Kapitel 58

57 6 9
                                    


„Es macht dir wirklich nichts aus, dass ich bei dir wohne?“, frage ich leise in den Hörer. Unsicher knabbere ich an meinem Fingernagel und starre auf meine gepackten Sachen.
„Maus, ich habe es dir angeboten, warum sollte es denn ein Problem für mich sein?“, stellt Pia eine Gegenfrage und ich kann mir gut vorstellen, dass sie ihren Kopf schüttelt.
„Weiß nicht“, seufze ich. Langsam stehe ich auf, um noch mal eine runde mit Leo zu gehen. Es ist erst vier Uhr morgens, aber an Schlaf ist für mich nicht zu denken. Meine Aufregung heute nach Pia zu ziehen und all das hinter mir zu lassen hält mich wach. Die letzten Monate habe ich nur auf der Couch verbracht und Mirko kam nicht mal annähernd auf die Idee mich im Bett schlafen zu lassen, sodass er mal auf der Couch schläft. Leise klimpert Leos Leine und keine Sekunde später steht er quietschend neben mir. „Bleibst du kurz dran? Ich wollt schnell mit Leo gehen und möchte nicht so alleine dabei sein.“
„Natürlich. Du kannst heute endlich Kralle kennenlernen“, verkündet sie fröhlich „Ich wollte mich heute Nachmittag mit ihm treffen, da kannst du mitkommen.“ Dem klatschen im Hintergrund nach zu urteilt, hat sie ihre Hände ineinander geschlagen und freut sich tierisch.
„Ich weiß nicht, da können wir ja drüber quatschen, wenn ich bei dir bin. Ich möchte erst mal ankommen.“ Der Gedanke daran für immer hier wegzukommen schmerzt unfassbar, egal wie sehr Mirko und ich uns auch gestritten haben in den letzten Monaten er war immer da. Doch als er zu mir sagte ich sei so asozial wie meine Schwester, ist bei mir eine Sicherung durchgebrannt und ein Punkt angelangt, wo es nicht mehr tragbar war hier zu bleiben. Die Ohrfeigen, welche er von mir bekam, war noch harmlos, wenn Nina mich nicht mitten in der Nacht mit einem Freund von ihr abgeholt hätte, wäre einer von uns am nächsten Tag nicht mehr aufgestanden. Wütend schnaube ich die Luft durch meine Nase heraus. Meine Gedanken kreisen um die Nachricht, welche ich auf seinem Handy gelesen hatte, ‚Ich hätte eh bald Schluss gemacht, so fett wie die ist … So was kann man nicht lieben’ schmerzerfüllt kneife ich meine Augen zusammen. Ich weiß, dass man nicht in andere Handys schaut, aber ich konnte nicht anders. Es ist das beste endlich hier wegzukommen und ein neues Leben zu beginnen.

„Hey Anna, hast du deine Sachen gepackt?“, fragt Kevin mich. Ich freue mich unglaublich ihn zu sehen und bin ihm dankbar dafür, dass er mir hilft, trotz das wir uns jahrelang nicht gesehen habe.
„Natürlich.“ Fröhlich drücke ich ihn fest an mich heran und will ihn gar nicht mehr loslassen.
„Dann komm, wir wollen doch nicht im Stau geraten. Das ist übrigens Maik.“ Er deutet auf einen korpulenteren Mann, der gerade aus dem Transporter aussteigt. Freundlich lächle ich und nicke ihm zu.
„So viele Sachen habe ich aber gar nicht, ein Kombi hätte auch gereicht“, gebe ich kleinlaut von mir.
„Ach egal, ist bequemer im Transporter.“ Leise lacht Kevin auf und folgt mir in die Wohnung, wo Mirko an der Tür mit Leo wartet.
„Hey“, sagt er leise und lässt uns eintreten.
„Den Fernseher sollten wir als erstes reintun, damit der gleich von meiner Wäsche geschützter ist.“
„Wie du nimmst den mit.“ Mit großen Augen schaut Mirko mich an und schüttelt den Kopf.
„Du wolltest ihn bezahlen, hast nicht einen Cent an Otto überwiesen. Ich habe die scheiß Schulden am Arsch, also ja, ich nehme den Fernseher mit!“, gebe ich gereizt von mir. Warum er ausgerechnet über den Fernseher diskutieren muss. Mit schnellen griffen, hat Kevin den Fernseher abgeschlossen und schaut auf die Horizon Box.
„Die auch?“ Fragend deutet er auf den Receiver und ich nicke nur.
„Dein Ernst?“, nörgelt Mirko schon wieder.
„Jaa, es ist mein Vertrag, also nehme ich es auch mit. Entweder du hilfst uns die Sachen in den Transporter zu tun oder du gehst uns aus dem Weg. Mein Gott.“ Genervt schnappe ich mit zwei schwarze Säcke mit meiner Wäsche bringe sie hinaus und stelle sie neben den Wagen. Mirko hat ein Glück nichts mehr gesagt und geholfen meine Klamotten und die Sachen meiner Mutter in den Wagen zu bringen.
„Heißt wohl jetzt Abschied nehmen“, gibt er kleinlaut von sich und starrt auf den Boden. „Möchtest du Susi nicht doch mitnehmen?“
„Joa, das heißt es. Du weißt ich kann sie nicht mitnehmen, ich hab doch schon Leo dabei und Pia hat nur eine kleine Wohnung, das geht nicht.“ Traurig schaue ich zum Wohnzimmerfenster, wo Susi gerade sitzt. Es tut mir unfassbar weh sie zurückzulassen, aber ich kann sie einfach nicht mitnehmen.
„Ok, dann …“ nachdenklich schaut er mich an, „pass auf dich auf und meld dich, wenn du angekommen bist.“ Zögerlich nimmt er mich in den Arm, doch ich schiebe ihn nur von mir weg.
„Mach es dir nicht schwerer. Komm Leo.“ Mit einem sanften Ruck ziehe ich an der Leine und dirigiere ihn zum Wagen. Unbeholfen klettert er hinein was mir ein leises Lachen entlockt. So ein merkwürdiger Hund. Jetzt heißt es auf nimmer wiedersehen Wickede und hallo Wermelskirchen.

Die Fahrt verlief ruhiger als erwartet, nur zwischendurch sprachen Kevin und ich über belanglose Dinge. Meine Gedanken kreisten die ganze Zeit um Pia und wie es wohl werden wird, bei ihr zu wohnen. Unsere Freundschaft wird dadurch definitiv auf die Probe gestellt, aber mir ist alles lieber, als noch weiter bei Mirko zu leben.
Nervös kaue ich an einem Hautfetzen an meinem Fingernagel, laut dem Navigationsgerät sind es nur noch ein paar Minuten und ich kann Pia in meine Arme schließen. Schnell hole ich mein Handy hervor und schreibe ihr, dass wir gleich da sind. Mein Herz schlägt immer schneller, je weniger Zeit auf dem Navi steht. Breit grinsend streiche ich Leo über den Kopf und schaue mir die Häuser an. Sieht schon aus wie eine Spießer Gegend, denke ich mir und warte sehnsüchtig darauf, dass wir endlich abbiegen. Die letzten zwei Minuten fühlen sich an wie Stunden und ich kann es kaum noch erwarten.
„Hier müssen wir rein!“, rufe ich erfreut und deute auf eine Straße, die hinter der Kurve zu sehen ist. Ich lasse das Navi nicht eine Sekunde mehr aus den Augen und beobachte den kleinen roten Punkt, der uns das Ziel markiert. Die nächste Straße direkt wieder rechts und um die Kurve herum.
„Man stehen die hier scheiße.“ Langsam manövriert Maik den Transporter an den dicht aneinander geparkten Autos vorbei. „Ich Dreh eben, dann stellen wir uns vor die Garagen, dauert ja nicht lang.“ Eifrig nicke ich und sehe Pia schon an der ersten Garage stehen, mit einem riesigen grinsen im Gesicht winke ich ihr, was sie erwidert.
„Ist das deren scheiß ernst? Das ist ein beschissener Wendekreis und ihr Lackaffen habt nichts Besseres zu tun als den zuzuparken. Verdammt noch mal. Führerschein bei eBay Kleinanzeigen gekauft oder was?“, nörgelt Maik und haut den Rückwärtsgang rein. Schnell fährt er vor die Garage und zieht die Handbremse an, sodass der Wagen ruckartig zum Stehen kommt. Sofort reiße ich die Tür auf und versuche auszusteigen, doch der Gurt zieht mich wieder zurück. Ich spüre wie mir die Hitze ins Gesicht steigt, Gott wie peinlich, und löse das dämliche Ding von mir.
„Anna!“, ruft Pia und kommt mit großen Schritten auf mich zu. Augenblicklich liege ich in ihren Armen und versuche nicht in Tränen auszubrechen, weil sie mir so gefehlt hat.
„Hi“, flüstere ich leise und klammere mich an ihr fest. Leo versucht die ganze Zeit sich zwischen uns zu drängen, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Langsam lässt Pia einen Arm sinken und streichelt ihm über den Kopf.
„Komm, wir räumen schnell aus, dann gibt es einen Kaffee. Möchtet ihr auch einen?“, fragt Pia an Kevin und Maik gerichtet, doch beide verneinen.

Wann hört es auf? Dove le storie prendono vita. Scoprilo ora