R.I.P. Maik Melone

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32. Kapitel

Ich nehme alles zurück, Strandhaus. Ich liebe dich aus ganzem Herzen, diese Ruhe ist einfach himmlisch.

Es fühlte sich an, als würde ich zum ersten Mal seit Ewigkeiten schlafen – richtig schlafen – können. Vogelgezwitscher erfüllte mich, meine Umgebung und die warme Briese, die durch die Veranda hereinwehte. Das musste der Himmel auf Erden sein, von dem immer geschrieben, gesungen und erzählt wurde. Leise Schritte kamen erst näher, entfernten sich und verschwanden schließlich vollkommen. Ruhe, da war sie wieder. Ich wünschte, ich könnte sie einfangen, mir aufbewahren und haltbar machen. In ein Glas stecken, in mein Zimmer stellen, und immer, wenn mich negative Gefühle verfolgten oder mir einfach nur Tylers Chaos zu viel wurde, aufmachen und ruhen. Ich wusste nicht, wann ich das letzte Mal – ob ich überhaupt schon einmal – so geruht hatte.

Trotzdem wurde mein Körper langsam wach und verlangte nach einem gefüllten Magen und genug Wasser in meinem Blutkreislauf. Stöhnend setzte ich mich auf und blinzelte ein paar Mal bevor ich meine Umgebung wirklich sehen konnte.

Gestern Nacht hatte ich mit Raven das kürzere Los gezogen, wir mussten uns auf dem Sofa für die Nacht einrichten, wogegen die anderen im Obergeschoss die Schlafzimmer beherbergten. Doch Ravens Platz neben mir war leer, nur eine ordentlich zusammengelegte Sofadecke zeigte ein Indiz, das hier je jemand geschlafen hatte.

Meine Beine schmerzten, als ich mich schließlich aufstand und ich war heilfroh, dass ich nicht dumm genug war, gestern zu viel von Harrys Experimenten zu trinken. Kopfschmerzen wären jetzt echt das letzte gewesen.

Barfuß und in meinem Schlafanzug – wieder der mit den Äffchen – lief ich zur Veranda, stolperte über ein Glas, das auf dem Boden rumlag, und trat ins Sonnenlicht, das mich wärmend begrüßte.

„Guten Morgen, Sonnenschein." Mein Kopf ruckte in die Richtung, aus der die Stimme kam. Sofort entspannte ich mich, als ich Felicia und Raven an einem kleinen, runden Tisch sitzen saß. Erstere lächelte mir zu – mir schoss der Gedanke an ein Raubtier in den Kopf, dass unpassender Weise versucht zu lächeln.

„N' morgen", murmelte ich bevor ich mich auf einen der billigen Plastikstühle niederließ, die um das Tischchen verteilt standen. Raven schaute kurz auf bei meiner Stimme, schenkte mir ein abgelenktes Lächeln, bevor sie sich wieder dem Blatt vor ihr zuwendete. Ich würde meine Reserveschokoladen darauf verwetten, dass es Sudoku war. Felicia – die aussah, als hätte sie gerade einen Schönheitsschlaf hinter sich – zerschnitt derweilen eine Wassermelone. Prompt schnappte ich mir ein Stück und biss herzhaft herein. Felicias Blick schien Menschen aufzuschlitzen, aber dann atmete sie nur tief durch, bevor sie mir Äpfel von dem Obstkorb neben ihr hinlegte.

„Sind schon gewaschen. Fang an zu schneiden", meinte sie, ohne mich auch nur einen Blick zu würdigen, und schnitt gemächlich ihre Melone weiter. Wow, ihre Stimmung schien der von einem Eisblock zu gleichen. Ich war schlau genug, um nichts zu entgegnen, sondern nur schweigend das unbenutzte Brettchen und Messer von Raven zu nehmen.

Wir schnitten schweigend, nur die Geräusche von Metall auf Holz war zu hören, und ab und zu ein Kratzen von Ravens Stift auf Papier. Meine Gedanken schienen in jegliche Richtungen zu wandern.
Die Plastikstühle schienen viel zu billig für das Strandhaus zu sein. Warum standen sie hier, so fehl am Platz angesichts des Luxus? Vielleicht hatten James' Eltern einen sentimentalen Wert für sie. Bestimmt hatten sie eine interessantere Geschichte zu ihnen zu erzählen als zu dem teuren Couchtisch. Und warum waren James' Eltern so reich? Ich wollte mir eine kleine Scheibe davon abschneiden.
Aber wo waren meine Gedanken schon wieder? Ich wollte die Ruhe zurück. Ruhe und an nichts denken, einfach nur Ruhe und Frieden.

Keine Gedanken.

Keine Gedanken.

Aber mal im Ernst, ich sollte wirklich mal James zu dem Reichtum seiner Eltern befragen - er könnte mein Gelegenheits-Ratgeber werden, wenn er wollte.

Schon wieder erwischte ich mich, nicht den Moment zu genießen, sondern in Grübeleien und der Zukunft zu verharren. Mist.
Doch schließlich schien mein Kopf endlich zu verstehen, dass er loslassen konnte. Mein Kopf wurde leichter. Ich genoss es – Ruhe überkam mich, Frieden. Meine Gedanken kamen legten sich nieder, mein Inneres schien zu ruhen und mein Kopf war leer. Es war eine schöne, angenehme Leere, es war mehr wie Freiheit als Einsamkeit.

Prompt in dem Moment tauchte James in der Verandatür auf, wischte sich die nassen Haare aus der Stirn und schien sich vorzunehmen, die Stimmung bei uns auf Teufel komm raus zerstören zu wollen.

„Jemand hat mein Shampoo alle gemacht – jetzt musste ich das von meiner Mutter nehmen. Was, wie ich nun rausgefunden habe, kein Shampoo, sondern beschissene Rasierseife ist." Er stemmte entrüstet seine Hände in die Hüften und schaute abwartend zu uns.

„Ich musste meine ganzen Haare noch einmal waschen!", er stierte uns nieder, als ob Felicia, Raven und ich höchstpersönlich daran schuld waren.

„Dios mío, was bist du, zwölf?", Felicia war definitiv echt genervt, wenn sie schon spanische Wörter benutzte. Ihr passierte das nur, wenn sie emotional aufgeregt war – ein klares Alarmzeichen. Ein Alarmzeichen, was James natürlich nicht erkannte.

„Von einer Skala von eins bis zehn, ja!", schnappte er und richtete sich gerade auf. Ich versuchte noch, ihm einen warnenden Blick zuzuwerfen, doch da warf Felicia auch schon ein Melonenstück. Rest in peace, Maik Melone.

„Ja, einer Skala für Dummheit, da definitivo!", fauchte sie, während sie drohend mit dem Messer auf ihn zeigte. Warum hatte sie wertvolle, reife, fruchtige und super leckere Melone zum Schmeißen verwendet?

„Nein, die Melone! Felicia, Kinder in Afrika verhungern und du tötest Maik Melone?", deprimiert schaute ich auf das Melonenstück, dessen roter Fruchtsaft sich bereits einen Weg zwischen die warmen Holzdielen suchte.

Maik Melone, wir werden dich nicht vergessen, du bist im Kampf als Held gestorben.

„Gott, Charlie, das ist nur eine Melone, und die Kinder in Afrika ist es scheißegal ob es in deinem Magen oder auf dem Boden landet!", meinte sie in einem Tempo, dass ich ein paar Sekunden brauchte, um ihre Worte zu verstehen. Sie verdrehte währenddessen die Augen, hatte sich aber erstaunlicherweise ziemlich im Griff – kein weiteres Melonenstück oder gar ein Messer flog durch die Luft.

James schaute derzeit auf sein nicht-mehr-so-weißes T-Shirt, als ob er nicht glauben konnte, was er da sah.

„Das war mein einziges weißes Shirt!" Er warf Felicia einen anklagenden Blick zu. Die zuckte nur unbeteiligt die Schultern – sie würde eine super Auftragskillerin abgeben, sie zeigte keinerlei Reue nach dem Mord an Maik Melone und James' T-Shirt.

Quietschend schob ich meinen Stuhl nach hinten, stand auf und wischte meine Hände an James' T-Shirt ab.

„Ich weiß, dass Tyler eins eingepackt hatte – ich kann es dir holen gehen. Du schneidest die Äpfel weiter", ich zeigte auf die bereits geschnittenen in der großen Proviantbox, anschließend auf die restlichen auf dem Brett.

Als ich mich wieder zu meinem besten Freund umwandte, starrte der perplex auf sein Oberteil – die Götter allein wussten, wie lange schon.

„James? Hast du mich verstanden. Ich hole dir ein neues, blitzeblankes Shirt." Vorsichtig hob ich die Hände, als er langsam seinen Blick hob, bis er meinen traf. Abwehrend hielt ich die Hände höher, während ich langsam rückwärtsging.

„Du. Hast. Jetzt. Nicht. Ernsthaft. Deine. Hände. Darauf. Abgeschmiert." Mit jedem Wort kam er mir näher. Mein Fluchtinstinkt riet mir, jetzt sofort die Biege zu machen, als eine leise Stimme vom Rand sich einschaltete.

„James, setz dich hin und schneid Äpfel. Charlie, hol ihm dieses Oberteil."

Perplex wandten James und ich gleichzeitig unsere Blicke Raven zu, die uns streng musterte, ihr Blick wie blanker Stahl. Automatisch gehorchte ich, machte mich auf den Weg zu der Tür und sah gerade noch, wie James sich gehorsam an die Äpfel machte.

Kopfschüttelnd über diese überraschende Wendung – und dennoch überaus dankbar – ging ich zu Tylers Schlafzimmer und betete, dass er tatsächlich ein weißes Shirt dabeihatte.

Hallo Freunde,
Ich hoffe euch geht es gut! Aus irgendeinem Grund kann ich in diesem Kapitel nicht kursiv schreiben - ich hoffe, es stört euch nicht allzu sehr...
Kommt ihr zur Beerdigung von Maik Melone?
Er würde es bestimmt wertschätzen ^^.
Euch allen einen schönen vierten Advent <3.

Mit verbundenen AugenWhere stories live. Discover now