19 ~ Friendship

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»Das kann doch nicht sein!«, hatte Norbert mich heute morgen schreiend geweckt. »Der Junge hat Fieber. Das hatte er doch seit fünf Jahren nicht mehr.«

Na ja, Fakt ist, dass ich heute alleine den Matheunterricht durchstehen musste. Sehr vermisste ich meinen Stiefbruder allerdings nicht. Mit dem konnte man sich während dem Unterricht nie unterhalten, weil er immer aufmerksam unserem Lehrer zuhörte und komplizierte Aufgaben in seinem Heft löste.

Nachdem der Lehrer mich wieder mit einer mathematischen Frage vor der ganzen Klasse bloßgestellt hatte, zog ich doch tatsächlich in Erwägung, den Nachhilfeunterricht von Adam anzunehmen. Vielleicht wäre diese Idee gar nicht so schlecht. Meinen Noten jedenfalls würde das nicht schaden.


Vor meinem Physikunterricht, welchen ich in der dritten Stunde hatte, begegnete ich Jared.

»Monday!«, rief er und kam auf mich zugeeilt. »Wir sind doch noch Freunde, oder?«

»Waren wir jemals Freunde?«, fragte ich ausweichend.

»Ich dachte schon«, meinte er neutral. »Aber wenn nicht, dann können wir ja Freunde werden. Wir kennen uns noch gar nicht gut. Mit einer Beziehung zwischen uns klappt es nicht. Aber gib wenigstens unserer Freundschaft eine Chance.«

»Na gut, dann probieren wir das. Aber wenn du noch einmal einen von meinen Freunden verletzen solltest, dann ist unsere Freundschaft vorbei«, warnte ich ihn.

Er lächelte. »Gut, ich werde mir Mühe geben. Bis nachher«, sagte er, umarmte mich und eilte zu seinem Physikraum.

Warum wollte er Freundschaft?


Als ich die Turnhalle betrat, sah ich wie Jack bei den anderen Schülern stand und Basketbälle in den Korb warf. Jared hingegen stand etwas abseits, zusammen mit Kim. Er würde doch nicht ernsthaft etwas mit ihr anfangen, oder?

Entschlossen ging ich auf die beiden zu und umarmte Jared, um die beiden bei ihrem kleinen Flirt zu unterbrechen. Sein Körper war eiskalt, so wie immer. Schneeflocken tanzten in meinem Bauch, als ich ihn so nah an mir spürte.

»Bitte halt mir Kim vom Leib«, flüsterte Jared mir zur Begrüßung ins Ohr. »Ich werd sie einfach nicht los.« Diese Bitte kam so überraschend, dass ich auf der Stelle verharrte und mich nicht mehr aus seiner Umarmung lösen konnte. Warum zum Teufel wollte er nichts mit Kim anfangen? Normalerweise fing er doch mit jedem Mädchen etwas an, oder? Und Kim hatte wirklich einen guten Körper.

Fragend schaute ich zu ihm hoch. »Warum?«

»Sie ist wie eine Klette«, meinte er.

»Dann sag ihr doch einfach, dass du nichts von ihr willst.«

Kim hustete, um sich bemerkbar zu machen, doch wir beide taten so, als würden wir sie nicht hören.

Endlich unterbrach der Lehrer die peinliche Situation. »Bitte versammelt euch alle im Kreis!«, rief er.

Schnell zog ich Jared mit mir in die Mitte der Halle, um möglichst weit weg Kim zu gelangen. Immerhin musste ich mir dadurch keine Ausrede einfallen lassen, um sie loszuwerden.


Als ich mein Fahrrad aus dem Schultor schob, wartete Jared schon. Auf mich, wie es schien. Doch er war nicht allein.

»Willst du mit zu mir nach Hause kommen?«, fragte Kim und zog hoffnungsvoll an seinem Ärmel. Doch er beachtete sie gar nicht, sondern streifte ihre Finger ab wie eine lästige Fliege.

»Könntest du mal aufhören, dich an meinen Freund heranzumachen?«, zickte ich sie genervt an. Und schlug mir danach direkt die Hand vor den Mund. Hatte ich ernsthaft mein Freund gesagt? Jared würde mich jetzt locker vor ihr bloßstellen und dann wüsste die ganze Schule, dass ich auf ihn stand. Vor Kim war kein Geheimnis sicher.

»Dein Freund?«, lachte sie. »Ich glaube da handelt es sich um ein Missverständnis. Jared ist single. Und das schon seit langem.«

»Da hast du anscheinend etwas nicht mitbekommen«, sagte Jared überraschenderweise. Sanft nahm er mich am Arm und drückte mir einen eiskalten Kuss auf den Mund, während er mich mitsamt Fahrrad aus dem Schultor führte.

Hinter mir schnappte Kim erschrocken nach Luft. Sie hatte diese Reaktion genauso wenig erwartet wie ich.


»Warum hast du das getan?«, fragte er, als wir schon fast zu Hause waren.

»Warum hast du das getan?«, erwiderte ich.

»Was getan?«

»Du hättest mich vor ihr komplett bloßstellen können. Warum hast du bestätigt, dass ich deine Freundin bin?«

»Ich wollte sie loswerden«, behauptete er. »Aber warum hast du ihr überhaupt gesagt, dass ich dein Freund bin?«

»Aus dem gleichen Grund. Wie hätte ich sie sonst von dir fernhalten sollen?« Wir waren schon an unserer Straßenecke angekommen. Gleich würden wir uns voneinander verabschieden. »Kim wird der ganzen Schule erzählen, dass wir zusammen sind«, meinte ich nachdenklich. »Genauso wie sie allen diese Lüge von Adam und mir erzählt hat.«

Ich schloss mein Fahrrad an den Gartenzaun.

»Ach was, wenn die Leute denken, dass wir ein Pärchen sind, dann ist das nicht das Schlimmste«, sagte Jared mit einem Grinsen. »Aber um das Ganze glaubhafter zu machen, sollten wir vielleicht noch einmal das Küssen üben.«

Er nahm meine Hände zwischen seine. Sie waren so kalt, dass sich an meinem ganzen Körper eine Gänsehaut bildete.

»Ich will das Ganze gar nicht glaubhafter machen«, erklärte ich ihm.

»Ich will es aber«, flüsterte er und zog mich zu sich herüber. Es war so wunderschön. Die Kälte, die von seinen Lippen ausging, war so verlockend. Ich konnte nicht anders, als den Kuss zu erwidern.

»Monday!«, hörte ich plötzlich Adam schreien. »Was soll das?!«

Widerwillig löste ich mich von Jared.

»Wir sind nur Freunde, nichts weiter«, versprach ich ihm und drehte mich von ihm weg.

Adam stand am offenen Fenster und guckte mich mit einem wutentbrannten Gesicht an. So zornig hatte ich ihn noch nie gesehen.

Wie sollte ich ihm den Kuss bloß erklären?

Monday - Dämonen der VergangenheitWhere stories live. Discover now