Kapitel 57

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Vertieft starre ich auf mein Handy. Seit meinem Geburtstag hat sich Lars nur ein Mal gemeldet und sich entschuldigt nicht gekommen zu sein, aber einen Grund hatte er mir dennoch nicht genannt. Ich bin nach wie vor der festen Überzeugung, dass er Mirko bei uns gesehen hat und deshalb nicht zu mir kam. Seufzend gehe ich durch meine Galerie und Lande bei einem Bild von Pia, wie ihre Hände mit Tüchern umwickelt sind. Sofort blitzen die Bilder des Tages vor meinem inneren Auge auf.

„Mach das ab! Ich komm nicht mehr raus“, nörgelt Pia, während sie verzweifelt versucht ihre Hände aufzudrücken.
„Das muss ich festhalten.“ Lachend ziehe ich mein Handy aus meiner Hosentasche und Öffne die Kamera. Bevor sie ihre Hände befreien kann, drücke ich mehrmals auf den Auslöser und habe eine gute Sammlung an Bildern.
„Du blöde Kuh, jetzt hilf mir doch.“ Pia kann nicht mehr ernst bleiben, weil ich so laut auflache und fängt an zu kichern.
„M… Määh“, Presse ich lachend bevor und stütze mich an ihrer Schulter ab, „Es sieht zu lustig aus.“ Japsend schnappe ich nach Luft und wische mir die aufkommenden Tränen aus dem Augenwinkel.
„Was macht ihr da?“, dringt Rons Stimme durch die Tür, doch ich kann ihm nicht antworten, also stoße ich mit meinem Fuß die Tür auf und lasse ihn so einen Blick auf Pia werfen. Augenblicklich bricht er in schallendes Gelächter aus und ich wette, wenn er noch lauter lacht, dass die Lehrer auch kommen werden.
„Ihr seid so scheiße“, nörgelt Pia wieder und hat es endlich geschafft einen Teil der Tücher zu zerreißen. Vereinzelte Strähnen haben sich aus ihrer, unglaublich hässlichen, roten Spange gelöst und hingen ihr im Gesicht. Grinsend lege ich meine Arme um sie und trällere in ihr Ohr: „Du hast mich trotzdem lieb.“

„Schatz, was ist los?“, reißt Mirko mich aus meinen Gedanken.
„Nichts.“ Genervt drehe ich mich von ihm weg und Öffne die letzte Nachricht von Pia. Nachdenklich lasse ich meinen Daumen über die Tastatur kreisen. ‚Pia: Wenn du reden magst, ich bin für dich da‘ Immer wieder lese ich ihre Nachricht. Es kommt mir vor als wäre es gestern gewesen, dass wir telefoniert hatten, doch es sind schon wieder vier Wochen vergangen, als sie mich an meinem Geburtstag mitten in der Nacht anrief und sie sich bei mir wegen einem Sören ausgeheult hatte. Ganz koscher ist mir der Typ nicht, hat er doch tatsächlich die Glastür ihrer Eltern kaputt geschlagen nur, weil seine Fickbeziehung mit jemand anderen rumgemacht hat. Verständnislos schüttle ich den Kopf. So was verstehe ich wirklich nicht.
„Redest du mal mit mir?“ Unterbricht Mirko mich schon wieder.
„Lass mich doch einfach in Ruhe!“ Meine Stimme ist lauter als gedacht und ich stemme mich hoch. Mein Gewicht erschwert es mir immer mehr aus dem tiefen Bett zu kommen.
„Was ist los mit dir?“ Verzweifelt sucht er nach meinem Blick, doch ich Zwänge mich an ihm vorbei.
„Es ist nichts. Ich will Baden!“
„Du gehst jetzt nicht baden, das machst du schon fast täglich und das über Stunden. Ich will mit dir reden.“ Mit seiner großen Hand umfasst er mein Handgelenk und zwingt mich stehenzubleiben.
„Ich will aber nicht mit dir reden!“ Mein Herz schlägt immer schneller und ich versuche mich aus seinem griff zu befreien. Tief atmet er ein, fährt sich mit seiner freien Hand durch die Haare und starrt mich verzweifelt an.
„Liebst du mich überhaupt noch?“ Kommt es schließlich über seine Lippen und Tränen sammeln sich in seinen Augen. Ich kann nicht atmen, meine Kehle ist wie zugeschnürt. So lang warte ich schon auf diesen Moment und jetzt könnte ich es ihm endlich sagen, ich liebe ihn nicht. Nein, das tue ich wirklich nicht. Aber ich brauche ihn so sehr. Ich will nicht alleine sein. Mein Herz hämmert wie ein Presslufthammer in meiner Brust. In mir baut sich ein Fels auf, welcher schwer auf meinen Schultern liegt und droht mich herunterzudrücken. Fest beiße ich auf meine Lippen und weiche seinem Blick aus.
„Jetzt sag doch was.“ Er klingt so unfassbar verzweifelt. Ich möchte mich an diesem letzten Strohhalm halten, aber es gibt nichts mehr woran ich mich noch festhalten kann. Nichts Schönes hält unsere Beziehung noch. Nur noch Streit und Hass und zwischendurch Sex unter Drogen, weil es anders nicht mehr klappt. Das ist keine Beziehung, nein. Zwischen uns herrscht schon lange keine Liebe mehr. Die erste Träne bahnt sich ihren Weg über meine Wange hinab zu meinem Kinn. Nicht weil ich traurig bin, viel mehr, weil es mir so schwerfällt den Mund aufzubekommen.

„Nein“, sage ich es schließlich leise und bin selber überrascht, dass es mir über die Lippen gekommen ist. Langsam lässt Mirko mein Handgelenk los. Mit einem Mal wird mir kalt und ich fühle mich alleine, dabei stehen wir wenige Zentimeter voneinander entfernt, doch die Mauer, die sich zwischen uns aufgebaut hat, ist schon so groß, dass wir die ganze Zeit alleine waren. Seine Faust landet direkt neben mir auf dem Holz vom Türrahmen. Erschrocken zucke ich zusammen, meine Augen weiten sich und ich will nur noch weg. Wie so oft, wenn Probleme herrschen, will ich wegrennen und nichts mehr davon mitbekommen.
„Warum? Anna, ich liebe dich mehr als du dir vorstellen kannst.“ Verzweifelt greift er nach meinen Schultern und lehnt seine Stirn gegen meine.
„Was ist das denn noch zwischen uns? Fast jeden Tag keifen wir uns an. Du engst mich nur noch ein, ich darf nirgends mehr hin.“ Spreche ich endlich das unausgesprochene aus und schüttle den Kopf, „Du liebst mich doch auch nicht mehr, du liebst es nur noch nicht alleine hier zu sein genau wie ich. Wir wollen nicht alleine sein.“ Seufzend lege ich meine Hände auf die Seine und schiebe sie von meinen Schultern.
„Du hast einen anderen, oder?“ Schmerzerfüllt presst er seine Lippen aufeinander und schließt die Augen.
„Wie kannst du mir so was unterstellen? Nein ich habe keinen anderen! Wir leben doch nur noch aneinander vorbei, was ist das denn?“ Wütend drehe ich mich um und stampfe ins Badezimmer. Herr Gott noch mal, da können wir endlich mal reden und er fragt so was, auch wenn ich mit anderen Männern schreibe, hätte ich nie was mit ihnen gehabt. Etwas zu fest schlage ich den Wasserhahn von der Badewanne hoch. Laut fluche ich auf und halte meine Hand. Keine Sekunde später kauert Leo neben dem Klo und legt seine Ohren nach hinten. Besänftigend streichle ich über seinen Kopf und zwinge mich zu einem kleinen Lächeln.
„Du bist doch nur noch am Handy.“ Höre ich Mirko aus dem Flur rufen. Er hat ja recht, aber mit ihm kann ich einfach nicht mehr reden. Vorsichtig klettere ich in die Badewanne und beobachte, wie das Wasser mich immer mehr einhüllt. Schulterzuckend greife ich dennoch nach meinem Handy und schreibe Pia, was gerade passiert ist. Es fühlt sich unfassbar befreiend an und trotzdem ist in mir eine unbändige Angst alleine zu bleiben. Die ersten Tränen laufen über meine Wange, während ich Pias Antwort lese. ‚Pia: Du kannst bei mir wohnen, wenn du magst. Ich hab die Wohnung meiner Oma bekommen. Es ist zwar klein, aber fürs Erste reicht es ja. Vielleicht bekommst du ja auch eine Wohnung hier im Haus.‘ Nachdenklich schreibe ich ihr, dass ich es mir überlegen werde. Eine schlechte Idee wäre es nicht.

Langsam öffnet sich die Badezimmertür und Mirko kommt bedrückt auf mich zu. Sein Blick stets gen Boden. Zögerlich setzt er sich auf die Toilette und dreht seine Zigarette in der Hand hin und her. Seine Haare stehen wirr von seinem Kopf ab und seine Augen sind blutunterlaufen. Ich weiß nicht was ich sagen oder tun soll, somit bleibe ich einfach ruhig in der Badewanne liegen und warte auf eine Reaktion von ihm. Wie in Zeitlupe zündet er sich die Zigarette an, bläst den Rauch durch seine Nase aus und zieht ein weiteres Mal an der Zigarette, sodass die Glut hellrot leuchtet.
„Warum willst du mich nicht mehr?“, fragt er leise und eine Träne läuft über seine linke Wange. Seine Augenlider sind gesenkt, seine Atmung beschleunigt sich, was ich an dem schnellen heben und senken seines Brustkorbs sehe.
„Das habe ich dir doch schon gesagt.“ Seufzend greife ich nach der Schachtel Zigaretten neben mir und hole mir auch eine heraus.
„Aber das kannst du doch nicht ernst meinen. Denk doch an die schönen Momente, als wir in Hamburg waren und unsere ganzen Ausflüge.“ Wieder sucht er nach meinen Augen, doch ich starre auf meine Füße, die halb vom Badeschaum bedeckt sind.
„Mirko, das ist nur ein kleiner Teil vom großen Ganzen.“
„Können wir es erst mal für uns behalten? Ich möchte es noch nicht jemanden sagen.“ Mit geschlossenen Augen fahre ich mir durch die Haare. Was hab ich schon noch zu verlieren, wenn wir es etwas geheim halten, dass wir getrennt sind?
„Na gut, aber du wirst es später deinen Eltern sagen, nicht ich.“

Wann hört es auf? Where stories live. Discover now