32 ~ Temperatures

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»Was findest du eigentlich an Adam so toll? So besonders ist er nun auch nicht«, sagte ich zu Lina im Deutschunterricht.

»Er ist so süß und schlau. Du unterschätzt ihn total. Außerdem wäre es doch super, wenn ich deinen Bruder date und du meinen!« Den schlauen Part konnte ich noch nachvollziehen, aber süß fand ich Adam ganz und gar nicht. Mittlerweile kamen wir miteinander aus, aber am Anfang hatte ich ihn bloß als nervig empfunden. Immerhin war er aber begeistert gewesen von der Idee, dass ich ihn zu einem richtigen Dämonenjäger trainieren würde. Vielleicht war er ja doch gar nicht so langweilig, wie ich dachte.

»Erstens: Adam ist nicht mein Bruder, sondern bloß mein Stiefbruder. Und zweitens: Ich werde nie Jack daten. Ich habs verbockt.«

»Ach Monday, sag das doch nicht«, versuchte Lina mich zu beschwichtigen. »Jack hat mir erzählt, was gestern zwischen euch vorgefallen ist. Du musst ihm lediglich beweisen, dass du keine Gefühle für Jared hast. Und die hast du doch nicht, oder?« Wenn es doch bloß so wäre. Traurigkeit befiel mich, als ich daran dachte, dass ich etwas mit Jared angefangen hatte und Jack deswegen nichts mehr von mir wollte.

»Das ist es ja«, murmelte ich verzweifelt. »Ich weiß nicht, was ich für Jared fühle. Diese Temperaturen –«

»Lina und Monday!«, schrie unsere Deutschlehrerin dazwischen. »Wie oft soll ich euch noch sagen, dass ihr eure Gespräche nicht in meinem Unterricht führen sollt?« Ihr Gesicht lief rot an wie eine Tomate. Auch ich merkte, wie meine Wangen sich leicht röteten, aber nicht aus Wut, sondern vor Scham. Warum musste sie uns ständig vor der ganzen Klasse bloßstellen?

»Tut uns leid«, entschuldigte Lina sich bedrückt, bevor ich unserer Lehrerin antworten konnte. Am liebsten hätte ich mich beschwert, dass sie so mit uns redete, allerdings dachte ich an meinen Plan möglichst wenig aufzufallen. Allein, dass sie uns anschrie, erregte schon genug Aufmerksamkeit.

»Wenn ihr noch einen Pieps von euch gebt seid ihr draußen.« Sie wandte sich wieder ihrem eigentlichen Unterricht zu und erzählte irgendwas über ein Buch, welches ich nie gelesen hatte.

Einige Minuten folgten wir stumm den Unterricht.

»Was wolltest du eben zu den Temperaturen sagen?«, fragte Lina mich schließlich in leisem Ton.

»Bei Jared fühle ich immer diese Kälte, wenn wir uns berühren«, flüsterte ich zurück. »Eine angenehme Kälte. Und bei Jack spüre ich Hitze.«

»Temperaturen sind bei uns so etwas wie Gefühle, wie das Verliebtsein«, erklärte Lina. »Dämonen spüren sie als Anzeichen dafür, dass sie einen anderen Dämon oder auch Menschen, was allerdings sehr sehr selten passiert, lieben lernen können. Dass da mehr möglich ist. Dieser Glaube, dass Dämonen keine Gefühle haben, ist vollkommen irrsinnig. Auch wenn viele Dämonen davon vollkommen überzeugt sind. Hass zum Beispiel ist ein Gefühl, welches viele Dämonen nur allzu gut kennen.« Ja, diesen Hass hatte ich schon bei vielen Dämonen miterleben dürfen. Allerdings war mir nie in den Sinn gekommen, dass Hass auch ein Gefühl ist. Wie hatte ich das bloß übersehen können? Ich fühlte mich, als wäre ich mein ganzes Leben lang blind durch die Welt gestolpert und hatte Dämonen getötet, ohne zu wissen, dass auch Dämonen Gefühle haben konnten.

Ich merkte, wie wir vom Thema abschweiften. »Lina, die Temperaturen«, lenkte ich das Gespräch zurück. »Was weißt du noch über sie?«

»Naja, wenn du für Jack und Jared etwas spürst, wäre mit beiden etwas möglich. Das ist wirklich äußerst selten.«

»Was genau meinst du mit etwas wäre möglich?«, fragte ich.

»Nunja, eine Beziehung wäre möglich. Außerdem können Dämonen nur mit anderen Dämonen oder Menschen Kinder bekommen, wenn sie ihren Partner wirklich lieben. Dabei ist es egal, ob der Mensch sie auch liebt. Weißt du, diese Temperaturen können auch einseitig sein. Liebe tritt bei Dämonen allgemein nur extrem selten auf. Damit die Dämonen nicht aussterben passiert es oft, dass die Dämonen in einfache Menschenfamilien geboren werden. So wie Jared. Eigentlich sollten Menschen aber gar nicht diese Temperaturen spüren. Vielleicht spürst du sie trotzdem, weil du ein Dämonenjäger bist.«

»Dämonenjäger sind doch Menschen«, murmelte ich.

»Dann ist es mir echt ein Rätsel, warum du sie spürst. Jared ist damals auch aufgefallen, dass du eine Kälte für ihn spürst. Und zu uns meinte er, du würdest keine Temperatur für Jack spüren. Du willst gar nicht wissen, wie verzweifelt Jack deswegen war.« Ich erinnerte mich an einen Zeitpunkt, an dem ich bei Lina übernachtet hatte. Jack war mir gegenüber ohne ersichtlichen Grund kalt gegenüber getreten. Vielleicht war das der Zeitpunkt gewesen, an dem Jack ihm von den Temperaturen erzählt hatte. Das würde einiges erklären und es wäre auch ein Nachweis dafür, dass Jack tatsächlich etwas für mich empfand.

»Nunja, wegen deinen Kältegefühlen war Jared jedenfalls erst davon ausgegangen, dass du auch ein Dämon wärst«, fuhr Lina fort. »Aber einige Zeit später wusste er, dass du ein Dämonenjäger bist. Frag mich nicht, wie er darauf gekommen ist.« Lina notierte sich etwas in ihren Collegeblock, dann fragte sie: »Wenn du allein bist, was vermisst du dann mehr? Die Hitze von Jack oder die Kälte von Jared?«

Die Antwort war einfach. »Die Hitze«, erwiderte ich, vielleicht ein wenig zu laut, denn unsere Lehrerin kam auf unseren Tisch zu.

»Raus mit euch!«, rief sie in strengem Ton. »Diese Stunde wird bei euch beiden als unentschuldigte Fehlstunde eingetragen. Und sagt nicht ich hätte euch nicht gewarnt!« Wie dramatisch sie klingen musste. Vom Deutschunterricht ausgeschlossen zu werden war eindeutig nicht das Schlimmste, was mir passieren konnte. Auch wenn es unangenehm war, von ihr vor der ganzen Klasse zusammengeschrien zu werden. Am liebsten hätte ich sie zurück angeschnauzt, doch ich unterdrückte meine bissige Antwort und packte eilig meinen Collegeblock in meine Tasche.

Zusammen mit Lina verließ ich das Klassenzimmer. »Wenn du Jacks Hitze mehr vermisst, dann ist er eindeutig die bessere Wahl«, raunte sie mir noch im Rausgehen zu. »Eure Verbindung ist stärker.«

Monday - Dämonen der VergangenheitWhere stories live. Discover now