«, erwiderte ich ungläubig. Diese Antwort konnte ich wirklich nicht ernstnehmen. »Wer geht denn bitte alleine ins Kino? Bist du jetzt unter die Loser gegangen?«

Er stöhnte genervt auf und ließ sein Telefon mürrisch zurück in die hintere Tasche seiner Jeans gleiten. »Also schön. Dann also saufen mit den anderen.«

»Das hört sich schon viel besser an«, stimmte ich zufrieden zu. Beiläufig fischte ich zwei Gläser aus dem Hängeschrank über der Spüle, um diese anschließend mit Coke zu füllen. Wir hatten bereits den ganzen Tag bei mir zu Hause rumgehangen und Videogames gezockt, wie so oft in den Ferien. Da musste dringend ein Ausgleich her. »Der Film läuft doch nicht weg. Wenn du willst, sehen wir ihn uns morgen an, okay?«

Während er noch immer nicht gänzlich überzeugt schien, freute ich mich auf das bevorstehende Zusammentreffen mit unseren Freunden. Es sollte ein milder Sommerabend werden, da wollte ich definitiv lieber draußen abhängen, als in einem stickigen Kinosaal zu sitzen.

»Wird Gianna auch da sein?« Greg lehnte gegen den Türrahmen und beobachtete jede Regung in meinem Gesicht, während ich ihm eines der Gläser in die Hand drückte.

Uns beiden war die Antwort klar, aber trotzdem schien er Wert daraufzulegen, es aus meinem Mund zu hören. »Keine Ahnung«, gab ich mich trotzdem unwissend. Auf keinen Fall wollte ich so wirken, als würde ich irgendeinem Mädchen hinterherlaufen. Immerhin war ich dafür bekannt, mich nicht festzulegen und daran wollte ich auch nichts ändern.

»Oh, bitte!« Greg trat einen Schritt nach vorne und boxte mir freundschaftlich gegen die Schulter. »Denkst du, ich checke nicht, dass du auf sie stehst?«

Natürlich war ich mir dessen bewusst. Er durchschaute mich meist in Sekundenschnelle. Allerdings war mir ebenso klar, dass er sie nicht sonderlich ausstehen konnte. Obwohl zwischen den beiden nie etwas vorgefallen war, herrschte eine beidseitige Antipathie.

»Na gut«, schob er schließlich gleichgültig hinterher und leerte ebenfalls sein Glas. »Ich schätze, ich werde deinen Frauengeschmack nie verstehen, aber es geht mich auch eigentlich nichts an.«

Wir waren bereits seit der Grundschule befreundet. Obwohl wir oft eine ähnliche Meinung vertraten, unterschied sich unser Frauentyp grundlegend. Während ich ganz eindeutig auf die Sorte stand, mit denen man lockeren Spaß haben konnte, schien sich mein bester Freund eher zu den zurückhaltenden Mädchen hingezogen zu fühlen. Für ihn kam eine schnelle Nummer nicht in Frage – ich hingegen hielt mir gerne alle Optionen offen.

Gianna war laut, diskutierfreudig und rebellisch. Außerdem konnte ich unverbindlich Zeit mit ihr verbringen. Greg vertrat jedoch vehement die Meinung, dass sie einen Keil zwischen uns treiben wollte. Vielleicht war dies auch der Grund, weshalb er lieber mit mir alleine ins Kino gehen wollte.

Nicht viel später machten wir uns trotzdem auf den Weg zu den anderen. Dafür mussten wir nur auf den Rädern unsere Heimatstadt Folkstone durchqueren, um schließlich zu dem vereinbarten Treffpunkt im Naturschutzgebiet zu gelangen. Obwohl es im unteren Bereich einen großzügigen Buchtabschnitt gab, bevorzugten wir eine bestimmte Stelle oberhalb. Von diesem Standpunkt aus konnte man das Meer überblicken und meistens blieben wir dort auch vor nervigen Touristen verschont.

»Da seid ihr ja endlich«, begrüßte uns Ben lachend, als wir ein wenig außer Atem die Feuerstelle erreicht hatten. Ohne eine Antwort abzuwarten, schloss er zu uns auf. Sobald wir unsere Räder ins Gras fallen ließen, drückte er jedem von uns ein Smirnhoff Ice in die Hand.

Unauffällig schweifte mein Blick durch die Runde. Mittlerweile dämmerte es und der zunehmende Wind ließ die Flammen der Feuerstelle in regelmäßigen Abständen auflodern. Es dauerte nicht lange, da hatte ich Gianna entdeckt. Sie saß mit einer ihrer Freundinnen direkt vor dem Feuer und schien sich angeregt zu unterhalten. Ich entschloss, mich beiläufig in ihre Richtung zu bewegen.

»Hey«, begrüßte ich sie selbstsicher, während ich die Flasche in meiner Hand lässig zur Begrüßung anhob. Sie hob ihren Blick, wobei ihre Augen vielsagend aufblitzten. Ein paar Mal war etwas zwischen uns gelaufen, wobei ich jedoch stets betont hatte, keine ernsthafte Beziehung zu wollen. Ganz davon abgesehen, schien sie die gleiche Meinung zu vertreten.

Ich ließ mich gegenüber von den beiden auf einem zur Sitzbank umfunktionierten Holzstamm nieder. Greg, Ben und ein paar der anderen Leute taten es mir gleich. Es folgten die üblichen Trinkspiele. So, wie es immer ablief. Irgendwann kotzte sich die Freundin von Gianna direkt vor der Feuerstelle die Seele aus dem Leib, was bei der Menge an Alk jedoch nicht wirklich verwunderlich war.

»Lass uns so langsam abhauen«, schlug Greg irgendwann vor. Er war sichtlich betrunken, genauso wie ich. Allerdings gab es eine goldene Regel, wir beide verließen jede Party gemeinsam – egal wie besoffen wir auch sein mochten. Deshalb wartete er ungeduldig auf meine Zustimmung.

Kurz dachte ich über seine Bitte nach. Dann griff Gianna unerwartet nach meiner Hand und zog mich einige Schritte von ihm weg. »Du willst doch nicht etwa schon gehen?«, flüsterte sie mir verheißungsvoll in mein Ohr. Der süßliche Geruch von den Drinks, die sie bereits gehabt hatte, stieg mir in die Nase. Bevor ich antworten konnte, führte sie meine Hände unter ihr Top.

Überredet.

»Ich bin gleich wieder da«, rief ich Greg halbherzig zu, während ich mich bereits mit ihr von den anderen entfernte.

Gemeinsam steuerten wir eine ruhigere Stelle an. Schuldbewusst warf ich noch einen kurzen Blick über meine Schulter. Greg schüttelte ganz offensichtlich genervt über meinen Entschluss den Kopf.

Wenn ich doch nur geahnt hätte, dass diese eine abgefuckte Entscheidung alles für immer verändern würde.

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➠𝐓𝐫𝐢𝐠𝐠𝐞𝐫𝐰𝐚𝐫𝐧𝐮𝐧𝐠: Im weiteren Verlauf dieser Geschichte kommen Themen wie Tod, Trauer und – am Rande auch – (vermeintliche) Suizidabsicht vor. Es wird keine Beschreibung von suizidalen Handlungen geben, allerdings wollte ich es trotzdem vorab erwähnen. Wenn ihr euch mit den oben genannten Themen nicht wohl fühlt, könnte dies nicht die richtige Geschichte für euch sein.

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