So nah und doch so fern

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34. Kapitel

Kurz nachdem Kyle angepisst zu uns zurückkehrte und Jayden sich endlich aus dem Staub machte, ging es glücklicherweise bergauf mit der Stimmung unser Trampelrunde. Ein paar Minuten später fanden wir einen Kiosk, kauften uns alle eine unrealistische Menge an Essen und Trinken, fragten den Verkäufer nach dem Weg zu einer der kleinen Häusersiedlungen, die nicht weit von unserer Unterkunft entfernt waren. James meinte, dass wir von dort auf jeden Fall nachhause finden würden und es nicht einmal ein großer Umweg wäre. Dankbarerweise waren wir alle etwas minderbemittelt gewandert, sodass wir sogar mittlerweile unbewusst wieder auf dem Rückweg waren. Keinen schien das zu stören, mich eingeschlossen. Sobald ich meine Chips aufriss und den ersten zwischen den Zähnen spürte, hätte ich vor Freude heulen können. Mein Magen hätte bestimmt mitgemacht.

Die Begegnung mit Jayden wühlte mich trotz der Meilen, die ich anschließend lief, auf. Ich konnte mir nicht erklären, warum, aber etwas an ihm stimmte mich tieftraurig, auch wenn ich es nicht in Worte fassen konnte. Es war wie Sand in meiner Hand, wie Rauch zwischen meinen Fingern, es war zum Greifen nah, aber nie erreichbar. Es lag mir auf der Zunge. Aber es fiel mir nie etwas Konkretes ein, und so blieb Jayden und diese Traurigkeit ein Geheimnis aus Sand und Rauch.

Als wir schließlich im Dunkeln in dem Strandhaus ankamen, schmerzten unsere Füße ungemein und unsere Schultern von dem Tragen steif. Doch trotz der Unannehmlichkeiten entschieden wir, uns noch an ein Lagerfeuer zu setzen, was Tyler und Jasper netterweise vorbereiteten. Es war unser letzter Abend gemeinsam im Strandhaus und wir alle wollten noch so lange an diese Zeit festhalten, wie es ging. In einen wärmeren Pullover und gefütterte Hose gekleidet trat auch ich auf die Veranda, lief die zwei Stufen herunter und setzte mich auf einen der Plastikstühle, die jemand um die Feuertonne in der Mitte arrangiert hatte. Die meisten saßen bereits, nur Violente fehlte – wahrscheinlich wollte sie noch etwas auf ihr Handy einhämmern.

Draußen war es mittlerweile kühl geworden und ich rutschte frierend näher ans Feuer, bis die Hitze an meinen Schienbeinen fast unerträglich wurde.

„Hey, Charlie! Stimmt's, ohne Partyspiele wären Partys einfach nur Bullshit. Die bringen doch erst Spannung in den Saftladen." Angeekelt schüttelte Harry seinen Kopf und ich stimmte ihm grinsend zu. Kyle stöhnte entnervt auf, während Harry gewinnend jauchzte und subtil seinen Arm um James' Schultern legte. Mein Grinsen wuchs unwillkürlich während mein Blick weiterwanderte und prompt bei zwei bitterbraunen Augen mir gegenüber hängen blieb, deren Blick bereits auf mir lag. Mein Grinsen schwand und ich konnte meinen Blick einfach nicht von seinem lösen, obwohl ich Angst bekam, was er wohl in meinen Augen lesen könnte, in meiner Miene. Doch ein anderer Teil war bereits gewillt, die Kontrolle abzugeben und ihn einfach sehen zu lassen. Vielleicht sah er sogar meine Gefühle ihm gegenüber, dann müsste ich sie ihm wenigstens nicht erzählen.

Das Universum schien sich für eine Sekunde, vielleicht aber auch eine Ewigkeit, zu verringern, zusammenzuziehen, bis nur noch Jasper, ich und das Knistern des Feuers existierte. Doch schließlich blinzelte Jas, zog kurz einen Mundwinkel hoch und wandte sich an James, der, wie ich nun mitbekam, Jasper bereits ein paar Mal angesprochen hatte.

Das Prasseln des Feuers und mein rasender Herzschlag übertönten James' und Jaspers Austausch und ich verknotete nervös meine Hände im Schoß. Eigentlich sollte ich das Kribbeln in mir, die Nervosität aber auch die Hoffnung, direkt auslöschen, bis nichts als Asche übrig wäre. Ich wusste, verdammt nochmal, dass Jasper bereits sein Herz vergeben hatte, und ich wollte keinesfalls zwischen ihm und seinem Glück stehen. Trotzdem konnte ich die aufgewirbelten Gefühle in mir unmöglich in Schach halten, sie waren zu bedeutend für mich. Ich wandte meinen Blick von Jaspers Seitenprofil ab, auf dessen Haut sich die Flammen des Feuers zu spiegeln schienen, die Schatten in seinen Augen tanzten. Er war wunderschön in diesem Moment, mir so nah, aber so fern, Universen und Gefühle und Unausgesprochenes zwischen uns.

Tella, die sich einen Stuhl zwischen mich und Chole gequetscht hatte, wandte sich nun zu mir. Ihre warme Hand legte sich beruhigend auf meine und ich hob unwillkürlich den Kopf, bis wir uns in die Augen blickten. Eine Weile lang sagte keiner etwas, doch ich hatte das Gefühl, sie konnte mich trotzdem wie ein offenes Buch lesen.

„Was ist das zwischen euch? Liebe? Oder etwas anderes?" Sie redete ruhig, als ob sie mich fragte, ob ich ihr ein Brötchen vom Bäcker mitgebracht hätte.

„Tella, ich..." Ich hatte verdammt nochmal keine Ahnung, was ich darauf antworte sollte? War es Liebe oder war es noch zu früh, meine Gefühle dafür zu labeln? Aber was war es dann? Meine beste Freundin schien zu verstehen und drückte noch einmal meine Hand, bevor sie sie wieder in eine ihrer Jackentaschen steckte.

„Charlie, ich merke, wie du ihn anschaust, wenn du glaubst, keiner schaut hin. Wie ihr euch beide immer wieder anschaut." Ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen stieg und ich am liebsten vor diesem Gespräch fliehen würde. Trotzdem unterbrach ich sie nicht.

„Wenn du ihn liebst, oder auf dem Weg dahin bist, dann sag es ihm. Ihr beide verdient Klarheit. Verschaff sie euch." Sie lächelt mich offenherzig an, doch ich konnte nur ein schwaches Lächeln zustande bringen. Bei ihr klang es so einfach, so simpel und so klar.

„So einfach ist das nicht. Ich weiß sozusagen schon, dass er jemanden anderen... liebt. Er würde mich ablehnen, wahrscheinlich versuchen die Freundschaft zu retten, aber mehr würde er nicht tun können. Seine Blicke, Tella, vielleicht deuten wir sie einfach falsch." Ich zuckte mit den Achseln und versuchte, mir nicht die Hoffnungslosigkeit anmerken zu lassen, die mich überkam, nun, da es ausgesprochen war. Ausgesprochen wirkte es realer, es zermalmte meine Hoffnung, dass es vielleicht doch ganz anders wäre.

„Hey. Hey!" Tella fasste nach meinem Arm und schaute mich entschlossen an, bis ich ihren Blick hielt, die Entschlossenheit darin wahrnahm. „Ich liebe dich Charlie, aber du hast nicht das Recht, dir einzubilden, du wüsstest, wie er entscheiden würde. Das geht dich nichts an, seine Reaktion kannst du nicht kontrollieren. Gib ihm die Chance, selbst darauf zu reagieren. Nimm ihm das nicht weg, Charlie. Spiel dich nicht selbst vom Spielfeld. Und wer weiß, vielleicht wird er dich überraschen." Sie zwinkerte mir warm zu, ließ die Worte nicht ganz so hart wirken, obwohl sie Recht hatte. Seine Reaktion war seine Verantwortung, nicht meine. Ergeben seufzte ich und nickte Tella dankbar zu, die meinen Arm kurz tätschelte, bevor sie sich Chole zuwandte.

Wieder bei mir selber hielt ich meine mittlerweile kalten Handflächen ans Feuer, ließ die Hitze in meine Haut brennen und meine Gedanken schweifen.

Sie kehrten immer wieder zu einem Jungen mit bitterbraunen Augen zurück, genau wie mein Blick.


AUTHORS NOTE:
Hey Freunde,
Ich wünsche euch schon einmal einen guten Rutsch ins neue Jahr und dass ihr alle einen schönen Jahreswechsel habt.
Ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen, wie immer könnt ihr gerne eure Meinung äußern oder Voten ^^.
Bis nächstes Jahr!

Mit verbundenen AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt