Grübeleien für Fortgeschrittene

1.6K 86 21
                                    

26. Kapitel

Die restliche Spielzeit lief tatsächlich relativ ruhig. Naja, das hieß, dass Coach eine Schlägerei verhindern musste und Jayden es darauf abgesehen hatte, bei jeder sich bietenden Chance jemanden zu foulen. Und jetzt hatte auch noch einer von Jaydens Freunden Jasper so hart umgeworfen, dass er sich seinen Weg über das Spielfeld zu mir humpeln musste.

Ich begrüßte ihn mit einem „Wie schaffst du das nur immer" und klopfte neben mich. Jasper grinste mich zwar an, aber selbst das konnte sein Unwohlsein nicht übertönen – man konnte sehen, wie er bei jeder schnellen oder plötzlichen Bewegung zusammen zuckte.

„Ich habe einen Hang zum Dramatischen", meinte er schließlich, als er sich neben mich niedergelassen hatte. Ich traf mit hochgezogenen Augenbrauen seinen Blick und wir beide lächelten uns unwillkürlich an. Es war schon etwas unheimlich, wie schnell mir das in seiner Gegenwart passierte.

„Was wollte Jayden eigentlich von dir?", er wandte sich wieder dem Spielgeschehen zu und ich tat es ihm gleich, während ich die passenden Worte suchte.

„Ich hatte den Typ mal getreten und er wollte... ja, keine Ahnung, was genau er eigentlich wollte. Wahrscheinlich einfach seine Würde wiederherstellen?", ich zuckte mit den Schultern. Der Typ war einfach merkwürdig, und zwar nicht auf die coole Weise. Jasper lachte. Der Klang war belebend.

„Ich kenne niemanden, der Jayden je getreten hatte", er lachte weiter, und ich konnte meinen Blick nicht von ihm abwenden. Seine Haare schienen mit dem Licht und dem Wind zu tanzen, und seine dunklen Augen funkelten amüsiert. Sein ganzes Gesicht leuchtete.

So habe ich Kyle nie angeschaut. Wie kann ich behaupten, mein Herz Kyle geschenkt zu haben, wenn ich Jasper... Ich traute mich nicht, den Gedanke zu Ende zu denken. Trotzdem blieb das Gefühl, dieses Gefühl, was ich nicht einmal benennen konnte.

„Was ist los? Wieder in Gedanken?", Jasper lächelte mich an, verstehend. Ich schrak aus meinen Grübeleien und spürte, wie das Blut mir drohte in das Gesicht zu steigen. Scheiße, ich musste mich schleunigst wieder zusammenreißen. Das hier war Jasper. Wahrscheinlich sah er in mir dasselbe wie Kyle – einfach ein Mädchen, was sich zu bunt kleidete und eine zu große Klappe hatte.

„Ja, könnte man so sagen", meinte ich schließlich und spürte, wie Jasper seine Augen verengte. Trotzdem fragte er nicht nach – zum Glück. Ich hätte nicht gewusst, was ich ihm hätte antworten sollen. Stattdessen wechselte er das Thema.

„Wie läuft es mit Kyle?", er stützte sich mit den Händen hinter sich ab und wandte sein Gesicht der Sonne zu, seine Augen geschlossen. Es sah so friedlich aus, dass ich mich kaum zu sprechen traute, in der Sorge, diese wunderschöne Szenerie, den Moment zu zerstören.

„Gar nichts. Es läuft gar nichts." Irgendwie war es mir wichtig, dass er das wusste. Bestimmt einfach nur, weil er ein guter Freund von mir war – mir wichtig war.

Ich glaubte zu hören, wie er ein „Gut" murmelte, aber es konnte auch nur Wunschdenken sein. Scheiße, wenn es das war, war ich echt tief gesunken – mittlerweile konnte ich mich mit der Titanic streiten, wer tiefer lag. Innerlich stöhnte ich bei diesen ganzen Gefühls – und Gedankenchaos.

„Und bei dir? Irgendjemand Interessantes?", ich versuchte, nicht so zu klingen, wie ich mich fühlte, nämlich betend, dass er mit „Nein" antworten würde. Zeitgleich verfluchte ich mich dafür, immerhin wünschte ich Jasper, das er glücklich sein würde – egal, mit wem. Aber der Gedanke „Bitte nicht", der sich in meinem Kopf drehte und drehte, wollte einfach nicht verschwinden.

Jasper öffnete die Augen zu zwei schmalen Schlitzen, immer noch der Sonne zugewandt, die auf uns herunterschien.

„Ich weiß es nicht", meinte er schließlich und ich konnte trotz des ausgelösten Gefühlschaos verstehen, wie er das meinte – auch wenn ich mir wünschte, er hätte mit „Nein" geantwortet. Ich wusste es mittlerweile auch nicht mehr, wenn ich ehrlich war.

Die Beziehung zwischen Kyle und mir – falls es die überhaupt gab – veränderte sich. Wenn Kyle mir wieder zeigte, das er absolut kein Interesse an mir hatte, war ich zwar enttäuscht und traurig, aber es war nichts im Vergleich zu dem Schmerz, den ich noch vor einem Jahr empfunden hätte. Es schien, als ob ich für die alte Charlie – die, die ihr Herz wahrhaftig Kyle geschenkt hatte – traurig war, aber mein Selbst im Hier und Jetzt mittlerweile diese Illusion loslassen konnte, der ich mich so lange hingegeben hatte. Denn das war es – eine Illusion. Ohne ihn je wirklich gekannt zu haben, hatte ich mein Herz dieser Version Kyles, die aus meinen Gedanken - gesponnen aus Wünschen, Sehnsüchten und Einsamkeit - entsprungen war, zu Füßen gelegt. Nur um Tag für Tag zu erleben, wie er es übersah und darauf rumtrampelte.

Es war hart, es endlich anzuerkennen und mich nicht für meine Naivität und Dummheit zu verfluchen. Damals hatte ich es vielleicht gebraucht, aber vieles hat sich geändert. Ich habe jemanden kennengelernt, der mir nicht das Gefühl gab, schwer zu lieben zu sein und sondern viel mehr das Gefühl, ich selbst sein zu können  – wer auch immer das war.

Ich sollte mich nicht dafür verfluchen, was ich damals nötig hatte, sondern es feiern, dass ich es jetzt anders konnte. Natürlich tat es immer noch weh, wenn Kyle mir eine Abfuhr nach der anderen verpasste, aber es wurde leichter. Ich war stärker als das und ich würde nicht daran zerbrechen, dem war ich mir sicher. Stattdessen würde ich Liebe finden – Liebe, die erwidert wurde und zwar aus ganzem Herzen, aus voller Seele. Ich würde irgendwann die Liebe finden und leben, die mich nicht verschlang, wie die zu Kyle, sondern die mein ständiger Begleiter war.

„Du scheinst weit weg zu sein." Jaspers Stimme ließ mich ins Hier und Jetzt zurückkehren, auf dem kühlen Sportplatz mit einem brüllenden Coach, schwitzenden Jungs und hübschen Cheerleadern. Trotzdem musste ich noch ein paar Mal blinzeln, um antworten zu können – ich war wirklich weit weg gewesen.

„Ja. Weißt du, ich glaube ich liebe Kyle nicht. Habe ich nie", es platzte einfach aus mir heraus, ohne dass ich wirklich drüber nachdachte. Jaspers Augen weiteten sich kurz, bevor er grinste.

„Gut. Du hast jemanden verdient, der dich sieht", er zwinkerte mir zu und ich konnte nicht anders: Ich schenkte ihm mein breitestes Lächeln.

AUTHORS NOTE:
Hey :)...
Ich hoffe, eure Woche war halbwegs gut - und euch hat das Kapitel gefallen ^^.
Was haltet ihr von Charlies Überlegungen, logisch oder unverständlich?
Euch allen ein tolles Wochenende <3.

Mit verbundenen AugenOnde as histórias ganham vida. Descobre agora