Auf uns - mich und dich

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Epilog

„Hast du ihn? Oh, bei Joeys aufgemalten Augenbrauen, bitte hab' ihn!"

Ich wurde sehr schnell ungemütlich, wenn man mich zwang, als Komplizin den Weinkeller eines reichen, ziemlich unfreundlichen Mannes auszurauben. Vor allem, wenn es der Vater meines Freundes war – dem diese rekordverdächtig dumme Idee überhaupt erst in den Sinn gekommen war.

„Ich hab' ihn!", die Stimme von Jasper erklang hinter mir, während ich weiterhin meinen Blick den Gang zu den Weinschätzen hin – und herwandern ließ.

Über uns hörte ich eine Tür zuschlagen, und anhand der Lautstärke des Widerhalls konnte es nur Jaspers Vater sein.

Oh, fuck.

„Jas, du hast gesagt, du brauchst nur drei Minuten!", flüsterte ich möglichst leise, trotz meiner nahenden Panik. Ich bekam keine Antwort. Hektisch blickte ich hinter mich, in den unterirdischen Raum voller ellenlanger Regale, alle voller Weinflaschen in einer Preisklasse, die mir surreal vorkam. Jasper hatte sich anscheinend für eines der Prachtstücke entschieden: Lässig tauchte er zwischen den Schätzen seines Vaters auf, doch selbst er lief etwas schneller als sonst zu mir.

„Lass uns verschwinden", raunte er, bevor er zwinkernd den Gang weiter runter lief, weg von der Tür, die nach oben führte.

„Oh man, du hast mir noch nie mehr aus der Seele gesprochen."

Jas drehte sich im Laufen zu mir um, einen Mundwinkel provokant hochgezogen. „Letztens schienst du aber auch ziemlich meiner Meinung gewesen zu sein, als ich eine zweite Runde..." Ich rollte die Augen, während ich seine anstößigen Kommentare zur Seite wischte.
Falscher Zeitpunkt, Jasper, falscher Zeitpunkt.

Trotzdem fiel mir ein Stein vom Herzen, während ich zu ihm aufholte, immer wieder einen Blick hinter mich werfend. Wir konnten uns mittlerweile durchaus als professionelle Wein-Diebe bezeichnen, doch heute hatte Jasper ungewöhnlich lange gebraucht. Und ich hatte nicht gerade massenweise Lust, seinem Vater über den Weg zu laufen. Dieser schien die gruselige Angewohnheit zu haben, nach der Arbeit – ich wusste mal, was er beruflich tat, hatte es aber wieder vergessen – zuerst in den Keller zu verschwinden. Anfangs hatte ich mir ernsthaft Sorgen gemacht, dass er dort unten Mädchen seiner satanistischen Sekte opferte. Schließlich hatte ich auch mit Jasper über meine Überlegungen geredet, doch der hatte mich aufgeklärt: Sein Vater schien sich nur seine tägliche alkoholische Dosis abzuholen, die sich zufällig im Keller lagerte. Eigentlich ergab es totalen Sinn – wäre ich Jaspers Vater würde ich es mit mir auch nicht allzu lange aushalten, ohne mich abzufüllen.

Und leider schien er auch heute seine Gewohnheiten nicht ändern zu wollen. Ich hörte bereits seine Schritte auf der marmornen Treppe, die in die großen Kellerräume führte.

Jasper und ich warfen uns einen schnellen Blick zu, bevor wir gleichzeitig nach links abbogen. Ein vergleichsweise kleiner Waschraum fand hier seinen Platz, doch wir liefen durch die Wäschehaufen. Unser Ziel war das relativ große Fenster, denn keinesfalls würde ich mich hier irgendwo verstecken. Zwar hatte ich Jas' Vater noch nie häusliche Aufgaben übernehmen sehen, doch ich wollte nichts riskieren – nicht bei dem Mann. Wir würden wahrscheinlich keinen Ärger bekommen, doch ich wusste nur zu gut, was hinter verschlossenen Türen passieren würde, sobald ich nachhause gegangen war.
Außerdem war ich einfach eine Niete in Verstecken-Spielen. Das brachte nur unangenehme Erinnerungen an einen senfgelben Haribohintern hoch.

Leise schob ich das Fenster auf – Gott sei Dank hatten wir es frisch geölt – und stieß mich hoch, meine Finger krampfhaft in den Fensterrahmen gekrallt. Doch dank ausreichender Übung schaffte ich es – ich zog mich über den Rand, auf das feuchte Gras. Sofort sprang ich wieder auf die Füße und nahm die Weinflasche entgegen, bevor sich Jasper – sehr viel sportlicher – durch das Fenster zog und es hinter sich wieder anlehnte.

Als auch er wieder auf beiden Beinen stand, konnte ich nicht anders: Grinsend schlug ich ihm High-Five – denn wer hätte gedacht, dass wir solch ein eingespieltes Team sein würden?
Na gut, außer ich natürlich.

*************************

„Auf uns." Wir stießen die Gläser aneinander, obwohl wir beide höchstens die Hälfte des Inhaltes schaffen würden.

„Auf uns", echote ich, bevor ich das Zeug meine Kehle runterzwang.

Die Grimasse, die ich dabei zog, ähnelte wahrscheinlich der von Jasper.

Wir hassten Wein, doch es war die beste und abenteuerreichste Art, seinen Vater zu ärgern. Es war unser Ritual geworden: Den Weinkeller um eine Flasche leichter zu machen, uns auf das Sofa zu kuscheln und anzustoßen, uns zu lieben und anschließend zu reden. Oft taten wir Letzteres auch an unserer Klippe. Der Sonnenuntergang sah dort noch immer am schönsten aus.

Wer wusste schon, was morgen, übermorgen, in zehn Tagen, Monaten oder Jahren kommen würde?

Ich bildete mir nicht ein, es zu wissen – aber ich wusste, dass nur ich entscheiden kann, wie ich mein Leben verbringen will. Es ist meine Wahl gewesen, ist es immer noch, ob ich mich hinter Mauern, so hoch, dass sie meine Seele umschließen, verstecke. Oder ob ich versuche, mehr und mehr mir zu vertrauen – auf das sich mein Selbst zeigen wird. Denn wie soll ich wissen, was als nächstes passiert, wenn ich noch immer dabei bin, herauszufinden, welche Persönlichkeit sich in mir verbirgt?

Lächelnd nippte ich an meinem Glas, sah Jasper, meinen Jasper, an. Wir waren nicht perfekt, aber wir waren dabei, verdammt echt zu werden.

Jasper grinste mich auf einmal an und holte mich ins Jetzt zurück.

„Was ist los?", fragte ich irritiert, denn er schien einfach nicht aufhören zu wollen, wie ein Honigkuchenpferd zu grinsen.

„Ich habe unsere Wette gewonnen."

Ich brauchte einen Moment, bevor ich ihn verstand. Dann grinste ich breit zurück.

Oh, wir hatten beide gewonnen.

AUTHORS NOTE:
Meine lieben Freunde der Sonne,
Ich kann einfach nicht glauben, dass es schon so weit ist. Hier sitze ich also, mit Schokolade am Mund und einem Kater auf meinem Schoß, schreibe diese Worte, und weiß aber eigentlich gar nicht, was ich sagen soll.
Ich freue mich unendlich für alle, die mich bis an diesen Punkt begleitet haben - vor allem euch, liebe Leser. Ich bin euch so unglaublich dankbar für eure Unterstützung, eure Votes und Kommentare und noch so viel mehr.
Danke, dass ihr Charlie und Jasper eine Chance gegeben habt. Ich liebe euch und würde euch am liebsten alle umarmen und euch Schokolade schenken.
Danke. Danke an euch alle.
Wir sehen uns bald wieder.

Mit verbundenen AugenWhere stories live. Discover now