Kapitel 53

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„Hier Rauch dir einen.“ Grinsend hält Mirko mir einen Joint hin. Ich weiß, dass er Sex will, nur deswegen hält er mir das Ding vor die Nase, aber ohne habe ich auch keine Lust mehr. Seufzend nehme ich ihn an und ziehe den süßlichen Rauch in meine Lunge. Der Alkohol ist schon verflogen, als Mirko im Saloon auftauchte. Die Nacht kann sowieso nicht mehr schlimmer werden. Immer wieder ziehe ich an den Joint, langsam entspannt sich mein gesamter Körper und mein Lustzentrum meldet sich zu Wort. Breit grinse ich vor mich hin, alles fühlt sich in diesem Moment unglaublich leicht an.
„Na, wirkt es schon?“ Ich habe gar keine Lust zu antworten und lasse mich einfach nach hinten, in mein Kissen, fallen. „Gut.“ Völlig neben mir ziehe ich noch mal an dem Joint und blase den Rauch in Mirkos Gesicht, während er sich über mich beugt und meinen Hals küsst. Meine Bewegungen werden immer langsamer und Mirko macht sich an meiner Hose zu schaffen. Mühsam drücke ich meinen Hintern hoch, damit er die Hose runterziehen kann. Müde schließe ich meine Augen und bekomme kaum mit, wie Mirko in mich eindringt und wild in mich hämmert. Es ist mir egal. Ich will nicht, dass dieses Gefühl der Taubheit nachlässt. Ich will mich selbst nicht mehr spüren müssen. All meine Ängste und der Selbsthass liegen in weiter Ferne. Am Rande bekomme ich mit wie Mirko sich auf mich sacken lässt, er scheint fertig zu. Mir soll es nur recht sein.
„Ich liebe dich“, höre ich Mirko weit entfernt sagen. Ich nuschle ein ‚ich dich auch‘ vor mich hin, in der Hoffnung, dass er es verstanden hat.

Viel zu schnell lässt die Wirkung vom Gras nach und die Realität holt mich wieder ein. Mirko liegt schnarchend neben mir und ich fühle mich unfassbar dreckig und benutzt. So schnell es meine Verfassung zulässt eile ich ins Badezimmer und steige unter die Dusche. Hundertmal schrubbe ich über meinen Körper und versuche diesen Dreck von mir zu waschen, doch er haftet an mir wie eine Klette. Gewaltsam rubble ich mit dem Handtuch über meiner Haut, sodass sie noch dunkler wird. Mein Körper brennt wie Feuer. Sofort ziehe ich mir eine Hose und einen dicken Pullover an, um mich nicht mehr sehen zu müssen, schnappe mir Leo und mein Handy und verlasse die Wohnung, hinaus in die Nacht. Tief atme ich kalte Luft ein, mein Atem macht beim Ausatmen kleine Rauchwolken. Langsam laufe ich weiter und hole mein Handy heraus, um Pia zu schreiben. ‚Anna: Huhu Maus, bist du noch wach?‘ ich erwarte gar keine Antwort, da wir schon halb drei haben und stecke mein Handy wieder ein. Gedankenverloren laufe ich durch die Straße und nur, weil Leo anfängt zu knurren bemerke ich den schwarz gekleideten Mann ein paar Meter vor uns. Augenblicklich fängt mein Herz an zu Rasen und ich fühle mich unwohl. Fest umklammere ich Leos Leine und flüstere: „Pass auf.“ Der Mann kommt uns immer näher und Leos knurren weicht einem freudigen winseln. Verwundert schaue ich ihn an und fühle mich von ihm im Stich gelassen.
„Anna?“ Einen Augenblick bleibt mein Herz stehen. Die Stimme kommt mir bekannt vor.
„Püppi?“, frage ich verwirrt zurück.
„Hey, was machst du denn mitten in der Nacht hier?“ Er kommt mit großen Schritten auf mich zu und endlich kann ich sein Gesicht richtig erkennen. Seine Haut ist eingefallen, von dem ganzen Alkohol und den Drogen, die er nimmt, aber seine blauen Augen strahlen nur so.
„Kann nicht schlafen und Leo musste noch mal raus“, Lüge ich ihn an.
„Soll ich dich begleiten?“ Er drückt mich kurz an sich und beugt sich dann nach Leo, welcher ungeduldig an seinem Bein hoch hüpft.
„Wenn du nichts anderes zu tun hast.“ Vorsichtig lächle ich ihn an. Püppi ist einer der wenigen die Mirko in meiner Nähe dudelt, aber nur weil er ein Freund von Benedikt ist.
„Ich wollt nur ins Obdachlosenheim zurück, also nope ich hab nichts Besseres zu tun.“
„Warum wohnst du eigentlich da?“, frage ich schließlich, weil mir diese Frage schon lange auf der Zunge brennt.
„Lass uns dafür hier hinsetzen, dass könnte länger dauern.“ Leise lacht er auf und deutet auf die Bank, von der Bushaltestelle. Er fängt an mir zu erklären, wie seine Eltern ihn behandelt haben, als er noch ein kleines Kind war. Es macht mich unfassbar traurig zu hören, dass er schon früh Gewalt erfahren musste und das seine Eltern ihn keinerlei Liebe geschenkt haben. Ich hatte es zwar auch nie leicht, aber doch wusste ich, dass meine Eltern mich lieben, auf ihre Weise. Gebannt höre ich Püppi zu, wie er anfing mit Alkohol seine Gefühle zu betäuben, saß ihn auf Dauer aber nicht mehr die Erleichterung brachte. Mit fünfzehn nahm er das erste Mal Drogen und als seine Eltern es ein halbes Jahr später herausfanden, wurde er von ihnen aus dem Haus geworfen.
„Ach man, komm her“, sage ich sanft und ziehe ihn in meine Arme. Leise schnieft er, es muss ihm schwerfallen über all das zu sprechen und ich fühle mich schuldig ihn dazu gebracht zu haben.
„Sag es bitte niemanden, die andern sollen mich nicht für ein Weichei halten.“ Langsam löst er sich aus der Umarmung und wischt sich über die Wange.
„Du bist kein Weichei, du hast nur scheiß Eltern, die dich unfair behandelt haben. Aus dir kann auch noch was werden. Klemm dich hinter den Dingen die dir Spaß machen, hör auf zu trinken und die ganzen Drogen zu nehmen. Glaub mir, du hast ein besseres Leben verdient, als im Obdachlosenheim zu leben.“ Lächelnd lege ich meine Hand auf seine und streiche mit dem Daumen über seinen Handrücken.
„Du bist zu nett für diese Welt. Niemand hat mich bis jetzt gefragt, warum ich so bin, wie ich nun mal bin und du? Du hörst mir einfach zu, obwohl wir uns kaum kennen. Mirko hat dich gar nicht verdient.“ Fest umschließt er meine Hand und sieht mich eindringlich an, „Gehen wir jetzt jede Nacht spazieren? Dann mach ich wenigstens keinen scheiß.“ Zaghaft nicke ich und lächle ihn an.
„Wenn ich dir nicht auf den Sack gehe, können wir das gerne machen.“
„Du wirst mir schon nicht auf den Keks gehen. Es ist schön mit jemanden reden zu können, der mich nicht verurteilt.“
„Warum sollte ich dich verurteilen, es gibt Gründe warum man so ist. Ich habe auch meine Gründe warum ich bin wie ich bin.“ Schulterzuckend lehne ich mich an die Scheibe und ziehe die Zigarettenschachtel aus meiner Hosentasche. „Willst du auch?“ Eifrig nickt er und lässt meine Hand los.
„Wie bist du denn so?“, fragt er leise und steckt sich die Zigarette in den Mund.
„Das solltest du doch schon gemerkt haben. Zurückhaltend, ich rede nicht gerne mit den anderen, bin lieber für mich und in meiner Welt.“ Nachdenklich schaut Püppi mich an und kratz sich über sein Kinn.
„Warum?“ Seufzend zünde ich das Feuer an und schaue in den Nachthimmel.
„Sagen wir es so, ich habe es auch nicht leicht.“ Mehr will ich ihm nicht sagen, auch wenn er offen und ehrlich zu mir war, kann ich mich ihm nicht öffnen.
„Vielleicht sagst du es mir irgendwann mal.“ Ein leichtes Lächeln huscht über seine Lippen. „Sag mal, wie spät ist es eigentlich?“ Kurz schaue ich auf mein Handy und weiter geschockt meine Augen.
„Fuck, schon gleich fünf. Ich sollte nach Hause.“
„Ich bring dich.“

Erledigt schmeiße ich mich auf die Couch und hole mein Handy hervor. ‚Pia: Na Maus, jetzt bin ich wach. Was ist los?‘ Ich Fackel nicht lang hole mein Tablet vom Schrank und Öffne Skype, um sie anzurufen.
„Huch, deine Haare sind ja blau. Steh dir.“ Lächelnd begrüßt Pia mich. Da es bei ihr so dunkel ist, kann ich sie nur schwach erkennen, aber ich sehe ihr Gesicht und kann sie hören, das reicht mir.
Drei Stunden erzählen wir uns was alles beim jeweils anderen passiert ist. Sie hat unglaublich viel von diesem Kralle erzählt und meint mal wieder, dass wir uns ja super verstehen würden. Vielleicht lerne ich ihn irgendwann mal kennen, aber ich glaube eher weniger. Als ich Pia von Mirko erzähle, weiten sich ihre Augen vor Schock.
„Maus, wann verlässt du ihn endlich?“ Vorwurfsvoll schaut sie mich an.
„Psst“, zische ich und lege einen Finger auf meinen Mund, „Ich weiß nicht wie viel Mirko hört. Ich kann ihn nicht verlassen. Wo soll ich denn hin und die Tiere?“
„Komm zu mir. Ich ziehe bald in die Wohnung meiner Oma. Es ist nicht viel Platz, aber für uns und Leo reicht es.“ Verneinend schüttle ich den Kopf.
„Das geht nicht.“ Schwungvoll knallt die Schlafzimmertür gegen die Wand und ich zucke zusammen.
„Schatz, wo bist du?“, höre ich Mirko verschlafen rufen.
„Im Wohnzimmer“, gebe ich verwirrt zurück, wo soll ich denn sonst sein. Augen verdrehend schaue ich Pia an und Presse meine Lippen aufeinander.
„Sollen wir später noch mal quatschen?“, fragt Pia. Kurz nicke ich und verabschiede mich von ihr.
„Was machst du hier? Mit wem redest du schon wieder?“ Schnell beugt er sich vor um auf das Tablet schauen zu können, doch viel sieht er nicht, denn ich habe die Tastensperre schon reingemacht.
„Hab mit Pia gequatscht.“ Müde reibe ich meine Augen und lehne mich nach hinten.
„Mit Pia, um die Uhrzeit?“ skeptisch begutachtet er mich.
„Mit wem denn sonst?“ Stelle ich gereizt eine Gegenfrage.
„Vielleicht mit einem deiner unzähligen Kerle im Internet.“
„Fängt das schon wieder an?“ Genervt werfe ich das Tablet auf den Tisch. Ich weiß ganz genau, dass er in mein Handy schaut, wenn ich schlafe. Mittlerweile habe ich mir sogar angewöhnt es nachts auszuschalten, damit er meine Nachrichten lesen kann.
„Tut mir leid. Denk dran, heute sind wir bei meinen Eltern eingeladen.“ Stöhnend schließe ich meine Augen.
„Aber erst will ich schlafen.“
„Hättest heute Nacht schlafen können. Komm wir gehen zum Bäcker.“ Bestimmend zieht er mich am Handgelenk wieder hoch.

Wann hört es auf? Where stories live. Discover now