Kapitel 15

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„Alles Gute zum Geburtstag, mein Schatz“, flüstert Mirko in mein Ohr. Verschlafen drehe ich mich von ihm weg. Ich will nicht aufstehen und erst recht nicht meinen Geburtstag feiern.
„Aufstehen“, mit feuchten Lippen küsst er mehrmals meine Wange, was mich schmunzeln lässt, „Ich habe ein Geschenk für dich.“ Schlagartig reiße ich meine Augen auf.
„Geschenk?“, frage ich neugierig und setze mich hin, „Los her damit!“ Lachend zieht Mirko seinen Rucksack auf das Bett und kramt darin herum. Mir dauert das ganze zu lang, sodass ich ihm den Rucksack entreiße und selbst in der Tasche krame. Ein kleiner unscheinbare Karton tritt zum Vorschein und ich sehe Mirko fragend an. Grinsend nickt er. Völlig aufgeregt öffne ich das Geschenk und schaue fragend auf einen Zettel. Vorsichtig nehme ich ihn heraus.
‚Mein lieber Schatz, wir können zwar nicht ins Kino gehen, aber dafür können wir Filme gucken. Und weil alles nicht so geklappt hat wie wir es wollen, fahren wir nächste Woche nach Dortmund und du bekommst dein Zungenpiercing. Ich liebe dich so sehr und bin mehr als froh dich wieder an meiner Seite zu haben. Bitte verlass mich nie wieder.‘
Lächelnd lege ich den Zettel beiseite, ziehe Mirko zu mir und küsse ihn, so intensiv ich kann. Ich bekomme ein Piercing. Innerlich tanze ich vor Freude und kann es kaum erwarten.
„Da ist noch was drin.“ Grinsend zeigt Mirko in den Karton und hebt eine schwarze Hülle hervor. Laut knackend gibt die Hülle nach und geht auf. Eine unbeschriftete CD. Mirko nimmt sie mir aus der Hand und drückt an meinem Fernseher herum. Schnell hüpft er wieder in das Bett, welches leise ächzt, bei der plötzlichen Belastung.
„Pass auf, das Bett ist 100 Jahre alt“, schimpfe ich mit ihm und streiche vorsichtig über die Verzierungen vom Rahmen. Oft genug hat mein Vater mit mir gemeckert, wenn ich so in das Bett gesprungen bin und so langsam verstehe ich es. Das Bett ist besonders, anders und mit der Zeit einzigartig geworden. Ich mag dieses dunkle Holz und die hohe Rückwand.
„Es ist nur ein Bett.“ Kopfschüttelnd schaut Mirko zum Fernseher und stellt den DVD Player auf Pause, „Wir schauen den Film später.“

Leise schleiche ich in mein Zimmer, da mein Vater mal wieder am schlafen ist. Entweder er ist weg oder schläft oder meckert mit mir, womit hab ich das verdient? Nachdem Mirko und ich den Film geschaut hatten hat mein Vater ihn auch wieder nach Hause geschickt. Er mag ihn nicht und ich verstehe nicht warum. Zum wiederholten Male vibriert mein Handy, schnell nehme ich es in die Hand und muss leise auflachen. Mirko hat ein Bild geschickt, auf dem er schielt und sein Gesicht zu einer Grimasse verzieht. ‚Mirko: Dein Papa ist echt nervig, wenn du 18 bist kommst du einfach zu mir.‘ Grinsend antworte ich ihm ‚Anna: Dann musst du aber eine Wohnung haben, mein Schatz.‘, ‚Mirko: Mein Chef stellt mir eine von seinen Wohnungen, sollte also kein Problem sein.‘

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„Anna, geh mal eben einkaufen“, ruft mein Vater aus dem Wohnzimmer. Augenverdrehend stehe ich auf und bleibe am Türrahmen stehen.
„Ich bin immer noch krankgeschrieben, also darf ich nicht raus“, erwidere ich spitz und ziehe eine Augenbraue hoch.
„Wenn dich jemand sieht sag, dass du vom Arzt kommst.“
„Ich soll so nicht rausgehen, aber einkaufen darf ich oder was?“ Genervt tippe ich mit meinem Fuß auf dem Boden.
„WENN DU ESSEN WILLST GEH EINKAUFEN!“, schreit er so laut, dass ich zusammenzucke. Ich Knicke ein, nehme mir etwas Geld und ziehe mich an.
Mit dem großen Seesack von meinem Bruder bewaffnet, laufe ich durch den Discounter. Bring mir Apfelschorle mit. Äffe ich, in Gedanken, meines Vater nach. Wie ich es hasse, immer für alles sorgen zu müssen. Schnell packe ich das Nötigste in den Einkaufswagen und nehme für mich noch ein paar Chips und Milchreis mit. Während ich die Einkäufe in den Sack einsortiere, Summe ich leise die Melodie von Tetris. Ich habe viel zu viel eingekauft, mein Rücken schmerzt bei der großen Belastung. Jeder Schritt wird zur Qual, doch ich weiß, wenn ich jetzt Klingel wird mein Vater nicht runter kommen, um mir zu helfen. Mühsam steige ich die Stufen hinauf und komme schnaufend oben an.
Langsam fische ich die Apfelschorle aus dem Seesack und reiche sie meinem Vater: „Vorsicht, die könnte etwas geschüttelt sein.“ Viel zu schnell öffnet er die Flasche, sofort schwappt ein Schwall an Flüssigkeit hinaus.
„Ich hab doch gesagt Vorsicht.“ Wütend schmeißt er mir die Flasche entgegen und ich hebe sie wieder auf, um sie zu öffnen.
„Lass es. Jetzt will ich auch nichts mehr!“, zischt er mich an, doch davon lasse ich mich nicht abhalten und drehe vorsichtig am Verschluss und schließe ihn wieder, sobald es anfängt zu schäumen. Schwungvoll springt mein Vater auf und seine flache Hand landet laut klatschend in meinem Gesicht. Vor lauter Schock schreie ich auf.
„Tu ruhig so, als würde ich dich verprügeln. Ich habe dir gesagt lass es!“, spuckt er mir regelrecht entgegen. Mir schießen blitzartig Tränen in die Augen und ich halte meine Hand an die Wange. Wieso hat er das getan? Schnell renne ich in mein Zimmer und knall die Tür zu. Damit mein Vater nicht hinter kommen kann, setze ich mich vor die Tür und stemme mich mit aller Kraft dagegen.
„Der einzige, der hier die Türen knallt bin ich!“, ruft er wütend und versucht die Tür zu öffnen. Nein, er darf nicht rein, er darf mir nicht noch mal weh tun! Das pochen in meiner Wange wird immer stärker und ich kann mir vorstellen wie rot meine Wange jetzt ist. Schniefend ziehe ich meine Beine an den Körper und stütze meinen Kopf darauf. Fest beiße ich mir auf die Lippe, der stechende Schmerz lenkt vom anderen ab. Mit verschwommener Sicht suche ich nach meiner CD Tasche und lege die erst beste in den DVD Player. ‚Immer am falschen Ort
Zur falschen Zeit Voll daneben‘ Immer fester drücke ich auf die Lautertaste, bis ich nichts mehr höre, nur noch die Musik dröhnt in meinen Ohren. Wütend schmeiße ich mich auf mein Bett und schreie in das Kissen. Das kann doch alles nicht wahr sein! Ich wache bestimmt gleich auf und bin in einer wunderbaren Familie. Keiner schreit sich an und es läuft harmonisch. Wieder kullern Tränen hervor und sickern in das Kissen. Schnell ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche und frage Nicole, ob ich nicht ein paar Nächte bei ihr bleiben kann. Ihre Antwort lässt lange auf sich warten, doch schließlich stimmt sie zu. Ohne groß zu überlegen, schmeiße ich ein paar Klamotten in eine Tasche, schalte den Fernseher aus und gehe.

„Was hat der Alte dieses Mal gemacht?“, fragt Andy direkt und gibt mir einen Kuss auf die Wange, während ich die Wohnung betrete. Überrascht schaue ich auf seinen Kopf. Er hatte doch letztens noch braune Haare, warum sind die jetzt schwarz? Verwirrt schüttle ich mich und gehe direkt ins Badezimmer, um mir eine zu rauchen.
„Erzähl Kleine“, fordert er mich auf und setzt sich auf den kleinen Hocher vor der Dusche. Weinend erkläre ich ihm was passiert ist und mache mir direkt die nächste Zigarette an.
„Das legt sich bestimmt wieder. Ihr beide hockt immer aufeinander. Es bleibt leider nicht aus, wenn zwei Sturköpfe unter einem Dach leben, dass es da öfter mal knallt.“ Lächelnd streicht er über meine Hand und drückt einen sanften Kuss darauf.
„Papa ist doch nie wirklich da und wenn er da ist, gibt es nur Streit. Ich halte das nicht aus. Ich kann nicht mehr Andy! Guck dir doch meine Arme an. Schau nach wie wenig Tabletten ich nur noch hab, weil ich die Teile fresse, als wären es Smarties. Ich will das alles nicht mehr!“ Weinend stürze ich mich in seine Arme. Gerade so schafft er es, auf dem Hocker sitzen zu bleiben und streichelt über meinen Hinterkopf.
„Soll ich mal mit ihm sprechen?“ fragt er sanft und drückt mir einen Kuss auf die Schläfe. Schnell schüttle ich den Kopf.
„Das wird das ganze nur verschlimmern“, schniefe ich und wische meine Tränen an seinem T-Shirt ab.
„Was ist los?“, höre ich Nicole hinter mir fragen. Doch Andy schüttelt den Kopf und wiegt mich weiter in seinen Armen.

Gedankenverloren liege ich auf der Couch und der doofe Kater kuschelt sich vor meinem Bauch ein.
„Ich hasse dich immer noch, denk ja nicht das ich dich anfassen werde“, flüstere ich und quetsche meine Hand zwischen meine Beine, um dieses haarige Ungetüm bloß nicht zu berühren. Seufzend zappe ich durch die verschiedenen Kanäle, doch finde ich nichts was mich anspricht. Ich lasse irgendeinen Sender leise im Hintergrund laufen, wo sie gerade über Ameisen sprechen. Ekelige Tiere. Ein kalter Schauer fährt mir über den Rücken und ich schüttle mich. Langsam streiche ich über das Fell von dem schnurrenden knetenden Kater und verdrehe die Augen.
„Hast es ja doch geschafft, dass ich dich streichle.“ Sein Fell ist unglaublich weich, dies ist mir vorher nie aufgefallen. Wie denn auch, wenn er so ein aggressives Tier ist? Schmunzelnd lege ich meinen Kopf schief.
„Du hast die Ruhe weg oder? Kannst immer raus, wann du willst. Bekommst liebe, wenn du sie willst und hast die meiste Zeit deine Ruhe.“ Merkwürdigerweise entspannt es mich, mit dem Kater zu sprechen, obwohl er nicht antworten kann. Vielleicht auch gerade deswegen.

Wann hört es auf? Where stories live. Discover now