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Der blonde Junge stand ganz allein im Pausenhof. Nur wenige Sekunden davor hatte Micha ihn alleine gelassen. Seine Gedanken flogen wirr in seinem Kopf herum und ließen sich nur schwer wieder ordnen. Langsam schlenderte Maurice auf den Haupteingang zu. Eigentlich musste er sich beeilen, da der Unterricht in weniger als zwei Minuten anfing, doch das tat er nicht. Seine Gedanken, die weiterhin wirr herumflogen, schienen ihn zu lähmen. Was hatte er erwartet? Hatte er allen ernstes gedacht, dass Micha sich in seine Arme werfen würde? Vielleicht war dies ein wenig übertrieben. Es war eigentlich von Anfang an klar gewesen, dass der Braunhaarige nicht einwilligen würde. Der Gong ertönte, der den Unterrichtsbeginn signalisierte, und Maurice schreckte aus seinen Gedanken auf. Sie hatten jetzt Physik, fiel ihm siedend heiß ein. Seine Schritte wurden nun immer schneller, bis er fast rannte. Es war nicht weit bis zum Klassenzimmer. Vor der Tür blieb er etwas schwer atmend stehen. Hoffentlich würde ihm spontan eine Ausrede einfallen, die ihn vor der Strafe rettete, die ihn jetzt erwartete. Der Blonde atmete einmal tief durch und öffnete die grüne Klassenzimmertür. Sofort drangen laute und aufgeregte Stimmen an sein Ohr. Verwundert darüber ließ Maurice seinen Blick durch das Klassenzimmer schweifen. Der Lehrer war nicht zu sehen. Erleichtert seufzte der blonde Junge auf und trottete zu seinem Platz neben Daniel. Dieser merkte sofort, dass es Maurice ein wenig besser ging, er aber noch in seinen Gedanken festhing. Allerdings sagte er nichts. Wieso sollte er sich in etwas einmischen, was ihn nicht anging? Sie waren zwar befreundet, doch mischte sich Daniel nur ungern ungebeten in Sachen ein. Maurice ließ seine Tasche neben den Tisch auf den Boden fallen und setzte sich dann. „Du hattest Glück, dass er noch nicht da ist.", meinte Daniel dann leicht schmunzelnd. Der Blonde schien wirklich erleichtert zu sein, dass der Lehrer noch nicht da war. Wer konnte es ihm denn schon verübeln? Es war nicht wirklich toll nach der Schule nachsitzen zu müssen und mehrere Seiten voll mit einem Text abschreiben zu müssen. „Ich weiß.", antwortete Maurice und grinste ganz leicht. „Warum kommst du überhaupt so spät?", fragte Daniel dann verwundert. Sonst kam sein Sitznachbar immer pünktlich 15 Minuten vor Unterrichtsbeginn, also wenn der Gong das erste Mal ertönte. Maurice schluckte unauffällig und überlegte fieberhaft nach einer Ausrede. „Mein Bruder wollte ewig nicht aus dem Bett.", gab er dann zurück. Daniel nickte und sah dann weg. Es kam so ehrlich herüber, dass der Braunhaarige neben Maurice es wirklich glaubte. Irgendwie stimmte das Gesagte ja auch. Sein Bruder kam morgens wirklich nicht aus dem Bett, nur gab es den Unterschied, dass seine Mutter ihn aufweckte und aufweckte...und aufweckte. Maurice schob den Gedanken beiseite. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt um sich über seinen Bruder zu beschweren, oder was auch immer er da gerade getan hatte. Was tat er jetzt wegen Micha? Ach ja stimmt, für Maurice hieß es jetzt Michael. Ein trauriger Ausdruck legte sich über dem Blonden sein Gesicht. Es war ein Rückschlag gewesen, doch dachte der Junge nicht daran aufzugeben. Er hatte sich das Ziel genommen sich bei Micha ernsthaft zu entschuldigen und ihm zusätzlich noch zu zeigen, wie wichtig die Freundschaft für ihn war. Irgendwann musste der Braunhaarige ihm verzeihen, selbst wenn sie dann keine Beziehung mehr führten oder auch gar keine Freunde mehr waren. Hauptsache Micha redete wieder mit ihm und das nicht in einem genervten oder wütendem Ton. Maurice lehnte sich in seinen Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Der schwarze Pullover verhinderte, dass er fror. Ihm wäre ohne Pulli wirklich sehr kalt. Dabei war das nur der Anfang vom Schrecklichen. Es war bisher nur Herbst. Was machte er dann im Winter? Erfrieren vielleicht, oder presste er sich dann in zehn Hoodies gleichzeitig? Unauffällig kaute Maurice auf seiner Unterlippe, während er nachdachte. Wie konnte er Micha dazu bringen ihm zuzuhören? Es müsste auf jeden Fall etwas Organisiertes sein. Maurice müsste den Braunhaarigen eine Einladung oder so etwas in der Art zukommen lassen. Wie sollte er das anstellen? Über das Handy hatte er keine Möglichkeiten. Micha hatte Maurice überall geblockt, außer auf Youtube. Allerdings wäre es keine gute Idee, wenn er als maudado einen Kommentar unter Zombeys Video hinterließ.
Treffen uns um ...Uhr bei ... Muss mit dir reden.
Maurice/maudado
Der Blonde schüttelte innerlich mit dem Kopf. Nein, dann würden Fans das alles mitbekommen und am Ende noch diesen Ort aufsuchen. Das konnte Maurice nicht bringen. Die Möglichkeit über Handy etwas zu verschickten fiel also weg. Sowohl beim privaten als auch beim Youtube-Handy. Plötzlich kam ihm die grandiose Idee. Ein kleiner Brief, den der blonde Junge unauffällig in Michas Rucksack versteckte. Micha würde die Einladung dann einfach bemerken und kommen. Ja, genau so war der Plan gut. Plötzlich wurde die Tür geöffnet und eine junge Lehrerin betrat den Raum. Das laute Tuscheln der Schüler verstummte augenblicklich. Fragend starrten sie alle auf die Lehrerin, die nun einen Stapel Blätter auf dem Tisch ablegte. Das alles machte sie, als wäre das vollkommen normal. Es war ja nicht so, als wäre sie in einer Klasse die sie eigentlich gar nicht unterrichtete. „Guten Morgen.", sagte sie und sah lächelnd in die Klasse. „Guten Morgen, Frau Oberhauser.", kam es synchron von der Klasse. Die Lehrerin nickte zufrieden. „Ich werde heute eure Vertretung in Physik sein.", erklärte sie ihr Erscheinen. Jetzt machte auch alles Sinn. Eigentlich war es ersichtlich gewesen, doch niemand hatte in der Sekunde daran gedacht. „Ihr bekommt von mir ein paar einfache Arbeitsblätter. In eurem Buch findet ihr die Lösungen dazu. Wenn ihr schnell seid, dann ist das spätestens in einer kompletten Stunde erledigt. Danach dürft ihr machen was ihr wollt.", sagte sie und nahm dabei den Blätterstapel von gerade eben wieder in den Arm. Langsam ging die Lehrerin durch die Reihen und teilte jedem vier Blätter aus. Maurice öffnete sofort sein Buch und begann konzentriert die Aufgaben abzuarbeiten. Er wollte so schnell wie möglich die Blätter durcharbeiten, damit er sich dann an die „Einladung" machen konnte.

Nur eine Dreiviertelstunde später war Maurice schon fertig mit den ausgeteilten Aufgaben. Unsicher sah der Blonde sich im Klassenzimmer um. Es schien, als wäre er als Erstes fertig. Leichte Panik machte sich in ihm breit. Was war, wenn die Antworten allesamt falsch waren? Das wäre dann wirklich peinlich. Konnte er jetzt schon machen, was er wollte? So leise wie möglich holte er seinen Block aus der Tasche und öffnete ihn. Es fehlte jetzt nur noch die perfekte Ausformulierung für die „Einladung".

Micha,
bitte lass uns reden.

Sofort strich Maurice es wieder durch. Das klang komisch.

Micha,
ich weiß ich soll dich Michael nennen, aber

Wieder stoppte der Blonde beim Schreiben und strich es wieder durch. Das klang noch komischer, dass sollte er auf keinen Fall schreiben.

Lass uns über alles reden. 17 Uhr am See, du weißt welchen ich meine.
Maurice

Das klang doch schon um einiges besser. Allerdings war es noch lange nicht perfekt. Es hörte sich noch ein wenig zu steif an, fand der blonde Junge.

17 Uhr am See. Bitte komm und lass uns über alles reden.
Maurice

Nein, das klang zwar besser als die ersten Zwei, doch war es schlechter als der Dritte.

Können wir bitte über alles reden? Ich würde dir gerne alles erklären. Komm heute (19. 09) um 17 Uhr an den See. Ich werde auf dich warten.
Maurice

Noch einmal laß der Blonde sich die Sätze durch, ehe er zufrieden nickte. Ja, das konnte sich sehen lassen. Lächelnd faltete er das Blatt in beide Richtungen und trennte das Geschriebene dann vorsichtig vom Rest des Blattes ab. Jetzt konnte Maurice es kaum mehr erwarten, bis die zwei Stunden Physik um waren. Am liebsten hätte der Junge den Zettel jetzt schon in die Tasche gesteckt, doch jetzt war es einfach zu auffällig. Wohl oder übel musste er sich nun gedulden. Während er eine gefühlte Ewigkeit wartete bis die 40 Minuten um waren, plante der Blonde weiter den Gedanken aus. Er würde am See auf einer Bank sitzen und warten, bis Micha vielleicht kam. Wenn der Braunhaarige kam, dann wollte Maurice all sein Leid und seine Sorgen über ihn bei ihm loswerden. Das Ende konnte er nicht planen, da Maurice die Entscheidung von Micha jetzt natürlich noch nicht kannte. Allerdings gab es noch eine zweite Möglichkeit. Es konnte auch durchaus sein, dass der Braunhaarige einfach gar nicht erschien. Wenn dies der Fall war, dann hatte Maurice wirklich Pech gehabt, aber dann wusste er zumindest, wie schlimm es um ihre Freundschaft stand.

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