Kapitel 50

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Anna's Sicht

Die Woche raste nur so an mir vorbei und immer wieder durchsuchte ich das Internet nach BDSM. Es ist unglaublich faszinierend, aber ob das wirklich was für mich ist? Nachdenklich schaue ich aus dem Bus, hinaus in die Landschaft. Nur noch ein paar Haltestellen und ich bin bei meinen Großeltern. Ich freue mich unglaublich, nach vier Monaten sie wiederzusehen. Grinsend lausche ich der Musik und schweife gedanklich wieder zu Dominik und unseren Gesprächen. Er ist unglaublich nett und geduldig mit mir und erklärt mir sämtliche Fragen, die ich habe. Leider wohnt er viel zu weit weg, um sich mit ihm zu treffen, aber allein mit ihm jede Nacht zu schreiben, macht meine Tage erträglicher und um einiges spannender, als mit Mirko. Entweder sitzt er nur vor seinem Computer, klebt mir am Hintern oder macht Schwarzarbeit, damit wir etwas mehr Geld haben. Die paar Euro die ich von meiner Mutter bekomme, dafür, dass ich bei ihr putze oder eher mich mit den Hunden und meiner Katze beschäftige, verschwinden in meiner Tasche. Kurz Öffne ich die App, wo ich mit Dominik immer schreibe und stelle überrascht fest, dass er sich gemeldet hat. ‚DomInik66: Na Süße, wie ist dein Tag so? Mein Tag läuft wie immer, also nichts Spektakuläres. Warst du schon bei deinen Großeltern? Ich hoffe du hattest Spaß.‘ Leider sehe ich, dass er nicht online ist und antworte ihm nur kurz, dass ich noch auf den Weg dorthin bin und mich am Abend bei ihm melden werde.

Mit einem breiten grinsen im Gesicht stehe ich vor dem Haus meines Onkels, wo meine Großeltern ihre Wohnung haben und Klingel. Leise summt mein Handy in der Hosentasche und ich ziehe es hervor: ‚Mirko: Wann kommst du wieder?‘ Genervt verdrehe ich die Augen. ‚Anna: Ich bin gerade erst angekommen …‘
„Schätzchen.“ Freudestrahlend steht meine Oma im Türrahmen und breitet ihre Arme aus.
„Hi Oma“, flüstere ich und drücke ihr einen Kuss auf die Wange.
„Kindchen, du wirst ja immer mehr.“ Vorwurfsvoll mustert sie meinen Körper und hält mich an den Schultern fest. „Geh Opa hallo sagen“, fordert sie mich auf und schüttelt den Kopf, als könnte sie es nicht glauben, wie ich aussehe. Ich kann es ja selbst nicht glauben, wie ich mich verändert habe. Seufzend gehe ich in das umgebaute Wohnzimmer, wo mein Opa in seinem Krankenbett liegt. Alles wurde für ihn behinderten gerecht gemacht, weil er nicht mehr richtig laufen kann. Langsam gehe ich auf ihn zu und räuspere mich, um auf mich aufmerksam zu machen, doch er scheint mich nicht zu bemerken.
„Hey Opa.“ Sanft lege ich meine Hand auf seine, beuge mich zu ihm vor und gebe ihm einen Kuss. Nur kurz zucken seine Mundwinkel, aber mehr kommt von ihm nicht. In mir zieht sich alles zusammen, von meinem Opa ist nichts mehr da, wie ich ihn mal kannte. Er ist eine ganz andere Person geworden. Mit Tränen in den Augen drehe ich mich von ihm weg und gehe wieder in die Küche. Sofort lasse ich mich in Omas Arme fallen. Mir ist es egal, ob sie gerade das Mittagessen macht, ich brauche das jetzt. Tröstend streichelt sie über meinen Rücken.
„Er brauch ein bisschen“, flüstert sie und rührt mit der freien Hand im Topf, mit dem Spinat, herum. Seufzend vergrabe ich mein Gesicht an ihrer Schulter und beobachte wie das Essen vor sich hin blubbert.
„Gibt es auch Spiegelei dazu?“ Leise lacht meine Oma auf: „Natürlich, das weißt du doch.“
Schnell helfe ich meiner Oma den Tisch zu decken und stehe nun etwas hilflos neben dem Kühlschrank. Die Pflegerin von Opa kam in der ganzen letzten Stunde nicht ein mal herunter und er liegt immer noch teilnahmslos in seinem Bett.

„Olga kommst du bitte runter?“, ruft meine Oma so laut, dass ich zusammenzucke. Langsam schlendere ich zum Esstisch und setze mich auf meinen Stuhl, den die beiden extra für mich Polstern lassen haben, damit ich als kleines Kind auch richtig auf den Stuhl komme.
„Werner komm, es gibt essen“, sagt meine Oma sanft, „möchtest du auch etwas?“, richtet sie ihre Frage an Olga, doch sie schüttelt nur den Kopf und schiebt den Stuhl zur Seite. Schweigend stochere ich in den Stampfkartoffeln herum und schiebe mir zwischendurch eine Gabel in den Mund. Auch wenn das Essen, wie immer, lecker ist, wird mir schlecht. So lange habe ich nichts Vernünftiges mehr gegessen.
„Bist du immer noch mit dem Vogel zusammen?“, fragt mein Opa mit gebrochener Stimme. Der erste Satz den mein Opa mich fragt und es ist so was. Seufzend antworte ich: „Er heißt Mirko und ja bin ich.“ Und schon kehrt wieder eisernes Schweigen ein. Ich weiß ja, dass niemand ihn mag, aber muss man mich das so spüren lassen? Bin ich dadurch ein schlechterer Mensch, weil ich mit ihm zusammen bin? Sanft tätschelt Oma meine Hand und lächelt aufmunternd, ganz nach dem Motto ‚nimm es dir nicht so zu Herzen, er hat dich trotzdem lieb‘, kurz ziehe ich meine Mundwinkel hoch, lasse sie dennoch sofort wieder sinken.

Der restliche Nachmittag war zwar schön, aber die Frage meines Opas geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Sie hängt wie eine dunkle Wolke über mir und begleitet mich auf den gesamten Rückweg. Leise schließe ich die Haustür auf und höre schon das Quietschen von Leo hinter der Glastür. Mit einem leichten grinsen Öffne ich auch diese und sofort drückt er seine Schnauze zwischen den Spalt und rennt um mich herum.
„Na du, warst du schon Pipi machen?“, frage ich sanft und beuge mich zu ihm herunter. Aufgeregt schnüffelt er an meinen Fingern und wedelt mit seinem Schwanz hin und her. „Komm rein.“ Mit einer Handbewegung dirigiere ich ihn ins Wohnzimmer. Ohne mich umzusehen, drehe ich mich wieder zur Flurtür und schließe sie vorsichtig.
„Da bis du ja Schatz“, höre ich Mirko aus dem Badezimmer rufen, „Ich komm sofort, bin nur auf Klo.“ Und dann kann man die Tür nicht zu machen? Augen verdrehend gehe ich auf die Couch zu und lasse mich drauf fallen.
„War Leo schon draußen?“, frage ich und hebe den kleinen Fellbüschel auf mein Schoß.
„Heute Mittag.“
„Echt jetzt? Wir haben schon 20 Uhr, du kannst ihn doch nicht den ganzen Tag in der Bude lassen“, rufe ich deutlich genervt zurück, stehe wieder auf und lasse Leo auf den Boden rutschen, „Na komm Kleiner, wir gehen Pipi machen.“ Freudig rennt er vor meinen Füßen herum.
Gemütlich schlendere ich am Feldweg entlang und lasse Leo seine Geschäfte erledigen. Noch immer genervt von Mirkos Verhalten, dass er mit Leo nicht draußen war, gehe eine extra große Runde, damit der Hund etwas ausgepowert ist. Alles, was den Hund betrifft, bleibt jetzt schon an mir hängen. Mirko könnte seinen Arsch auch mal hochbekommen, anstatt nur vor dem Computer zu sitzen oder mit seinem Bruder irgendwelche Schwarzarbeiten zu machen. Laut lasse ich die Leine im Flur gegen die Garderobe scheppern, damit Mirko merkt, dass ich genervt bin und gebe Leo eine kleine Portion Futter. Susi scheint schon den ganzen Tag weg zu sein, sonst hätte sie mich spätestens jetzt begrüßt.
„Schatz, komm mal“, höre ich Mirko aus dem Schlafzimmer rufen. Leo rennt schon vor und stößt die Tür mit seiner Schnauze auf. Ein riesiger Strauß Blumen steht mitten im Raum, hauptsächlich Tulpen, aber sie sind wunderschön.
„Wo hast du die denn her?“ Mit großen Augen schaue ich auf die Blumen, an denen Leo aufgeregt schnüffelt.
„Gefunden.“ Schelmisch grinst er mich an und zwinkert.
„Sind dir entgegengelaufen wa?“ Grinsend gehe ich auf ihn zu und drücke ihn fest an mich. Sofort erwidert er meine Umarmung und streicht sanft über meinen Rücken. Es kommt mir unendlich lang vor wie ich einfach nur in seinen Armen liege und dieses Gefühl der Nähe Geborgenheit. Das erste Mal seit langem fühle ich mich wieder gewollt und das nicht von meinen Internetbekanntschaften.

Wann hört es auf? Where stories live. Discover now