Tyler meinte, ich sollte Geschichtenerzähler werden, also wurde ich einer

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38. Kapitel

Müde stolperte ich die letzten Stufen unserer Treppe hinunter, meine Bettdecke um die Schultern gewickelt, und in die Küche, wo bereits meine Mutter mich erwartete. Erwartungsvoll musterte sie mich und ich wollte unwillkürlich einfach wieder in mein Bett – ich war noch nicht wach genug für ein Kreuzverhör. Der einzige Grund, der mich weitergehen ließ, war der Duft von frischen Brötchen.

Kaum das ich mich ihr gegenüber an den Tisch gesetzt hatte, fing sie an mich auszufragen.

„Wie war es gestern?", unschuldig rührte sie ihren Orangensaft um, während ich mir kaum verkneifen konnte die Augen zu rollen. Bereits als ich gestern Abend nachhause kam, hatte sie mich das gefragt – kaum hatte ich die Haustür hinter mir geschlossen.

„Schön", meinte ich nur und biss in mein Nutellabrötchen. Just in dem Moment gesellte sich Tyler, der davor im Wohnzimmer seinen Marvel-Marathon weitergeführt hatte, zu uns. Natürlich musste auch er sich einmischen.

„Wow, Charlie, wenn du etwas erzählst hat man immer das Gefühl, man wäre dabei gewesen." Spöttisch zog er eine Augenbraue hoch, während auch Mom mich erwartungsvoll niederstierte.

Ich fing an, Harry für seinen Unsichtbarkeitsumhang zu beneiden.

„Wir haben unser Projekt weitergemacht, etwas geredet und anschließend hat er mich nachhause gebracht. Er ist dein bester Freund, Tyler, frag ihn doch einfach selbst", wandte ich mich ihm nun zu, bevor ich mein halb ausgegessenes Frühstück stehen ließ, meine Decke enger um mich zog und aufstand. Ich wollte nicht darüber reden – ich wusste selbst noch nicht wirklich was ich von dem allen halten sollte. Jasper hatte mich zu seiner Familie eingeladen, zu dem Geburtstag seiner Mutter, und ich musste irgendwie einen guten Eindruck vor seiner verdammten Großfamilie machen und ein Geschenk für seine Mutter zusammenbekommen, dass nicht aussah, als hätte ich es im nächsten Supermarkt einfach gekauft. Oh, wie ich es liebte, Verantwortung zu tragen.

„Du kennst Jasper, er wird mir genau dieselben einsilbigen und absolut nichtssagenden Antworten hinschmeißen wie du." Tyler schüttelte genervt den Kopf, bevor er weiterredete: „Ihr habt euch echt verdient."

Ich lächelte ihn verschmitzt an. „Danke, das ist lieb von dir."

Meine Mutter stellte langsam ihren Tee ab und wandte sich an mich, gerade, als ich endlich wieder in mein Zimmer verschwinden wollte. „Du wirst mir heute auf dem Wochenmarkt helfen – danach hast du deine Strafe für die Party und das Footballspiel abgesessen. Oh, und bevor ich es vergesse, ich bezweifle, dass Tyler das als Kompliment meinte." Sie entließ mich mit einem Nicken, als ob ich sowieso nichts zu erwidern hätte. Schnaubend stampfte ich die Stufen nach oben, um mich anzuziehen – wie es aussah, würde Netflix auf mich warten müssen, heute würde ich den lieben langen Tag hinter einem Tisch stehen und versuchen, Obst zu verkaufen.

„Ein Schnäppchen: Zwei Kilo frische Bioäpfel für den halben Preis! Greifen Sie jetzt zu!"

„Kommen Sie zu uns – drei Säcke Kartoffeln für das Geld für zwei! Das wollen Sie sich nicht entgehen lassen!"

Stöhnend stützte ich meinen Kopf in die Hände und versuchte ihn von dem Wahnsinn um mich herum zu schützen. Ein paar weitere Stunden dieses Chaos und ich würde Hirnblutungen bekommen, dem war ich mir sicher.

„He, du hast die Säcke doch nicht einmal komplett aufgefüllt, bei meinem Stand sind sie viel voller. Kommen Sie zu uns und sichern Sie sich die besten Kartoffeln!"

Die Händler stritten und wurden immer lauter, während Menschen sich um ihre Stände tummelten, Wahre betasteten und geizig verhandelten. Als auch noch ein Junge einen Apfel bei einem unserer Nachbarsstände stahl und ein ganzer Tumult ausbrach, in dem Versuch, ihn zur Verantwortung zu ziehen, sprang ich auf. Es reichte mir, meine Mutter war so in das Gespräch über die richtige Pflege von Radieschen beschäftigt, sie würde mich wohl kaum benötigen.

Schnellen Schrittes entfernte ich mich von der Marktabteilung für frische Lebensmittel und verdrücke mich zwischen Stände voller Klamotten, die genauso übertrieben gepriesen wurden wie das Obst und Gemüse.

Als ich mich auch aus dieser Ecke verkrümelt hatte und letztendlich in einem kleinem antiquariatischen Bücherladen am Rande des Marktplatzes strandete, hatte ich das Gefühl, das erste Mal seit langem richtig Luft zu bekommen. Erleichtert wanderte ich durch die staubigen Gänge, gesäumt von klapprigen und modrigen Bücherregalen die überquellen zu schienen. Sanft fuhr ich mit den Fingerspitzen über die Buchrücken, fühlte die Verlockung, die die ganzen neuen Welten auf mich auswirkten. Es hatte etwas magisches an sich, in fast kompletter Stille durch Büchergassen zu wandern, den Staub in den Lichtstrahlen, die sich durch die kleinen hochgelegenen Fensterchen zwängten, tanzen zu sehen. Mittlerweile war ich unbewusst immer weiter in die Ladenmitte vorgedrungen, bis auf einmal ein kleiner, hölzerner Schreibtisch vor mir stand und eine kleine alte Dame sich dahinter etwas weiter aufrichtete, ihre runden Brillengläser tief auf der Nase, die dunklen Augen misstrauisch auf mich runterblickend. Ohne Grund kam ich mir irgendwie schuldig vor, auch wenn ich nicht wusste, für was. Fast hätte ich mich entschuldigt, als sie mich so zweifelnd anstarrte, riss mich dann aber doch zusammen und lächelte sie möglichst zuversichtlich an.

„Hallo. Ich stöbere nur etwas, das ist ein sehr schöner Laden, den Sie hier haben", ich versuchte, all meinen Charme in die Worte zu legen, aber anscheinend war das nicht allzu viel.

„Stöbern gibt's hier nicht. Kaufen oder Gehen. Du findest selbst den Weg zur Tür", sie drehte sich noch im Reden um, als ob ich keine Sekunde länger ihre Zeit wert wäre. Sie kramte in einer der vielen Schubladen, die sich in dem enormen Schrank hinter dem Pult versteckten; ich fasste das als Zeichen zum Gehen auf. Seufzend buxierte ich mich durch die engen Gänge, bis ich die kleine, braun gestrichene Tür fand – die Fenster in ihr waren so verschmutzt, dass man nichts dadurch erkennen konnte. Ich zog sie auf, eine kleine Klingel begleitete meinen Abschied, und wappnete mich für die Massen des Marktes. Im Nachhinein hätte ich mich lieber für einen Zusammenstoß mit einer sehr bekannten Persönlichkeit wappnen sollen.

AUTHORS NOTE:
Edle Freunde, es tut mir leid. Schon wieder ein Tag zu spät, langsam wird mir der Satz „Es tut mir leid" in der Autokorrektur angezeigt. Wenn das nicht ein Zeichen ist...
Wie auch immer, ich hoffe, ihr habt das Kapitel trotzdem genossen und habt ein gutes restliches Wochenende <3.

Mit verbundenen AugenTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang