Kapitel 3 - Verstorbene Vergangenheit

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Kapitel 3 – Verstorbene Vergangenheit

Obwohl es mitten in der Nacht war, konnte ich nicht schlafen. Ich hatte mir die Decke bis unters Kinn hochgezogen und lag im Bett meines neuen Zimmers, welches Maryse mir Stunden zuvor zur Verfügung gestellt hatte. Morgen würde ich die anderen Schattenjäger kennenlernen, mit denen ich dann ebenfalls gemeinsam trainieren würde. Das wird definitiv nach hinten losgehen, dachte ich. Doch dies war nicht der Grund, weshalb ich keinen Schlaf fand.

Ich konnte nicht aufhören, nachzudenken. Mein Gehirn wollte einfach nicht abschalten. Ich dachte an meinen Vater, an die Dinge, für die meine Mutter ihn beschuldigt hatte. Und ich dachte an Jonathan. Ich fürchtete, dass sie uns irgendwann hier finden würden. Schließlich hatte mein Vater überall Spione, die ihm die Treue geschworen hatten.

Erst letzte Nacht hatten sie das Pariser Institut angegriffen, wahrscheinlich weil sie dachten, uns dort zu finden. Es war eines der nächsten Institute zu Idris. Ich schluckte und mein Magen fühlte sich schwer an, obwohl ich nichts zu Abend gegessen hatte. Fünf Schattenjäger waren bei der Attacke ums Leben gekommen. Fünf leuchtende Leben und ich war in ihre Tode involviert, wenn auch nur passiv. Ich hatte noch nie jemanden getötet. Tiere ja, aber keine Menschen. Und nun waren es fünf Menschen auf einmal.

Ich kannte natürlich niemanden von ihnen persönlich und doch machte es mir zu schaffen. Mit Tränen in den Augen starrte ich in die Dunkelheit meines Zimmers und erinnerte mich an den Traum von letzter Nacht. Er musste eine Bedeutung gehabt haben, keiner meiner vergangenen Träume hatte sich so realistisch angefühlt wie dieser. Die Frage war, wie Jonathan darin involviert war. Ich hatte den ganzen Abend über die Bedeutung des Traums nachgedacht, jedoch ohne Fortschritte. Vielleicht machte ich mir einfach zu viele Sorgen und es war wirklich nur ein einfacher Traum gewesen. Vielleicht hatte sich der Traum auch einfach nur realer angefühlt, weil ich durch die Ereignisse der letzten Tage erschöpft gewesen war.

Erst als ich am nächsten Morgen aufwachte, bemerkte ich, dass ich überhaupt eingeschlafen war. Die Sonne war bereits am Himmel und helles Licht fiel durch mein Fenster herein. Die Wände meines neuen Raumes waren von einem hell-beige, das Bett war temporär mit einem grauen Laken bezogen worden. Die Mahagonimöbel wirkten altertümlich aber gut gepflegt. Dennoch fühlte das Zimmer sich unpersönlich und kalt an. Sobald meine Mutter sich sicher war, dass wir hierbleiben würden, würde ich den Raum neu einrichten. Alles wirkte nackt und ruhelos.

Jemand musste während meines Schlafs im Zimmer gewesen sein, denn eine saubere Schattenjägermontur lag auf dem Stuhl. Ich nahm sie und ging in das angrenzende Badezimmer, um mich umzuziehen.

Als ich den Flur einige Minuten später betrat, fand ich ihn genauso leer vor wie gestern. Obwohl, nicht völlig leer. Ein grauer Kater saß neben meiner Tür, wie wenn er auf mich gewartet hätte. Seine gelben Augen ruhten auf mir und dann sprang er auf die Beine. Ich verschloss die Tür hinter mir.

„Oh hallo", sagte ich und musterte den grauen Kater, der nun auf mich zukam. Ich hatte nie ein Haustier, also kniete ich mich neben ihn und streichelte vorsichtig sein Fell. Er schnurrte zufrieden. „Hast du eine Nachricht für mich?", fragte ich, woraufhin der Kater mich aus seinen trüben Augen anschaute, als hätte er verstanden, was sich gesagt hatte. Und vielleicht hatte er das auch.

Mit einer geschmeidigen Bewegung setzte sich der Kater auf und stolzierte den Korridor entlang. Ich folgte ihm und zusammen betraten wir den Aufzug. Über uns waren wieder die wunderschönen Deckenmalereien, doch ich zwang mich an ihnen vorbeizugehen. Erst jetzt merkte ich, wie still es war. Es lebten wohl nicht viele Nephilim im Institut. Als wir den Aufzug im ersten Stock wieder verließen – also der Kater verließ ihn in einer fließenden Bewegung, während ich hinterher stolperte – zog sich mein Magen auf einmal zusammen und ich spürte die Furcht in mir aufkeimen.

The Rise Of The Morningstar (Clace)Where stories live. Discover now