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Wie ein Pfeil schoss es auf ihn zu und traf ihn im Herzen. Tränen sammelten sich in seinen Augen, doch drängte er sie so gut es ging weg. Es tat weh, sehr weh. Warum tat er das? Wieso warf Micha den Zettel direkt vor seinen Augen weg und sah ihn dann auch noch so an? Zittrig hob Maurice seine Hand und wartete bis der Lehrer den Blonden bemerkte.
"Verzeihung mir geht es nicht wirklich gut. Dürfte ich mich vielleicht kurz an die frische Luft setzen?", fragte er höflich und versuchte nicht zittrig zu klingen. Der Lehrer war sofort besorgt und nickte. "Natürlich Maurice. Soll dich jemand begleiten? Micha begleite ihn doch bitte."
"NEIN!", kam es gleichzeitig aus den Mündern der beiden Jungen. Sie sahen geschockt zum Lehrer. Spätestens jetzt waren alle Blicke der Klassenkameraden auf Micha und Maurice gerichtet. "Das ist nicht nötig, ich bekomme das alleine hin.", meinte Maurice dann etwas ruhiger und lächelte leicht. Der Braunhaarige nickte nur zustimmend und sah hoffnungsvoll zum Lehrer. Er würde ganz sicher nicht mit dem Blonden rausgehen, weil ihm angeblich schlecht war. Die Ausrede war nun wirklich schlecht, doch schien das der Lehrer nicht zu begreifen. "Na gut, komm einfach wieder hoch, wenn es dir besser geht, ja?", antwortete der Lehrer ein wenig verwirrt. Schnell nickte der Blonde und stand auf. Mit gesenktem Kopf ging er zur Tür. Er hasste Aufmerksamkeit. Noch immer starrte ihn jeder Schüler aus der Klasse an. Unauffällig zitterte er kurz, als er an Micha vorbei ging. Einen kleinen Blick zu dem Jungen wagte er, doch senkte schnell wieder den Kopf. So gefühlskalt war Micha noch nie zu ihm gewesen. Was hatte er bloß getan? Noch einmal nickte Maurice dem Lehrer dankbar zu und schloss dann die grün lackierte Holztür hinter sich. Einen kleinen erleichterten aber zugleich traurigen Seufzer konnte er sich nicht verkneifen. Einerseits war er erleichtert, jetzt draußen zu sein, aber andererseits war er traurig wegen Micha. Wie konnte man nur so unverschämt verletzend sein? Maurice konnte ja verstehen, warum Micha so sauer war, aber war das wirklich nötig gewesen? Sein Kopf sagte ein ganz klares nein. Micha hätte ihm auch einfach sagen können, dass er nicht kommen würde, dann wäre alles geklärt gewesen. Das gerade eben war wirklich tausendmal schmerzhafter gewesen. Mit eiligen Schritten bewegte sich der blonde Junge nun nach draußen. Er hatte das Gefühl, dass die Luft plötzlich knapper wurde und total schlecht war. Natürlich war es nur eine Einbildung, doch wollte Maurice auf gar keinen Fall vor dem Klassenzimmer umkippen. An der Tür angekommen, stieß er sie mit viel Kraft auf und trat hinaus. Die kalte Luft empfang ihn freudig und legte sich auf sein Gesicht und seinen Körper. Jetzt ging es ihm auch wieder ein bisschen besser. Der Junge sah sich um und entdeckte die Lücke zwischen den Hecken. Dort würde er ganz sicher ungestört sein. Der Blonde überprüfte zur Sicherheit noch einmal die Umgebung, ehe er durch das Loch schlüpfte. Stille empfing den Jungen. Vollkommene Stille. Schon fast unheimlich, aber nur fast. Wie verzaubert beruhigte sich Maurice ein wenig. Sein Herz klopfte nun nicht mehr so schnell und er bekam wieder genügend Luft. Anscheinend beruhigte es den Jungen, dass er komplett alleine war und um sich herum nur Büsche und Bäume standen. Der Platz war nicht groß, doch kam so gut wie nie jemand hier rein. Niemand bemerkte diesen kleinen abgeschotteten Ort des Pausenhofes und darüber war der Blonde mehr als froh. So konnte ihn niemand Ungebetenes stören, wie er sich mal wieder selbst bemitleidete und verfluchte. Den Boden anstarrend bohrte er mit dem Fuß ein kleines Loch in die Erde. Maurice war gerade auf dem besten Weg wieder komplett in seine Gedanken zu versinken. Warum hatte er unbedingt das Date zerstören müssen? Warum hatte er Micha überhaupt die ganze Zeit belogen? Sein Kopf machte ihm nur noch Vorwürfe. Es war alles nur die Angst gewesen, die daran Schuld war. Sie hatte von Maurice die Oberhand gewonnen und mit ihm ein Spielchen gespielt. Er war eine Enttäuschung. Er hatte mal wieder nichts anderes gekonnt, als alles zu vermasseln. Darin war er anscheinend ja sehr gut. Wütend über sich selbst stampfte der blonde Junge in die Erde. Eine kleine Dreckwolke bildete sich um seinen Fuß und flog dann mit dem Wind weg. Sein Herz schmerzte sehr. Der Pfeil hatte ihn genau in der Mitte getroffen und das ziemlich hart. Es riss die zerbröckelten Stücken noch mehr an, sodass sie fast noch kleiner waren, als jetzt schon. Sein Blick verfinsterte sich je mehr er daran dachte. Je mehr er daran dachte, desto mehr wurde seine Seele mit Traurigkeit bedeckt. Für einen kurzen Moment schloss Maurice seine Augen und atmete einmal tief ein und wieder aus. Er atmete wieder tief ein und wieder aus. Langsam merkte der Blonde, wie sich sein Herz wieder beruhigte. Es tat ihm nicht gut, wenn er Herzrasen hatte. Wieder einmal tief einatmen und ausatmen. Plötzlich fing sein Kopf an zu dröhnen. Genervt stöhnte er auf und versuchte sie zu unterdrücken. Keine gute Idee, denn sie wurden dadurch immer stärker. Frustriert ließ er sich wieder auf den Baumstumpf fallen. Wann war er denn bitte aufgestanden? Er stützte seinen Kopf auf der Hand ab und sah auf einen Busch. Dunkelbraune Blätter die aussahen wie Herzen, zierten dieses große und breite Gebüsch. Dunkelbraune Äste waren wirr verschlungen und schnitten anderen ihren Weg ab. Maurice stand auf und lief die paar Schritte hin. Genau einen Schritt blieb er davor stehen und musterte kurz den Busch. Seine Hand bewegte sich wie von selbst zu den herzförmigen Blättern und zupfte sie vorsichtig ab. Erst eines, dann zwei, dann drei und schließlich fünf. Ordentlich ordnete er die Blätter nach ihrer Größe, während er sich wieder zum Baumstumpf begab. Sein Blick wurde wieder starr und richtete sich auf den Boden. Nebenbei nahm er das erste und kleinste Blatt, was er abgezupft hatte und zerriss es in der Mitte. Nun legte der Blonde die zwei Hälften aufeinander und zerriss es wieder in der Mitte. Er machte es solange, bis man es nicht mehr trennen konnte, da die Stücke zu klein waren. Genau so fühlte sich sein Herz gerade an: Zerrissen in tausend Stücke oder noch viel mehr. Wieso fühlte es sich so schmerzvoll an? Sein starrer Blick wandelte sich in glasig um. Auf die Umgebung achtete er schon längst nicht mehr. Wieder nahm Maurice ein Buschblatt in die Hand. Die Teile von dem Vorherigen hatte er auf den Boden fallen lassen. Nun riss der Junge  ein Stück nach dem Anderen von dem noch heilen Blatt ab. Fühlte es sich so an, wenn man sein Herz an jemanden verloren oder eher vergeben hatte? Unbemerkt rollte ihm langsam eine Träne an der Wange herunter. Er hasste sich für das was er getan hatte. Wieder schloss er für einen Moment seine Augen und suchte die innere Ruhe. Maurice hörte wie die Vögel in den Bäumen leise zwitscherten. Es klang wie eine wundervolle Melodie, die einen den Tag verbessern könnte. Nur konnte man dem Blonden seinen Tag nicht verbessern. Micha hatte gerade eben all seine Hoffnungen auf ein Treffen zunichte gemacht. Jetzt wusste Maurice zumindest, wo er bei ihm stand, nämlich ganz unten. Es schmerzte, doch nahm es der Junge nicht wahr. Ein kleiner Stich mehr im Herzen machte keinen großen Unterschied mehr, oder? Mit den Füßen bohrte er ein neues Loch in die staubige Erde. Wie sollte Maurice das jemals wieder gerade biegen? Micha ließ nicht mit sich sprechen und das machte den Blonden ziemlich ratlos. Frustriert seufzte er auf. Langsam kam er wieder in die Realität zurück. Ein paar Mal blinzelte Maurice und ließ die neuen kleinen Stücke des anderen Blattes auf den Boden fallen. Entschlossenheit machte sich nun im Blonden breit. Micha hatte dem Zettel weggeworfen, doch würde er heute am See stehen und auf den Braunhaarigen warten. Für ein paar Sekunden blieb er noch sitzen, ehe der Blonde aufstand und wieder durch das Loch im Busch schlüpfte. Seine Gedanken waren wirr, doch machte Maurice sich nicht die Mühe sie zu ordnen. Er lief nun wieder zurück zum Klassenzimmer. Auf dem Weg dorthin dachte er an nichts. Kein Micha war in seinen Gedanken und verwirrte, verängstigte oder verärgerte ihn. Vor der grünen Tür blieb er stehen. Mit seinem Hoodieärmel wischte er sich seine Träne von der Wange und trocknete sie somit. Noch einmal atmete Maurice tief durch und öffnete dann die Tür um wieder am Unterricht teilzunehmen. Auf dem Weg zu seinem Platz, der neben dem von Daniel war, beachtete er Micha kein bisschen. Er wollte diesen gefühllosen Ausdruck ihm gegenüber nicht sehen.

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