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Schon eine halbe Stunde vor der verabredeten Zeit stand ein blonder Junge am See. Er hoffte noch immer, dass Micha auftauchen würde. Nach der Aktion im Unterricht heute morgen, war bereits klar, dass er nicht auftauchen würde. Die Wahrscheinlichkeit war gering, doch die Hoffnung starb zuletzt. Langsam ging dieser Spruch Maurice wirklich auf die Nerven. Es bedeutete am Ende eigentlich nur, dass alles verloren war, oder nicht? Dieser Spruch war nun keine Aufmunterung mehr. Die Hände in den Taschen von seinem Hoodie vergraben, stand er ein paar Schritte vom See abseits und sah auf den See. Das Wasser spiegelte die untergehende Sonne. Es war jedes Mal auf das Neue faszinierend, wie schön es doch aussah. Maurice löste seinen Blick vom Wasser und nahm sein Handy aus der Hoodietasche. 16:42 Uhr leuchtete es in großen Zahlen auf. Der Blonde seufzte einmal auf. Hoffentlich würde Micha kommen und er konnte ihm alles erklären. Über den kompletten Tag hatte er geplant, was er sagen könnte. Unzählige Varianten war Maurice im Kopf durchgegangen, wie man es am besten erklären konnte. Wahrscheinlich würde es eh nicht so werden, wie er es sich gedacht hatte. So wie der Blonde sich kannte, brachte er kein einziges Wort heraus. Da konnte er es noch so viel wollen, sein Mund würde sich nicht öffnen. Frustriert seufzte er auf und setzte sich ein paar Meter weiter auf die Bank. Der Braunhaarige war noch nicht aufgetaucht und würde es wahrscheinlich auch gar nicht. Weshalb machte er sich eigentlich solche Hoffnungen? Der kalte Wind peitschte ihm ins Gesicht und verknotete seine blonden Haare leicht. Die zärtlichen Wangen wurden durch die Kälte etwas rot, doch Maurice dachte nicht daran zu gehen. Er würde warten, selbst wenn er dafür frieren oder krank werden würde. Micha könnte sich in letzter Sekunde noch um entscheiden und doch hier erscheinen. Kurz schloss Maurice die Augen und lauschte in die Natur. Stille. Niemand, der mit knirschenden Sohlen am Kiesweg vor dem Jungen vorbei lief. Einzig allein der Wind war zu hören, wie er leise durch die Bäume heulte und die Blätter dadurch fröhlich raschelten. Mit einer kurzen Bewegung strich Maurice sich ein paar Strähnen aus dem Gesicht. Er lächelte nun leicht, doch konnte sich nicht erklären warum. Das Rascheln der Blätter an den Bäumen und die sonstige Ruhe um den Blonden herum mussten die Ursache sein. Er atmete einmal tief ein und wieder aus. Seine wirren Gedanken schienen sich auf einmal ordnen zu können. Dieser Ort hatte wirklich etwas Besonderes an sich. Eine ruhige Melodie spielte sich in seinem Kopf ab. Maurice wusste sofort, dass es sich um ein Piano handelte und wer es gespielt hatte. GermanLetsPlay oder auch Manuel genannt. Der Junge war äußerst begabt, wenn es um das Piano spielen ging. Jedes Mal, wenn der Blonde sich die Videos ansah, dann wurde er automatisch ruhiger. Es fühlte sich für die paar Minuten so an als wäre er verzaubert und in einen Bann gezogen. Man musste Manuel beim Piano spielen einfach zuhören, es ging nicht anders. Eine kleine Gänsehaut fuhr dem Blonden über den Körper als er wieder die schöne Piano Melodie hörte. Plötzlich stoppte die Musik abrupt. Laute und schnelle Schritte waren zu hören. Noch immer hatte Maurice seine Augen geschlossen. Es hörte sich so an, als würde jemand joggen. Das Kies unter den Sohlen, der näher kommenden Person, quietschte und knirschte laut. Es war kaum zu überhören. Voller Hoffnung öffnete der blondhaarige Junge seine Augen. Er sah genau in die Richtung, von wo er dachte, dass da die Schritte zu hören gewesen waren. Leider wurde er enttäuscht, denn es war nicht wie erhofft Michael. Eine junge Frau in schwarzen Sportklamotten und blonden Haaren, die zu einem Zopf gebunden waren, joggte an die nächste Bank von Maurice. Enttäuscht sah er ihr zu, wie sie die Bank für Dehnungsübungen benutzte. Warum hätte das nicht Micha sein können? Das wäre viel zu leicht gewesen, dachte sich Maurice mürrisch und stand auf. Seine Handyuhr zeigte nun 17:45 Uhr. Wie schnell die Zeit doch vergangen war, nur weil der Blonde an eine Melodie gedacht hatte. Er beschloss, dass er lange genug auf Michael gewartet hatte. Nun war es Zeit nach Hause zu gehen. Rein in das Warme und dann am besten in das Bett, wo er dann eine Serie schauen würde. Sicherheitshalber drehte sich der wartende Junge einmal im Kreis und scannte seine Umgebung ab, nur für den Fall, dass Micha gerade kommen würde. Nichts, nur die Frau, die gerade ihre Dehnübungen machte. Kein Micha war in Sicht und auch sonst niemand anderes. Die Miene des Blonden wurde von Sekunde zu Sekunde, trauriger. Der Braunhaarige würde nicht kommen. Das war doch von Anfang an klar gewesen, warum hatte er sich überhaupt Hoffnungen gemacht? Sein Handy piepste laut auf, doch ignorierte Maurice dies. Sollte es wichtig sein, dann würde derjenige noch mehrere Nachrichten schreiben, oder ihn anrufen. Mit einer flinken Bewegung zog er sich seine schwarze Kapuze über den Kopf und lief mit dem Blick auf dem Boden gerichtet an der jungen Frau vorbei. Diese bemerkte ihn nicht wirklich, da sie Kopfhörer in ihren Ohren hatte und laut sportmotivierende Musik hörte. Es war so laut gestellt, dass der Junge jedes Wort von dem Lied hören konnte. Schon seltsam, was manche Leute für Musik hörten, dachte er sich und lief mit eiligen Schritten weiter. Maurice wollte jetzt nur noch in das Warme. Er wollte sich nur noch in sein Bett verkriechen und traurig vor sich hinstarren. Seine Tränen schienen vollkommen aufgebraucht zu sein. Micha war nicht gekommen, wie sollte er sich jetzt bei ihm entschuldigen? Frustriert seufzte der blondhaarige Junge auf und sah ein letztes Mal auf den See. Noch ein kleines Stückchen und die Sonne wäre komplett verschwunden. Es dämmerte bereits ein wenig, deshalb war es umso kluger, wenn Maurice jetzt nach Hause ging. Die Straßen, die er laufen musste, waren nicht unbedingt gut beleuchtet und gaben in der Nacht eine gruselige Stimmung ab. Nur ein paar Schritte weiter und der See verschwand um die Ecke und somit auch aus dem Blickfeld von Maurice. Sollte Micha jetzt auftauchen, dann war es bereits zu spät.

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