53 ~ Ein unerwarteter Besuch

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Mama ließ sich mit mir auf ihrem Schoß auf das Bett hinab. Ich schaute zu ihr hoch. Nun war ihr Gesicht leicht vom Mond beleuchtet, sodass ich ihre zarten Gesichtszüge erkennen konnte. Sie sah noch genauso aus wie vor ein paar Wochen, bevor Daddy sie aus dem Haus geschmissen hatte.

»Ich vermisse dich«, flüsterte ich.

Mama strich mir eine Haarsträhne aus meinem mit Tränen bedecktem Gesicht. »Ich dich auch«, erwiderte sie. »Es tut mir so leid, dass ich nicht früher kommen konnte.«

Aber das wir mir in diesem Moment egal. Ich war im hier und jetzt, glücklich dass sie endlich wieder bei mir war. »Verlass mich nie wieder«, murmelte ich und fügte, als sich Bedauern in ihrem Gesicht zeigte, ein leises »Bitte« hinzu.

»Ich wünschte, ich könnte bei dir bleiben«, meinte Mama. »Aber leider ist das nicht möglich. Tony würde mich nie bei dir bleiben lassen.«

»Evelyn ist schrecklich, ich will hier nicht bleiben. Bitte nimm mich mit, wenn du gehst.« Ich schaute sie flehend an, mit einem Blick, dem sie normalerweise nie widerstehen konnte.

»Bei mir bist du nicht sicher«, sagte Mama. »Die anderen Dämonen sind hinter mir her. Sie haben deine Schwester entführt und wenn sie wüssten, dass ich noch eine zweite Tochter habe... Ach, ich will gar nicht wissen, was sie dann mit dir machen würden.«

Ich starrte sie mit offenem Mund an. »Meine Schwester?«, war das einzige, was ich hervorbrachte. Wie konnte ich eine Schwester haben, ohne davon zu wissen? Ich hätte davon wissen müssen, oder etwa nicht?

»Deine Zwillingsschwester«, antwortete Mama. »Tuesday heißt sie. Nachdem dein Vater mich rausgeschmissen hat, habe ich sie aufgesucht, nur um zu schauen, wie es ihr geht. Einige Dämonen müssen mich, ohne dass ich es gemerkt hatte, verfolgt haben, denn als ich das nächste mal nach ihr guckte, war sie weg. Ich musste sichergehen, dass sie mir nicht mehr folgten, bevor ich dich besuchte, deswegen konnte ich nicht eher kommen. Bitte, Monday, pass auf dich auf und bleib bei deinem Vater.«

»Ich will aber zu dir«, jammerte ich und guckte sie flehend an.

»Du weißt doch, dass das nicht geht. Die anderen Dämonen suchen nach –« Sie stockte mitten in ihrem Satz, als wir von unten das Geräusch eines drehenden Schlüssels im Schlüsselloch wahrnahmen. »Dein Vater kommt nach Hause«, fuhr sie eilig fort und setzte mich auf dem Bett ab, doch ich ließ nicht los. Stattdessen krallte meine kleinen Finger mit aller Kraft an ihren Unterarm. Ich würde nicht noch einmal den Fehler machen, Mama gehen zu lassen. »Monday, du musst mich loslassen. Ich kann dich nicht mitnehmen und wenn dein Vater mich hier findet... Nunja, du weißt, was dann passiert.« Ich erinnerte mich an das letzte Mal, als ich Mama gesehen hatte. Vater hatte ihr gedroht, dass er sie umbringen würde, wenn er sie wieder in meiner Nähe erwischen würde.

Im Treppenhaus hörte ich die schweren Schritte von Daddy.

Mir kamen die Tränen. Ich wollte nicht, dass Mama ohne mich ging, aber die Vorstellung, dass sie meinetwegen sterben würde, war zu viel.

Ich wollte sie nicht loslassen, ich konnte es nicht.

»Monday, du musst mich loslassen.« Mamas Stimme war sanft, als sie mich erneut darum bat. Und schließlich gelang es mir. Langsam löste ich meinen Griff und sobald ich es getan hatte, sammelten sich neue Tränen in meinen Augen.

Durch die Tränen konnte ich nur verschwommen sehen, wie Mama mich dankbar anschaute. »Bitte versprich mir, dass du auf dich aufpasst«, sagte sie und gab mir einen Kuss auf die Stirn.

Dann schlich sie schnellen Schrittes auf Zehenspitzen zum Fenster und öffnete es. Bevor sie hinaussprang, drehte sie sich noch einmal zu mir um.

»Wenn es soweit ist, dann such deine Schwester«, sagte sie. Als Daddy meine Zimmertür öffnete, war sie schon verschwunden.


Meine Traumwelt verschwand. Das Bett, auf dem ich lag, löste sich in Luft auf, Dunkelheit legte sich um mich. Es fühlte sich an, als würde ich im Nichts schweben. Ich tastete mit meinen Armen um mich herum, doch berührte nichts. Eine leichte Panikwelle schwang in mir auf. Wo war ich? Was war passiert?

Eben war Mama noch bei mir gewesen und jetzt war ich hier, in pechschwarzer Dunkelheit. Mama hatte mir gesagt, dass ich eine Schwester habe, dass ich sie suchen sollte, wenn es soweit ist. Doch was hatte sie damit gemein? Wann wäre es soweit? Und wo sollte ich sie suchen? Ich wusste doch nicht einmal, wo Mama war, wie sollte ich dann eine Schwester finden, die ich noch nie gesehen hatte?

Tuesday, wie finde ich dich bloß?

Auf einmal begann wieder etwas Neues um mich herum zu materialisieren. Ein neuer Traum, nahm ich an.


Eine heiße Flüssigkeit umgab mich. Sie zog mich in die Tiefe, drang mir in den Mund, doch zu meinem Erstaunen ließ sie sich einatmen, fast so als wäre sie Luft. Es handelte sich um Lava, stellte ich fest. Welche Flüssigkeit sonst ermöglichte es einem Dämonen, ohne Probleme zu atmen?

Mit zügigen Armbewegungen schwamm ich durch die rot leuchtende Flüssigkeit. Es war ein wunderbares Gefühl, durch die seichte Flüssigkeit zu gleiten, ganz und gar umgeben von einer wohligen Wärme, welche meinen ganzen Körper erreichte.

Es dauerte nicht lange, bis ich mit meinem Kopf die Oberfläche durchdrang. Die Luft, die ich über der Flüssigkeit einatmete, wirkte beinahe kalt im Gegensatz zu der Lava.

Ich schaute mich um. Wenn ich von Lava träumte, dann würde Jack ganz sicher nicht fehlen. Schließlich war er derjenige, mit dem ich hatte in der Lava schwimmen wollen.

Doch die Person, die auf dem Gehweg saß, von wo aus sie ihre Beine in die Lava taumeln ließ, war nicht Jack.

Monday - Dämonen der VergangenheitWhere stories live. Discover now