Kapitel 5

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Müde schließe ich die Haustür auf und stelle erstaunt fest, dass es nach Essen, in der ganzen Wohnung, riecht.
„Papa?“, rufe ich und lasse die Tür ins Schloss fallen.
„In der Küche.“ Verwirrt gehe ich zu ihm und bin mehr als verblüfft, dass die Küche aufgeräumt ist. Ohne, dass ich etwas machen musste.
„War Nicole hier?“ Alleine hat er das doch niemals gemacht. Er schüttelt den Kopf und rührt in der Suppe herum. Lächelnd zieht er mich zu sich und gibt mir einen Kuss auf die Wange.
„Wo ist mein Papa und was hast du mit ihm gemacht?“ Grinsend gehe ich in mein Zimmer und stelle meine Tasche auf den Schreibtisch.
„Wir haben Besuch“, verkündet er fröhlich. War ja klar, dass er das nur macht weil jemand da ist. Augenverdrehend gehe ich ins Wohnzimmer und da sitzt der Besuch. Eine ältere Frau etwas jünger als mein Vater, würde ich schätzen. Ihre Haare sind schlecht schwarz gefärbt und die Falten in ihrem Gesicht sind nicht zu übersehen. Mich überrascht es nicht das auch das Wohnzimmer aufgeräumt ist.
„Hallo Anna, ich bin Monika.“ Freundlich lächelt sie mich an, steht auf und hält mir ihre Hand hin. Abwertend schaue ich auf Monika und ihre Hand, sie ist sogar kleiner als ich und das muss man erst mal schaffen.
„Hey, du weißt ja anscheinend schon wer ich bin.“ Ich versuche sie wenigstens freundlich an zu lächeln, merke aber wie ich kläglich versage und reiche ihr meine Hand.
„Essen ist fertig. Hast du Hunger?“ fragt mein Vater, so freundlich wie schon lange nicht mehr.
„Ne, lass mir einfach was drin. Ich… ich will jetzt erst mal Hausaufgaben machen.“ Das ist so was von gelogen, aber ich habe keine Lust einen auf heile Welt zu machen, nur weil er jemanden da hat. Viel zu freundlich lässt er mich gehen.
„Ist es wegen mir?“ Höre ich Monika fragen. Ja es ist wegen dir! Du bist ja auch der Grund warum er auf ein mal der Übervater ist. Grummelig setze ich mich auf das Bett und hole TJ hervor. Nachdenklich blättere ich durch die Seiten.

‚19.12.2009
Heute hab ich mich mit diesem André getroffen, komischer Typ und wirklich was drauf hatte er auch nicht. Ich habe mich echt total gelangweilt.
Papa interessiert es irgendwie gar nicht das ich immer weg bin. Mir soll’s recht sein, dann kann ich wenigstens machen was ich will.‘
‚08.01.2010
Hey TJ,
Das war vielleicht ne Fahrerei nur für Sex…  Ich bin tatsächlich zwei Stunden mit Bus und Bahn gefahren und dann mussten wir auch noch ewig warten bis seine Eltern endlich weg waren. Das war definitiv das letzte Mal das ich so lang gefahren bin. Beim nächsten Mal schaue ich vorher wie weit es ist.
Ich habe übrigens einen ganz netten Typen kennengelernt, ich glaub er heißt Mirko bin mir aber nicht mehr sicher. Er kommt aus dem Sauerland und was noch viel besser ist er ist Punker. Find ich ja schon ziemlich cool.‘

Mirko. Schnell ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche und stelle entsetzt fest das ich 20 verpasste Anrufe und weitaus mehr, als 50 Nachrichten habe. Wie kann ein Kerl nur so nerven? Liebe ich ihn überhaupt? Wie fühlt sich Liebe eigentlich an? Ich weiß es gar nicht. So viele Bücher, wo sich die Leute verlieben, habe ich gelesen, aber diese Gefühle die sie beschreiben habe ich bei niemanden. Muss man so fühlen um von Liebe sprechen zu können? Schmetterlinge im Bauch haben, nur noch an die Person denken, jede freie Minuten mit ihm verbringen. Nachdenklich beiße ich auf meine Lippe und lege mein Handy wieder weg. Ich habe nicht wirklich Lust ihm zu antworten. So sollte doch keine Beziehung laufen. Ich sollte mich freuen, wenn er sich meldet und nicht genervt sein. Es ist besser ich beende das ganze, bevor er sich noch tiefer in mich verrennt. Verzweifelt suche ich einen Weg um mit Mirko Schluss zu machen, aber bis jetzt musste ich nie jemanden verlassen. Ich war immer diejenige die verlassen wurde. So oft wurde ich schon verlassen, obwohl es immer hieß sie würden mich lieben. Schnell nehme ich mein Handy, bevor mich mein Mut wieder verlässt. Ohne seine Nachrichten wirklich zu lesen schreibe ich ihm. ‚Anna: Mirko, es tut mir leid es dir so zu sagen, aber ich weiß du würdest mir nicht zuhören und mich auch nicht wirklich zu Wort kommen lassen. Aber ich liebe dich nicht. Ich weiß nicht warum ich es dir immer gesagt habe. Es sind für mich nur Wörter wie hab dich lieb. Ich mag dich wirklich gerne, aber zu einer Beziehung gehört mehr als nur jemanden mögen. Vielleicht kann ich irgendwann jemanden lieben, aber nicht jetzt. Das mit uns führt doch zu nichts. Es tut mir wirklich unfassbar leid.‘ Schnell schicke ich die Nachricht ab und schalte mein Handy aus. Ich bin so ein Feigling. Mit einem mal fühle ich mich allein. Ich bin immer allein und werde es auch ewig sein. Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. So viele Männer hatte ich schon und das mit 16. Ich bin nicht fähig eine Beziehung zu führen, so wurde es meiner Mutter von meiner damaligen Psychologin gesagt und ich gebe ihr recht. Fest beiße ich auf meine Lippe und spüre dieses vertraute stechen. Schnell lasse ich das Haargummi, um meinem Handgelenk, flitschen und unterdrücke den drang nach dem Messer zu greifen. Ich habe es ihm versprochen! Immer schneller und fester schnalzt das Haargummi auf meine Haut, aber es bringt mir keine Erleichterung. Ich springe vom Bett auf nehme meine Jacke und eile aus der Wohnung, ich halte es nicht mehr aus. Ich muss hier raus.

Völlig außer Atem komme ich am Fluss an, vereinzelnd kommen mir Radfahrer entgegen, welche lautstark klingeln. Die Sonne taucht den Himmel in einem schönen Orange und ich lasse mich auf einer Bank nieder. Leise höre ich wie die letzten verbliebenen Vögel, ihre Lieder singen und starre auf den reißenden Fluss. Leichte Wellen schlagen am Ufer an den Steinen. Langsam ziehe ich meine Schuhe und Socken aus, kremple meine Hose hoch und gehe näher zum Fluss. Vorsichtig tauche ich meine Füße in dieses eiskalte Wasser, eine Gänsehaut jagt die nächste. Du bist ja so intelligent Anna, nicht mal was zum abtrocknen hast du dabei. Leicht schmunzelnd über meine Gedanken setze ich mich ans Ufer und Patsche mit den Füßen auf das Wasser.
Plötzlich berührt mich etwas am Arm, ich schreie laut auf und schlage nach hinten.
„Ich bins doch nur“, höre ich Silvias Stimme, „wollt dich nicht erschrecken.“ Leise lacht sie auf und setzt sich zu mir.
„Dein Papa hat meinen angerufen und gemeint du könntest vielleicht ne Freundin gebrauchen.“ Fragend schaue ich sie an, noch peinlicher geht’s wohl nicht. Ihre roten Brust langen Haare wehen im Wind mit. Sie mustert mich mit ihren grünen Augen und lächelt mich an.
„Ich weiß zwar nicht warum, aber Freunde kann doch jeder gebrauchen.“ Sanft lächle ich zurück und lehne mich auf die kühle feuchte Wiese.
Schweigend liegen wir einfach da, bis Silvia leise aufseufzt: „Was ist los Anna? Mit dir stimmt was nicht und sag mir nicht es ist nichts, dafür kenne ich dich zu gut.“ Unruhig zupfe ich ein paar Grashalme ab und schaue weiterhin in den Himmel, der langsam aber sicher immer düsterer wird.
„Ich habe mit Mirko Schluss gemacht, über WhatsApp. Keine Ahnung ob ich ihn überhaupt geliebt habe, vielleicht gefiel mir einfach der Gedanke, dass ich jemanden habe.“ Ich plansche wieder mit den Füßen herum, sie sind mittlerweile schon so kalt wie das Wasser, aber stören tut es mich kein bisschen. Viel mehr beruhigt es mich.
„Ist es wegen Chris?“, fragt sie direkt und wackelt mit ihren Augenbrauen. Genervt verdrehe ich die Augen.
„Nein!“, sage ich etwas zu schnell und laut, „Nein, es ist. Ich weiß auch nicht irgendwie fühlt sich alles falsch an mit ihm. Weißt du noch letztes Wochenende?“
„Oh ja, wir könnte ich das vergessen. So viel zum Thema Mädelsabend. Ich hasse ihn deswegen immer noch, ich habe Ben extra wegen unserem Tag abgesagt.“ Grummelig schaut sie auf den Fluss. Ich kann es ihr nicht verübeln, schließlich war es abgemacht, dass wir ohne unsere Partner einen Abend verbringen. Aber Mirko musste unbedingt dabei sein. Genervt presse ich die Luft aus meinen Lungen und krame in meiner Tasche nach den Zigaretten. Fragend schüttle ich sie vor Silvias Gesicht hin und her. Dankend nimmt sie sich eine heraus.

„Tut mir leid das ich in letzter Zeit so wenig Zeit für dich habe“, flüstert sie, „Aber ich hab mich mit meiner Mutter wieder vertragen und ich bin am überlegen wieder zu ihr hin zu ziehen.“ Geschockt reiße ich meine Augen auf. Das kann sie mir nicht antun.
„Warum? Mach das nicht. Sie wird dich wieder benutzen, du wirst nur noch auf deine kleinen Geschwister aufpassen müssen.“ Traurig schaue ich sie an und beiße mir auf die Lippe.
„So wird das nicht. Sie hat sich geändert glaub mir.“ Vehement schüttle ich den Kopf und schlage ihr auf den Oberschenkel.
„Sei nicht so dumm! Wir werden uns dann nie wieder sehen! Ich brauch dich doch.“ Mit schmerzverzerrtem Gesicht sieht sie mich an und reibt die Stelle, die ich vorhin noch mit voller Wucht getroffen habe.
„Es ist doch nur Bochum, sogar in der Nähe vom Schauspielhaus. So weit ist das nicht. Ich werde jedes Wochenende hier hin kommen und auch in der Woche können wir uns treffen.“ Liebevoll lächelt sie mich an, doch mir wird das ganze zu viel.
„Weißt du was Silvia? Geh, geh einfach. Du weißt genau was passieren wird, wenn du bei der wohnst. Thomas hat nicht ohne Grund das alleinige Sorgerecht. Aber wenn du meinst.“ Voller Wut schaue ich sie an. Am liebsten würde ich ihren Kopf ins Wasser drücken, damit sie wieder klar denken kann. Genervt stehe ich auf und gehe zur Bank, um meine Füße mit den Socken etwas zu trocken. Mehr schlecht als recht schlüpfe ich mit den noch feuchten Füßen in meine Schuhe.
„Anna, es ist noch gar nicht beschlossen“, verzweifelt nagt sie an ihrer Lippe.
„Natürlich, du hast es für dich schon beschlossen. Sonst würdest du nicht erst jetzt damit bei mir ankommen. Ich dachte wir sind Freunde, die sich immer alles erzählen, aber du hast mir seit Monaten nichts mehr von dir erzählt. Jedes Mal wenn ich dich gefragt habe, ob es was neues gibt hast du mich eiskalt angelogen. Du denkst nicht erst seit gestern daran zu ihr zu ziehen!“, rede ich mich in rage und ich spüre wie mein Gesicht vor Wut kocht. Silvia wird immer kleiner, während ich mich immer weiter vor ihr aufbaue.
„Es tut mir leid“, flüstert sie und ich sehe wie glasig ihre Augen werden. Ich kann sie nicht weinen sehen, es zerreißt mir das Herz. Langsam gehe ich auf sie zu lege meine Arme um sie und flüstere: „Es ist ein Fehler das zu machen. Bitte glaub mir.“ Die Dunkelheit umgibt uns und Silvia weint leise an meiner Schulter.


Wann hört es auf? Where stories live. Discover now