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Die nächsten Tage waren die Hölle. Nicht wegen meinem Knie. Das tat nicht mehr ganz so weh und mittlerweile konnte ich auch wieder größtenteils normal laufen, ohne wie eine alte humpelnde Hexe mit kaputtem Knie auszusehen.

Damien ging mir völlig aus dem Weg. Und dafür, dass wir dieselbe Freundesgruppe hatten, war das schon ziemlich beeindruckend.

Aber heute war Freitag. Und das hieß Nachsitzen. Mit Damien. Dann hatte ich endlich die Gelegenheit mit ihm zu sprechen. Da er nicht auf meine Nachrichten reagierte und ich ihn sonst auch nicht zu fassen bekam, war das wohl meine letzte Chance ihn zu erwischen.

Ich musste ihm unbedingt erklären, was mir eigentlich schon längst bewusst war. Das wir nicht gut für einander waren. Und dass ich ihn genauso wenig verletzten wollte, wie er mich. Aber das würde nicht heißen, dass wir uns nicht mehr sehen konnten oder völlig den Kontakt abbrechen mussten. Wir könnten immer noch Freunde sein... Auch wenn ich das Gefühl hatte, dass er ganz und gar nicht erfreut sein würde.

Es klingelte endlich und ich verabschiedete mich von Lia und Ace, die sich zusammen auf den Weg machten. Tyler war vermutlich noch bei Damien und ich machte mich auf zum Raum, wo ich hoffte auf ihn zu treffen.

Zu meiner Enttäuschung war er noch nicht da, aber er würde noch kommen. Da war ich mir sicher. Ich setzte mich bereits an einen Tisch und wartete mit ein paar anderen Schülern, die ebenfalls schon da waren auf den Lehrer. Und auf Damien.

Jedes Mal wenn die Tür sich öffnete, blickte ich hoffnungsvoll hoch, nur um enttäuscht wieder in meinen Stuhl zu sinken. Ich war schon kurz davor die Hoffnung aufzugeben, dass er überhaupt noch auftauchen würde, als sich die Tür ein weiteres Mal öffnete und Damien endlich eintrat.

Er ließ seinen Blick über mich hinwegschweifen, was mir einen kleinen Stich versetzte. Schließlich ging er bis an die hinterste Reihe und nahm an einem Tisch platz. Den, der am weitesten von mir entfernt war, bemerkte ich nüchtern.

Schließlich traf auch der Lehrer ein und klatschte seine Tasche laut auf das Pult, bevor er sich auf den Stuhl setzte und die Füße übereinander geschlagen auf den Tisch knallte.

„Zwei Stunden möchte ich absolute Ruhe! Ihr bearbeitet eure Aufgaben und seid dabei still", befahl er streng und die ersten machten sich bereits dran ihre Aufgaben zu lösen.

Ich dagegen hatte in diesen zwei Stunden etwas anderes vor. Und mir kam es gerade recht, dass Damien sich den hintersten Platz ausgesucht hatte. Von dort aus würde man uns nicht reden hören. Ich meldete mich und wurde auch augenblicklich dran genommen.

„Ich habe mein Buch leider vergessen", log ich. „Darf ich mich vielleicht zu Damien setzen und mit in seins gucken?"

Der Lehrer nickte und wedelte mich mit der Hand weg. Dann zog er eine Zeitung aus seiner Tasche und begann zu lesen.

Ich packte meine Sachen zusammen und ging zu Damien, der mich aus zusammengekniffenen Augen skeptisch beobachtete. Ich grinste ihn jedoch nur scheinheilig an, bevor ich mich auf den Stuhl neben ihn plumpsen ließ. Er wandte sich sofort seinen Aufgaben zu.

„Lange nicht gesehen", begann ich leise ein Gespräch. Oder versuchte es zumindest. Denn Damien ignorierte mich völlig. Nicht mal ein kurzer Seitenblick war mit drin.

„Schmollst du etwa?", zog ich ihn auf, was jedoch ebenfalls unkommentiert blieb.

„Sag mir nicht, dass du sauer auf mich bist." Ich rutschte ein ganz kleines Stückchen näher, aber er entfernte sich nur stumm weiter von mir.

Plan A hatte nicht funktioniert, also müssen wir jetzt wohl oder übel zu Plan B übergreifen. Ich streifte ihn ganz unauffällig mit meinem Bein. Wie erwartet, zog er sich sofort weiter zurück. Aber ich konnte spüren, als er sein Bein wieder etwas in meine Richtung schob. Als ob er wollen würde, dass ich ihn nochmal berührte. Und genau auf dieses Verlangen nach körperlichem Kontakt hatte ich gebaut.

Ich ließ meine Hand unter den Tisch gleiten und legte sie auf seinen Oberschenkel ab. Sofort versteifte er sich.

„Hörst du mir jetzt zu?", fragte ich drängend und fing langsam an kleine Muster auf seinem Schenkel zu zeichnen, die ihn zittrig nach Luft schnappen ließen.

„Ich will dich, Damien", fing ich leise an und sofort drehte er sich mir ruckartig zu. „Und es tut mir leid, dass ich dich letztens verletzt habe."

Er verengte die Augen. Er kannte mich gut genug um zu wissen, dass ein ‚Aber' folgte. Und er hatte recht.

„Aber wir sind nicht gut für einander." Er drehte sich sofort wieder weg. Dennoch hielt mich das nicht davon ab weiterzusprechen. „Du bist mir wichtig und du bedeutest mir viel. Und nur weil wir nicht zusammen sein können, heißt das nicht, dass wir keine Freunde sein können."

Ich zuckte bei dem lauten Knall zusammen, als Damien so schnell aufsprang, dass sein Stuhl lautstark auf den Boden krachte. In der nächsten Sekunde stürmte er auch schon aus dem Klassenraum. Den Lehrer ignorierend folgte ich ihm so schnell ich konnte.

„Warte!", rief ich ihm hinterher und zu meiner Überraschung blieb er tatsächlich stehen. Ich holte zu ihm auf und die Wut, die ich in seinen Augen sah, ließ mich zögernd die Hand sinken, die ich nach ihm ausgestreckt hatte.

„Freunde?" Er lachte verächtlich auf. „Ich will nicht dein Freund sein, Tessa."

In seiner Stimme schwang etwas bedrohliches mit, dass mich hinderte auch nur einen Ton rauszubringen.

Ich fasste mich wieder und blickte ihm unverwandt in die dunklen Augen, die zwei schwarzen Löchern glichen, die alles in ihrer Reichweite verschlangen.

„Ich kann dir aber nicht mehr bieten", erwiderte ich und straffte die Schultern.

Er griff so schnell nach meinem Gesicht, dass ich nicht mal die Möglichkeit hatte, ihm auszuweichen. Sein Griff war fest, aber dennoch sanft. Ich hätte mich, wenn ich wollte, aus ihm lösen können, aber etwas in seinem Blick hinderte mich daran. Die plötzliche Nähe ließ mich das Atmen vergessen.

Seine Berührung löste das vertraute Kribbeln aus, das durch meinen ganzen Körper jagte und bestimmten Stellen freudige Versprechen machte – die jedoch nie in Erfüllung gehen würden.

„Spürst du das? Dieses Gefühl?"

Ich brauchte auf seine Frage nicht zu antworten. Mein schwerer Atem und meine erhitzte Haut waren Antwort genug.

„Freunde lösen sowas nicht bei anderen Freunden aus. Tessa, das sind keine freundschaftlichen Gefühle. Ich will mehr."

Ruckartig beugte er sich zu mir runter und sein Blick heftete sich sehnsüchtig auf meine Lippen. „Ich will alles", hauchte er. „Ich-"

Er stockte, als er meinen sich verhärtenden Blick sah.

„Ich kann dir nicht mehr geben", zwang ich mich zu sagen. Mein ganzes Sein schien mich für diese Lüge zu verfluchen.

Damien gab mich frei und die Stellen, die noch vor einer Sekunde von seinen Händen gewärmt wurden, fühlten sich auf einmal eiskalt an. Und das Frösteln, das mich durchfuhr, als sein Blick sich vollkommen veränderte, vollkommen vereiste, war ebenso eiskalt.

„Alles oder nichts." Ich erkannte seine Stimme kaum wieder. „Entweder du nimmst dir alles und gibst mir alles oder wir beide kriegen nichts."

Mein Zögern reichte ihm als Antwort. Er wandte sich stumm von mir ab und ging davon. Ich verweilte noch eine Zeit lang im leeren Gang und gab mich meinen umher tosenden Gedanken hin, bevor ich mich wieder auf zum Klassenzimmer machte. Und als ich eintrat bemerkte ich sofort, dass Damiens Sachen verschwunden waren. Und er mit ihnen.

Nichts. Ich hatte nichts gewählt.

DamienWo Geschichten leben. Entdecke jetzt