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Das Leben war unfair.

Liebe war scheiße.

Die Vergangenheit holte einen immer wieder ein.

Das waren die drei Erkenntnisse, die ich in einer einzigen Nacht sammelte.

Völlig verheult lief ich die dunkeln Straßen entlang, achtete weder auf die Zeit noch auf meine Umgebung. Ich irrte schon seit Stunden herum, die Sonne war schon längst untergegangen, und obwohl ich mir jede einzelne Sekunde den Kopf darüber zerbrach, wieso er mich betrogen hatte, wollte es sich mir einfach nicht erschließen.

Wieso? Wiesowiesowieso?

Ich setzte einen wackeligen Schritt vor den anderen, versuchte immer noch so weit wie möglich von seinem Haus weg zu kommen, und blinzelte die Tränen weg, die meine Sicht verschwimmen ließen.

Plötzlich ertönte ein lauter Knall in der Ferne und ich zuckte erschrocken zusammen. War das ein Schuss? Ich beobachtete mit großen Augen, wie einige Vögel aus dem naheliegenden Wald aufschreckten und davon flogen. Und erst jetzt realisierte ich, wie weit ich mich von der Stadt entfernt hatte.

Das erste Mal seit Stunden blickte ich mich um und erkannte die ganzen leeren Gebäude, den nahen dunklen Wald und das verlassene Industriegebiet in dem ich mich befand.

Ich zitterte leicht, als ich bemerkte wie gefährlich es hier war. Mir könnte sonst was passieren.

Sofort machte ich auf dem Absatz kehrt und eilte den selben Weg entlang, den ich hergekommen war.

Verdammt, ich war viel zu weit weg von Zuhause! Und alles nur wegen dir, Logan Allister!

Auf einmal hörte ich ein lautes Motorgeräusch und wandte mich mit großen Augen dem herannahenden Auto zu. Der Motor wurde lauter. Viel zu schnell konnte ich die grellen Scheinwerferlichter erkennen, die immer näher kamen.

Mein Puls verschnellerte sich. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ich war ein Mädchen, allein in einem verlassenen Industriegebiet. Wer auch immer da im Auto saß, konnte alles mögliche mit mir anstellen und niemand würde meine Schreie hören.

Ich schluckte die aufkeimende Panik herunter und beeilte mich, mich irgendwo zu verstecken. Aber ich war zu langsam.

Mit quietschenden Reifen kam das Auto zum Stehen.

Wie ein Reh im Scheinwerferlicht erstarrte ich.

Mein Atem verschnellerte sich und ich wandte mich dem Wagen zu, konnte wegen dem blendenden Licht aber niemanden erkennen.

Würde ich es schaffen wegzulaufen? Mit dem Auto hätte er mich in null Komma nichts eingeholt. Wem machte ich was vor? Selbst zu Fuß würde er mich sofort einholen.

Wie in Zeitlupe beobachtete ich, wie er das Fenster runterließ und plötzlich sah ich mich zwei dunklen Augen gegenüber. Meine Nackenhaare stellten sich auf.

„Steig ein."

Diese Stimme.

Der Blick vom Mann wurde dunkler.

Und diese Augen.

Unmöglich.

Ich kannte sie.

Er umfasste das Lenkrad fester und sein Blick verfinsterte sich. „Steig verdammt nochmal ein, Tessa!", forderte er mich auf.

Beim Klang meines Namens bestanden keine Zweifel mehr.

„Damien?" Er musste es sein.

„Ganz richtig. Und jetzt steig ein! Es ist hier nicht sicher."

Mein Gott. Er war es wirklich.

„A-aber... Ich meine... W-wie?"

„Steig ein und ich erkläre es dir", drängte er.

Völlig sprachlos starrte ich ihn an. War das alles bloß ein mieser Streich des Schicksals?

„Tessa."

Er klang ungeduldig und ich konnte erkennen, wie er immer wieder nervös in den Rückspiegel schaute.

Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Nach all den Monaten. Da tauchte er einfach so wieder auf. Einfach so. Aus dem Nichts. Ich konnte es nicht glauben.

Die Angst ließ langsam nach und machte einer ungeheuren Wut platz. Der ganze Frust bahnte sich an die Oberfläche. Meine gescheiterte Beziehung mit Logan, sein Betrug, Damiens Verschwinden und die ewige Funkstille. Ich konnte regelrecht spüren wie mein Blut zu kochen begann.

„Wo zum Teufel warst du die letzten zehn Monate?" Oh, ich war verdammt wütend.

„Dafür haben wir jetzt keine Zeit, Tessa. Steig ein und wir können reden."

Da ich im Moment die Wahl hatte zwischen mit meinem Ex, der mich vor zehn Monaten hat sitzenlassen, ins Auto zu steigen und in der dunklen Nacht alleine und hilflos auf der Straße rum zu irren, fiel mir die Wahl doch nicht ganz so schwer.

Mit einem letzten Blick in die Dunkelheit öffnete ich die Beifahrertür und stieg ein. Sobald ich saß, drückte er auch schon aufs Gas und raste davon.

Wir beide saßen still und guckten starr auf die Straße, bis ich meinen Blick schließlich auf ihn richtete und ihn mir eine Zeit lang einfach nur ansah.

Seine hohen Wangenknochen, sein markantes Kinn, die leichten Bartstoppeln. Er hatte sich nicht so großartig verändert. Und doch war alles anders.

Er war wieder zurück.

Die Atmosphäre war angespannt. Keiner von uns sagte ein Wort. Mir rasten so viele Fragen durch den Kopf, ich wusste einfach nicht wo ich anfangen sollte.

In der Ferne wurden langsam die Lichter der Stadt erkennbar und erst jetzt schien Damien sich zu entspannen. Mir war nicht entgangen, dass er stets den Rückspiegel im Blick hatte.

Ich riskierte einen Blick nach hinten, konnte aber nichts als die Dunkelheit erkennen.

„Warum warst du so spät noch draußen?"

Ich zuckte zusammen, als seine tiefe Stimme die Stille durchbrach.

Logan.

Ich antworte nicht und schluckte den Kloß in meinem Hals runter. Ich wollte sicher nicht mit ihm darüber reden.

Damien seufzte, nachdem ich mich weiterhin in Schweigen hüllte. An einer roten Ampel hielt er an und wandte sich mir zu.

Ich versuchte seinen stechenden Blick zu ignorieren.

„Hast du geweint?", fragte er plötzlich. Er klang tatsächlich besorgt.

Beim Gedanken an Logan kamen mir wieder die Tränen.

„Tessa. Rede mit mir. Bitte."

Er nahm meine Hand in seine, die ich ihm aber sofort wieder entzog. Das Kribbeln, das seine warme Berührung verursachte, ignorierte ich. Ich reckte mein Kinn hoch und versuchte meine Stimme unter Kontrolle zu bringen.

„So wie du mit mir geredet hast, als du einfach ohne eine Wort verschwunden bist?"

Er atmete lautstark aus und ich drehte mich auf die andere Seite.

Ich wollte ihn nicht sehen und ich wollte nicht, dass er mich sah.

Damien setzte zum Reden an, aber ich unterbrach ihn sofort.

„Fahr weiter. Es ist grün."

Er seufzte resigniert und ohne ein weiteres Wort fuhr er wieder los. Die restliche Fahrt verbrachten wir in bedrückendem Schweigen und an meiner Haustür ließ er mich schließlich raus.

Gerade als ich die Tür schließen wollte, rief er mir noch hinterher.

„Wir sehen uns Montag in der Schule."

Ich hielt verdutzt inne, aber er raste bereits davon.

Na super. Jetzt würde ich mit Logan und Damien zurechtkommen müssen.

Meine Eltern schliefen schon und ich schlich mich leise in mein Zimmer. Ohne mich umzuziehen, schmiss ich mich auf mein Bett und heulte mich, mit den Gedanken an Logan, in den Schlaf.

DamienWo Geschichten leben. Entdecke jetzt