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Ich nahm den Bus. Das hatte ich schon lange nicht mehr getan, aber obwohl ich es sonst hasste, zwischen all diesen Fremden Menschen eingequetscht zu sein, so gab es mir heute doch eine merkwürdige Art von Trost.

Ich war eine von ihnen. Eine von vielen. Ein ganz gewöhnlicher Mensch, auf dem Weg zu Schule, wie es zig andere Schüler auch waren.

Heute war das erste Mal, dass ich tatsächlich mit einem Lächeln in den Unterricht ging.

Normalerweise war mein Kopf so voll von chaotisch umherwirbelnden Gedanken, dass ich nie den Worten der Lehrer zuhören konnte. Aber heute genoss ich es und lauschte jedem einzelnen Wort, dass meine Lehrerin über die Gründung der Weimarer Republik verlor.

Ich schaffte es sogar mich mündlich im Matheunterricht zu beteiligen und zur Überraschung meines Lehrers, sagte ich tatsächlich etwas richtiges.

Selbst im Sportunterricht machte ich nicht schlapp und war nach den fünf Runden einlaufen, noch nicht mal aus der Puste. Ich fühlte mich wie ein neuer Mensch und es tat gut endlich wieder sorgenfrei zu sein.

Mir war nicht entgangen, dass Damien fehlte, vielleicht nahm er heute an einem Rennen teil, vielleicht auch nicht, aber die Gedanken an ihn verwarf ich in dem Moment, in dem sie auftauchten.

Meine Freunde redeten nicht mit mir, aber ich konnte ihre Blicke auf mir spüren, als ich mich in der Mittagspause zu Logan setzte.

Ich war nicht wütend auf sie, aber ich denke, sie nahmen es mir übel, dass ich Damien aufgegeben hatte. Und auch wenn es mir weh tat, diese Distanz zwischen uns zu spüren, konnte ich mich nicht dazu überwinden, mich zu ihnen zu gesellen.

Wie Lia schon gesagt hatte: Ich respektierte ihre Entscheidung, auch wenn ich sie nicht gutheißen musste.

Wenn sie weiter nach einem Weg suchen wollten, die Sánchez Brüder aufzuhalten, dann sollten sie es ruhig tun. Ich würde sie nicht abhalten können, auch wenn ich es mehr als alles andere wollte.

„Alles in Ordnung bei euch?", fragte Logan mit einem vorsichtigen Nicken in Richtung von Lia, Ace und Tyler.

Ich lächelte ihn beruhigend an, bevor ich in mein Sandwich biss.

„Das wird schon wieder", nuschelte ich zwischen zwei Bissen und das schien ihn so weit zu überzeugen, dass er sich einem anderen Thema zu wandte.

„Also", er klatschte sich mit einem Grinsen im Gesicht in die Hände. „Morgen ist es so weit."

Seine plötzliche gute Laune steckte mich an und brachte mich ebenfalls zum Lächeln.

„Ich will, dass du morgen gewinnst", wies ich ihn feurig an. Morgen war sein Wettkampf und ich freute mich bereits unheimlich darauf.

„Solange du da bist, habe ich keine Zweifel", erwiderte er energisch und hielt den Blickkontakt aufrecht. Für einige Augenblicke gestattete ich es, bevor ich meinen Blick abwandte und wieder in mein Sandwich biss.

Manchmal wünschte ich mir, dass seine blauen Augen braun waren und mich mit so einer Leidenschaft musterten, dass ich nicht anders konnte, als mich in ihnen zu verlieren.

Ich schüttelte diesen absurden Gedanken von mir ab und nahm einen weiteren Bissen meines Sandwiches.

„Was machst du heute noch so?", fragte ich schließlich, als ich fertig gekaut und runtergeschluckt hatte. „Ich nehme an, du trainierst später noch etwas?"

Er nickte und legte dann den Kopf schief.

„Du kannst mir ja wieder zu gucken."

Ich zog unbeeindruckt eine Braue hoch.

„Damit du mich wieder ins Wasser schmeißen kannst?"

Das brachte ihn zum Lachen. „Dieses mal nicht."

Ich verengte meine Augen zu kleinen Schlitzen. „Ich glaub dir nicht", raunte ich leise.

„Ich werde brav sein", grinste er. „Versprochen."

Schließlich ließ ich mich doch noch überzeugen und so verbrachte ich den ganzen Nachmittag, nachdem die Schule schon geendet hatte, mit Logan in der Schwimmhalle.

Auch wenn er sich tatsächlich an sein Wort hielt und mich nicht ins Wasser zerrte, konnte er sich doch nicht davon abhalten mir gelegentlich Wasserspritzer entgegen zu platschen.

Aber das machte mir nichts aus und so lachte und alberte ich die ganzen nächsten Stunden mit Logan herum.

Erst als seine Finger schon ganz verschrumpelt, wir erschöpft und müde waren und der Sonnenuntergang nahte, stieß sich Logan aus dem Wasser, damit wir uns auf den Heimweg machen konnten.

Er fuhr mich Heim und wir konnten beobachten, wie die Sonne immer tiefer sank und langsam in einem Meer aus orangenen und violetten Wellen unterging.

Es war ein wunderschöner Abend.

Heute hatte ich mich normal gefühlt, unbeschwert, wie ein gewöhnlicher Teenager. Und ich hatte es genossen.

Ich bedankte mich bei Logan für die schöne Zeit, wie auch für die Heimfahrt und hatte die Hand bereits auf dem Türgriff, als er mich zurückhielt.

Sein Blick blieb an mir hängen und betrachtete mich für einige Sekunden bloß schweigend. Sehnsüchtig.

Ich schluckte, als er langsam eine Hand nach mir ausstreckte und sie auf meiner Wange liegen blieb.

Vorsichtig streichelte er mich, als würde er damit rechnen, dass ich jeden Augenblick zurückweichen würde.

Das könnte ich.

Das sollte ich.

Aber ich tat es nicht.

Seine Stimme war leise und rau, als er seine nächsten Worte wisperte.

„Darf ich?"

Ich antwortete nicht, aber ich wich auch nicht zurück.

Und das reichte ihm als Antwort.

Seine andere Hand griff unter mein Kinn und zog mich zu sich, während er sich gleichzeitig zu mir runter beugte.

Und dann legte er seine Lippen sanft auf meine.

Ich spürte keine Gefühlsexplosion, kein Herzrasen, keine heißen Wellen, die durch meinen Körper jagten. Ich spürte bloß das Gefühl seiner Lippen auf meiner.

Langsam löste er sich wieder von mir und öffnete seine Augen. Sie strahlten wie noch nie zuvor.

„Heute war ein wundervoller Tag", sagte er heiser. „Und du hast ihn gerade noch besser gemacht."

Ich zwang mich zu einem Lächeln, um die Leere in mir zu verstecken. Ich wollte etwas spüren. Ich wollte, dass es mir gefiel. Ich wollte, dass mein Herz raste, wenn er mich ansah, mich berührte, mich küsste. Aber das tat es nicht.

Aber für ein bisschen länger, würde ich so tun als ob.

DamienWo Geschichten leben. Entdecke jetzt