Warte, ich putz schnell meine Liebesbrille, dann bist du wieder so toll!

1.7K 73 7
                                    

45. Kapitel

Sobald ich aufwachte, wollte ich mich am liebsten zurück in den Traum teleportieren. Doch mein Kopf brummte und ich wusste, dass es nun unmöglich sein würde, wieder schlafen zu gehen. Es war bereits hell, also quälte ich mich aus meinem Bett, tapste ins Bad  - und wäre fast vor Schreck wieder herausgerannt. Ich sah – um es kurz zu fassen – schrecklich aus. Sogar eine überfahrene Leiche würde gegen mich einen Schönheitspreis gewinnen können. Schnell wandte ich meinen Blick ab: Ich hätte nichts Geringeres erwarten sollen. Nachdem ich gestern Nacht in Tränen zuhause angekommen und direkt in mein Zimmer verschwunden war, hatten mich die Grübeleien so zermürbt, dass ich am liebsten weiter geheult hätte. Leider war mein jährlicher Verbrauch an Tränen schon aufgebraucht, sodass ich stattdessen Schluckauf bekam. Wenigstens hatte Mutter Nachtschicht und Tyler war wahrscheinlich auf die Afterparty verschwunden, die irgendjemand spontan auf die Beine gestellt hatte. Tella hatte mich angerufen, doch ich war nicht ran gegangen und daraufhin hatte sie mich dann per SMS zur Feier eingeladen. Ich hatte knapp abgelehnt – mir ginge es nicht so gut und ich brauchte etwas Ruhe, was ja auch stimmte. Allein jetzt verzog ich mein Gesicht zu einer gequälten Grimasse, sobald ich an gestern dachte.

Jasper war der geheimnissvolle Junge von vor einem Jahr. Eigentlich hätte ich jubeln müssen. Aber Jasper – er hatte es die ganze Zeit gewusst. Er hatte es gewusst, als ich ihm von meiner Suche nach dem Jungen – nach ihm – erzählt hatte. Er hatte es gewusst, als wir uns stundenlang auf den Klippen unterhalten hatten, er in meinem Zimmer mir ganze Nachmittage Jane Austen vorlas und wir zusammen am Strandhaus waren. Er hatte es gewusst und sich dagegen entschieden, es mir zu erzählen.

Warum?

Warum?

Ich hatte die ganze Nacht darüber nachgedacht, kaum Schlaf bekommen in dem Versuch, es zu verstehen.

Wollte er vielleicht nicht, dass ich es herausfand, weil er dachte, dass ich dann mehr als Freundschaft von ihm wollen würde? Nein, das konnte nicht sein, so war Jas nicht. Das war nicht der Junge, in den ich mich zweimal verliebt hatte. Die Demütigung dieser Aussage würde tief sitzen, und Jas würde mich niemals so demütigen. Kopfschüttelnd blinzelte ich mich zurück in die Realität, raus auf meinem gedankenreich, und seufzte tief. Ich würde das durchstehen. Und ich würde heute trotzdem zu Jaspers Familienfeier gehen, vorausgesetzt, er wollte mich immer noch dabeihaben. Ich würde mich nicht unterkriegen lassen, bis er mir ins Gesicht sagte, dass er nicht dasselbe wollte wie ich. Und wie ich Jasper kannte, würde er mir früh genug sagen, was er wollte. Grimmig griff ich mir meine Zahnbürste.

*******************

Gott, diese Idee war bescheuert. Ich hatte Tella gebeten, rüberzukommen und mir zu helfen, mich fertig zu machen. Kaum fünfzehn Minuten später stand sie vor meiner Tür, vollbepackt mit Kosmetikutensilien und massenweise Schokolade. Ich machte mir ein klitzekleines bisschen Sorgen, dass sie einen anderen Kiosk ihrer Schokolade beraubt hatte, aber ich vergaß sie sofort, als ich den ersten Bissen machte. Tella hatte offensichtlich bemerkt, dass etwas nicht stimmte, doch sie bohrte nicht weiter nach. Hätte ich sie nicht bereits geliebt, wäre ich ihr spätestens jetzt verpflichtet gewesen, meine unendliche Liebe zu gestehen. Sie war einfach die beste, und sie wusste das, ihrem schelmischen Grinsen nach.

Ich hatte ihr bereits am Telefon von der Feier erzählt und sie war ganz aus dem Häuschen gewesen. Ihre Begeisterung war ehrlich, und als sie mich etwas später zu unzähligen Outfits – von gestreiftem Pullover unter Latzhosen bis zu sündhaft kurzen Cocktailkleidern – beriet, war ich so gerührt, dass ich fast vor Dankbarkeit geheult hätte. Also erzählte ich ihr die ganze Geschichte – von meinen Gefühlen für Jasper, dass ich gedacht hatte, dass das zwischen uns beidseitig war, seine Ablehnung meiner Gefühle. Ich erzählte ihr alles, außer die Klippentreffen – das war Jaspers und mein persönlicher Schatz, ein stilles Glück in mir, und es stand mir nicht zu, ihr von seinem Lieblingsplatz zu erzählen. Tella schien nicht gerade überrascht zu sein, sie zog nur bei dem letzten Teil meiner Geschichte eine Augenbraue hoch, die Skepsis schien ihr geradezu ins Gesicht geschrieben zu sein.

Mit verbundenen AugenWhere stories live. Discover now