Wanderung auf Abwegen

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33. Kapitel

Wie ich feststellen durfte, hatte er kein weißes T-Shirt dabei. Natürlich. Nach vergeblichen Minuten der Suche hatte ich schließlich aufgegeben, James die Angelegenheit möglichst sanft erklärt und verhindern können heute schon unter die Erde wandern zu müssen.

Schließlich kamen wir alle etwas wieder zur Ruhe – außer Raven, die war schon die ganze Zeit die Ruhe höchstpersönlich – und füllten unser geschnippeltes Obst in Proviantboxen, die wir am Nachmittag mit an den Strand nehmen wollten. Ein paar von uns wollten unbedingt eine kleine Strandwanderung machen, und als die Jungs wieder am Strandhaus waren und der Idee zustimmten, war die Sache festgelegt.

Tatsächlich freute ich mich auf das bevorstehende Event, auch wenn ich es normalerweise nicht leiden konnte, wandern gehen zu müssen. Doch meinen Freunden zuliebe versuchte ich mich zusammenzureißen und mir einzureden, dass es doch eigentlich ganz schön wäre, mal am Strand lang zu spazieren – vor allem, wenn so coole Menschen dabei waren, abgesehen davon, dass es meinen Beinmuskeln wahrscheinlich auch guttun würde.

Also schulterte ich mir eine Tasche mit Wasserflaschen und Obst, kleisterte mein Gesicht mit Sonnencreme zu bis man mich mit einem Vampir hätte verwechseln können, und lief meinen Freunden hinterher.

Diesmal lief ich nicht neben Jasper, nein, ich brauchte etwas Zeit zum Nachdenken und schloss zu keinem meiner Freunde auf.

Bei den Ereignissen der letzten Wochen hatte ich genug Stoff zum Drüber-Nachdenken, da war ich mir absolut sicher.

So viel ist passiert, Träume sind in Erfüllung gegangen, verloren gegangen, haben sich vielleicht verändert. Ich hatte mich verändert, oder jedenfalls ein Teil von mir, das war kristallklar.

Vieles ist mir klar geworden und ich bezweifelte für keine Sekunde, dass umso mehr noch auf mich zukommen wird. Und tatsächlich freute ich mich darauf – mich selbst mehr kennenzulernen. Charlie McAlby, kleine Schwester, beste Freundin und Klugscheißerin in Teilzeit. Verrückte, Hoffnungsvolle, Sarkastische und Verletzliche, wobei ich bei Letzterem noch dran arbeitete, es anzuerkennen. Ichc war auch die Tochter meiner Eltern, auch meines Vaters. Und auch wenn nicht alles davon mich glücklich machte, vielleicht sogar schmerzte, war ich dankbar für alles, was ich war. Denn allem voran war ich, ich existierte und hatte Menschen, die mich allein dafür liebten. Und wer war ich, wenn ich auch nur eines davon nicht wäre? Nicht die Person, die ich war – auch die Sachen, die ich nicht an mir mochte, machten mich zu dem, was ich war und zu der, die ich war. Allein dafür sollte ich jede Seelennarbe von mir küssen.

Ein Lächeln, klein, aber keinesfalls zerbrechlich, breitete sich auf meinen Lippen aus, ließ das, was in mir blühte, nach außen scheinen. Meine Freunde liefen vor mir, meine Herzensmenschen. Sie liefen über den Sand, eine Briese wehte Haare nach hinten und in Gesichter, ich vernahm Lachen, Gekreisch und Gerede, während die Sonne in ihren Haaren tanzte und ihre Silhouetten umrandete – man hätte sie für Engel halten können, Engel ohne Flügel.

Und vielleicht waren sie das auch.

„Hey Charlie, nicht einschlafen dort hinten! Wir sind da, komm nach vorn." Harry winkte mir zu, während er rückwärts weiterlief. Sein Grinsen war trotz der Sonne zu sehen, ich musste nicht einmal die Augen zusammenkneifen.

Und in diesem Moment traf es mich. Es rieselte durch mich hindurch wie warmer, frischer weißer Schnee, ließ meinen ganzen Körper kribbeln und ich wünschte, dieses Gefühl für immer in mir zu behalten, ganz egal was kommen mag.

„Bin auf dem Weg, was kann ich für meine kurzen Beine?", rief ich schließlich zurück und fiel in einen leichten Trab. Meine Freunde machten sich bereits an den Abstieg zum Strand und hoben gerade Choles speziellen Rollstuhl für den Strand runter, während die restlichen meinen Freund stützten.

Mit verbundenen AugenWhere stories live. Discover now