Auf die Idioten, die ich liebe

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30. Kapitel

„Auf die Menschen, denen wir nie begegnen sind. Auf die Menschen, die uns begegnet und wieder gegangen sind. Auf die Menschen, die uns begegnet sind und blieben, ganz egal wie sehr wir sie loshaben wollten. Und auf euch, die Menschen, die ich nie loswerden wollte – auf die Freunde, die wir lieben und die Idioten, die wir kriegen!", Tella hob ihren Becher und wir alle stießen an und schütteten die mittlerweile warme Brühe unsere Kehle runter. Kein Plan, was zur Hölle Harry da praktiziert hatte, aber es war definitiv mehr als genug Alkohol enthalten. Sofort breitete sich eine wohlige Wärme in meinem Bauch aus und ich seufzte entspannt.

Als wir gegessen hatten und endlich unsere restliche Freundesgruppe auftauchte, fühlte ich mich voll und gemütlich – ich wäre nirgendwo lieber gewesen als hier, bei meinen Freunden, denselben Verrückten wie ich.

Harry mischte bereits die neue Runde an seinem Platz neben James, wo sich Flaschen tummelten und er alles Mögliche in eine vermischte. Ich versuchte nicht zu genau hinzuschauen. Eigentlich wollte ich gar nicht wissen, aus was das Gebräu bestand. Am Ende tat er da noch Sand rein – immerhin sprachen wir hier von Harry.

Ich sah mich um, meine Freunde, die sich nun unterhielten, lachten und tranken. In diesem Moment wünschte ich mir nichts mehr, als das hier festzuhalten, in mein Gedächtnis einzubrennen, in mich einzubrennen, es immer bei mir zu haben, in meinem Herz zu tragen und jedes Mal rausholen zu können, wenn ich es bräuchte.

Es war so ein verdammter Privileg solche Menschen um mich herum zu haben und ich hoffte, ihn genügend ehren, würdigen und wertschätzen zu können. Wenn meine Freunde, meine Seelenverwandten, für mich sind, wer kann dann noch gegen mich sein?

Tella, die Chole den Nacken massierte und ihm in diesem Moment etwas ins Ohr flüsterte, das ihn lächeln ließ – ich wünschte, ich hoffte, verdiente es vielleicht aber nicht, irgendwann einmal, für einen Moment diese Liebe, dieses Verständnis ohne Worte, erfahren zu dürfen. Mein Bruder, der besorgt zwischen Kyle, der Jasper gleichgültig, ja geradezu herablassend anstarrte, und Jas, der seinen Blick wütend erwiderte, saß.

Kurz runzelte ich die Stirn – aber im Endeffekt ging es mich absolut nichts an, was zwischen den beiden stand, auch wenn ich es liebend gern wissen würde.

Felicia und Raven, die sich zusammen auf ein großes Handtuch gekuschelt hatten und ihre spärliche Privatsphäre genossen. Ich gönnte es den beiden von Herzen – sie hatten es mehr als verdient.

Und James und Harry, die sich gegenseitig auffällig unauffällig lange, sehnsuchtsvolle Blicke zuwarfen, während James Harry über ein Buch aufklärte und dieser unsere nächsten Cocktails mixte.

Diese Menschen waren besonders und einzigartig und wunderschön in allen Weisen, auf die es letztendlich ankommt. Ich liebte sie alle und konnte nur hoffen, dass sie das wussten – ich war nicht gut darin, meine Gefühle zu sagen, aber ich konnte sie zeigen.

Ich gesellte mich kurz zu den zwei Turteltäubchen - Tella und Chole - um ihnen kurz mitzuteilen, dass ich aufs Klo verschwinden würde, bevor ich mich mit einem Winken verabschiedete und hinter den Dünen verschwand.

Obwohl ich den Großteil des Strandhauses einfach nur steril, emotions – und farbenlos fand, musste ich gestehen, dass die Hygiene hervorragend war. Überall stand zwar Desinfektionsmitteln – allein im Bad in dem kleinen Regal, auf dem Waschbecken und neben dem Klo – aber ansonsten war alles angenehm. Trotzdem fühlte ich mich wie im Krankenhaus und es würde mich nicht wirklich wundern, wenn irgendwann eine Krankenhausschwester um die Ecke gelaufen käme.

Ich hatte gerade meine Hände gewaschen und – natürlich – desinfiziert, als ich eine Stimme draußen hörte. Eine ärgerliche Stimme. Sofort hatte ich den Reflex, leise zu sein, zuzuhören und zu verstehen, worum es ging, was los war und wie ich es beheben konnte. Alte Gewohnheiten lassen sich schwer abschütteln, und die Streits meiner Eltern hatten mich nachhaltig geprägt, ganz egal ob ich das zugab oder nicht. Aber das waren nicht meine Eltern und keiner war in Gefahr.

Trotzdem entriegelte ich leise die Tür und huschte auf den Flur, Richtung Wohnzimmer. Die Stimme kam aus der angrenzenden Küche, und mittlerweile hatte sich auch eine zweite Person dazugesellt, aufgeregt redend.

Als ich an der Ecke vor dem Wohnzimmer war, konnte ich jedes Wort klar und deutlich verstehen. Ich wünschte, ich hätte es nicht gekonnt, wäre einfach durch die Haustür abgehauen, wäre zurückgegangen und hätte nicht gelauscht. Hätte, hätte, hätte.

„Man, komm verdammt nochmal runter! Wir kennen uns schon seit Jahren, du warst im selben Kindergarten wie ich. Und nur weil irgendein Mädchen dir den Kopf verdreht hat, kannst du mir nicht einen Gefallen tun, von Freund zu Freund? Ist das dein Ernst, bin ich so austauschbar?" Kyles Stimme sprach da, ich erkannte sie sofort.

Ein Schnauben ertönte, wahrscheinlich von der anderen Person, soweit ich das deuten konnte. Ich wettete, Kyle stand am großen Türrahmen, der die Küche und das Wohnzimmer verband, gegenüber von der Verandatür. Und verdammt nah an mir.

„Ich habe es dir schon vorhin gesagt. Ich werde nicht deine Drecksarbeit erledigen, du sagst es ihr selber oder gar nicht. Deine Entscheidung. Sie hat es verdient, es von dir zu hören, sie ist eine Freundin von uns geworden. Behandele sie auch so." Jasper, das war Jaspers Stimme.

Ein paar schnelle Schritte ertönten, näher an mich heran. Sie waren jetzt im Wohnzimmer, wo wahrscheinlich schon Jasper saß, der Lautstärke seiner Stimme nach. Scheiße, wenn sie in den Flur wollten, wäre ich nicht schnell genug, um zu unentdeckt zu verschwinden. Und entdeckt zu werden wäre wirklich unangenehm. Aber wie gesagt: Alte Gewohnheiten lassen sich verdammt schwer ablegen und ich konnte dem Drang nicht widerstehen, weiter zuzuhören, verstehen zu wollen, erst recht nicht, als Kyle wieder das Wort ergriff.

„Du magst sie wirklich so sehr, was?", Kyles Stimme war spöttisch geworden, herablassend, und ich hatte den Drang, ihm die Zunge rauszustrecken oder zu treten. Beides wäre allerdings ziemlich unpassend und kindisch gewesen, abgesehen davon, dass ich dieses Gespräch gar nicht hören sollte, denn es war nicht für meine, sondern Jaspers Ohren bestimmt.

„Das geht dich nichts an, Kyle." Jaspers Stimme war ruhig und leise, vielleicht war es das, was es so drohend klingen ließ. Ich wusste es nicht.

„Oh, du brauchst gar nicht versuchen, es runterzureden, Jas. Ich sehe, nein, jeder sieht, wie du sie anschaust, wenn du glaubst, keiner achtet auf dich. Jeder sieht es, nur sie nicht. Und weißt du warum? Weil sie sich nicht für dich interessiert!"

Mir lief es kalt den Rücken runter, mir blieb die Luft weg, ich konnte nicht atmen, konnte nicht atmen, konnte noch immer nicht atmen, meine Lungen, sie zerbrachen, zersplitterten, Stücke, die mich von innen aufschlitzten. Stücke wie Worte, wie Kyles Worte. Doch vielleicht waren es nicht meine Lungen, sondern meine Hoffnung, denn wundersamer Weise schien mein Körper noch immer Luft in mich rein – und auszupumpen. Ich wusste nicht, wie.

Jasper. Jas, ich hatte so eine Hoffnung, ohne es bemerkt zu haben. Ich hatte sie erst bemerkt, als ich sie verloren hatte, aber meine Gefühle für ihn, die hatte ich schon so lange in mir, versteckt, und jetzt ist es zu spät. Er hatte sein Herz bereits verschenkt. Doch ganz egal wie es gerade in meinem Inneren aussah, welche emotionale Dürre der Hoffnung - ich wollte ihm helfen.

Gerade wollte ich mich zusammenreißen, aus dem wortwörtlichen Schatten treten und Jas beistehen, als ich seine Stimme hörte.

„Vielleicht hast du Recht, Kyle, aber ich werde es erst glauben, wenn sie es mir ins Gesicht gesagt hat, dass sie mich nicht so will, wie ich sie. Bis dahin kannst du ihr ja sagen gehen, dass du kein Interesse an ihr hast." Ich hörte, wie jemand seinen Sessel zurückschob, Schritte, die sich entfernten. Die Verandatür wurde geöffnet und geschlossen. Stille. Ich hörte Kyle noch entnervt seufzen, aber da wandte ich mich bereits ab.

Leise lief ich zurück zur Haustür. Ich wollte jetzt nicht Kyle unter die Augen treten, nicht, wie er gerade Jasper behandelt hatte. Nein, ich wollte meinem Freund jetzt so unterstützen, wie er es für mich getan hatte.

AUTHORS NOTE:
Hallo meine lieben Freunde,
Tut mir leid das ich erst heute poste. Ich war gestern einfach zu müde. Aber jetzt zum Kapitel:
Habt ihr auch Seelenverwandte als Freunde?
Und habt ihr auch die Angewohnheit zu lauschen?
Ich wünsche euch noch ein schönes Wochenende und wir lesen uns nächste Woche <3.

Mit verbundenen AugenWhere stories live. Discover now