82 ~ Pusteblumen

496 39 47
                                    

In Gummistiefeln stapfte ich über die Wiese. Der Geruch nach Blumen und nassem Rasen stieg mir in die Nase, denn trotz strahlendem Sonnenschein war das lange Gras von der Nacht noch feucht.

Ich rannte über die Wiese und bestaunte die verschiedenen Blumen.

Mama ging hinter mir her, während Daddy mit geschlossenen Augen auf einer Bank am Wiesenrand saß und die Sonne genoss.

»Die kannst du pflücken«, meinte Mama und deutete auf die gelben Blumen mit den weißen Blüten. »Und wenn wir Zuhause sind, machen wir daraus einen ganz leckeren Kamillentee.«
Ich griff stattdessen nach einer Pusteblume und pustete, sodass die Samen wie kleine Fallschirme durch den Wind tanzten. Ich war begeistert, wie schön das aussah. Dann müssten die doch eigentlich genauso gut schmecken, wie sie gut aussahen, oder?

»Können die Pusteblumen auch in den Tee?«, fragte ich.

Mama kniete sich lachend vor mich. »Aber dann ist es ja gar kein Kamillentee mehr«, sagte sie.

»Doch, dann ist es Kamille-Pusteblumen-Tee!«


Das Lächeln, das während meines Aufwachprozesses noch meine Lippen umspielte, verschwand, als ich bemerkte, wo ich mich befand. Irgendjemand hatte mich schläfrig gemacht. Aber nichts Materielles, nein. Es musste ein Dämon gewesen sein!

Ich war mich nicht mehr in der Zelle, das verriet mir das grell strahlende weiße Licht, das von der Decke hing. Doch das Zimmer, in dem ich mich jetzt befand, war nicht gerade besser. Es war größer, ja, aber die Wände waren noch immer aus Silber. Abgesehen von mir und dem Stuhl, auf dem ich saß, befand sich lediglich ein weiterer Stuhl direkt vor mir.

Meine Hände waren hinter mir an die Lehne gebunden, meine Füße an die Stuhlbeine. Ich versuchte, zu hüpfen, mich irgendwie zu bewegen, doch meine Fesseln gaben nicht nach und der Stuhl blieb starr auf seinem Platz stehen. Vermutlich war er direkt am Boden befestigt.

Auf einmal hörte ich hinter mir das Öffnen einer Tür. Ich musste meinen Hals verrenken, um zu sehen, wer eintrat.

Es war niemand geringeres als Tuesdays Schein-Mutter, die mit ihren Pumps zum Stuhl vor mir schritt und ich setzte.

»Hallo Monday«, sagte sie. »Wie geht es dir?«

Was sollte denn diese Frage, nachdem sie uns in eingesperrt hatte? Erwartete sie ernsthaft, dass ihr darauf eine Antwort gab?

»Gut, wenn du nicht reden willst, fangen wir direkt mit den wichtigen Fragen an«, sagte die blonde Frau. »Wie habt ihr uns gefunden?«

»Solltest du das nicht selbst wissen? Tuesday wohn immerhin bei euch, da hat sie das mitbekommen«, log ich. So sehr ich Adam auch verabscheute, dafür, dass er mich ausspioniert hatte, ich würde nicht ihn und seinen Vater in Gefahr bringen.

»Sag mir die Wahrheit, Monday!«

»Das ist die Wahrheit.«

Ruckartig rutschte die Frau mit ihrem Stuhl ein Stück nach vorne, sodass ein grässlich Quietschendes Geräusch entstand. Ich wollte mir augenblicklich die Ohren zuhalten, doch musste ich wieder einmal feststellen, dass meine Hände verbunden waren. Die Fesseln bohrten sich schmerzhaft in meine Handgelenke.

Tuesdays Schein-Mama legte mir eine Hand aufs Herz, dann spürte ich, wie sie meine Seele zu sich rief. Ich wollte meine Seele bei mir behalten, innerlich versuchte ich gegen ihr Aussaugen anzukommen, doch es nützte mir nichts. Die goldene Masse kroch wabernd ihren Arm hinauf. Immer mehr und mehr, der Strom schien gar kein Ende zu nehmen. Ich spürte, wie meine Kräfte schwanden, wie ich müde wurde, die Welt vor meinen Augen verschwamm. Ich hatte solch einen Hunger. Hunger auf neue Lebensenergie.

Die Frau stoppte erst, als ich nur noch einen kleinen Teil der Energie in mir fühlen konnte. Ich war beinahe komplett leer.

»Wir wissen, dass Adam es war«, sagte sie und lehnte sich wieder in ihrem Stuhl zurück. »Denkst du wirklich, wir hätten ihn ohne unser Einverständnis unser Versteck preisgeben lassen? Nein, wir haben ihm angeordnet, dass er euch von uns erzählt und euch sagt, dass eure Mutter hier ist. Wir wissen alles über dich. Also wag es nicht noch einmal, mich anzulügen. Nun, gibt es mehr wie dich?«

»Ich werde dir gar nichts sagen«, murmelte ich am Ende meiner Kräfte.

»Gut, wenn das so ist«, sagte die Frau. »Dann bitte ich meine Kollegen, Jack herzuholen. Mal sehen, wie lange du standhältst, wenn wir ihm die Lebensenergie aussaugen.«

Auf einmal war ich wieder hellwach. Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. »Das ist mir egal.«

Die Frau stand auf und verließ das Verhörzimmer.

Wenig später kam sie, von zwei Wachen begleitet, zurück. Eine Wache zog einen schlafenden Jack hinter sich her, die andere trug einen Stuhl, auf dem sie Jack platzierten und ihm genauso wie mir mit einer kräftigen Metallfessel die Hände und Füße verbanden.

Als die Tür hinter den Wachen ins Schloss fiel, wachte Jack schlagartig wieder auf.

Er guckte zur Wand, dann zu mir.

»Monday?« fragte er.

Ich wand meinen Blick schnell ab. Ich wollte nicht sehen, wie ihm die Seele ausgesaugt wurde, doch trotzdem konnte ich hören, wie Tuesdays Schein-Mama auf ihn zuging.

»So, lieber Jack«, hörte ich ihre viel zu lieblich klingende Stimme. »Ich werde dir jetzt die Seele aussaugen, bis Monday anfängt zu sprechen.«

Dann hörte ich nichts mehr. Ich hielt es nicht aus und wagte einen Blick zu ihnen. Jacks Lebensenergie verließ in Strömen seinen Körper. In meinen Kopf bahnten sich schon die Bilder von einem bewusstlosen, nein, einem toten Jack. Seine Lebensenergie schien schon fast aufgebraucht, bald wäre es vorbei. Ich konnte es nicht länger ertragen.

»Stopp!«, schrie ich. »Ich rede ja schon.«

»Das freut mich zu hören!«, sagte die Frau entzückt und lächelte mich mit ihrem falschen Grinsen an. Mit gezielten Schritten begab sie sich wieder zu mir und setzte sich. »Sag mir, gibt es mehr wie dich?«

»Was soll das heißen?«, fragte ich.

»Geschwister«, entgegnete die Frau. »Hast du außer Tuesday noch andere Geschwister?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Gut. Ist doch schön, einmal die Wahrheit zu sagen, stimmt's?« Sie lächelte mich erneut an. »Kennst du andere Halbdämonen?«

»Nein«, entgegnete ich, dann fiel mir ein, dass ich Adam kannte. Adam, der sowieso schon aufgeflogen war. »Abgesehen von Adam kenne ich keine anderen.«

»Sehr gut!«, sagte sie, als wäre ich ein kleines Kind. »Was ist deine Begabung?«

Monday - Dämonen der VergangenheitWhere stories live. Discover now