52 ~ Monster in der Dunkelheit

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Wie so oft in letzter Zeit konnte ich nicht schlafen. Mein Zimmer war beinahe stockdunkel, lediglich ein schwacher Mondschein drang durch das gekippte Fenster und beleuchtete mein kleines Kinderbett.

Ich wickelte mich noch enger in meine Decke und zog sie mir bis zum Kinn, in der Hoffnung, dies würde mich vor den Monstern beschützen.

Wenn ich doch bloß endlich einschlafen würde... Doch ich war kein Kind, das schnell einschlief. Mama hatte immer gesagt, ich solle vorm Schlafen die Augen zumachen, dann würde ich schneller einschlafen, doch das konnte ich nicht. Stattdessen starrte ich mit weit geöffneten Augen in die dunkelsten Ecken meines Zimmers.

Auf einmal meinte ich, in der hintersten Ecke eine kleine Gestalt wahrzunehmen. Ein kalter Schauder fuhr mir über den Rücken. War ich nicht aufmerksam genug gewesen? Hatte es doch tatsächlich ein Monster geschafft, unbemerkt in mein Zimmer einzubrechen?

Es war so dunkel, dass ich die Gestalt nicht richtig wahrnehmen konnte und nun, da ich sie gesehen hatte, war erst recht nicht mehr an Schlaf zu denken, zumindest nicht, bis ich herausgefunden hatte, ob es sich dabei um ein Monster handelte. Obwohl ich es nur ungern tat, setzte ich mich auf und schlug die Decke beiseite. Ich zitterte leicht, als mich ein leichter Luftzug streifte. Vorsichtig setzte ich meine Füße auf den Boden und stand auf, ohne dabei die gruselige Gestalt in der Ecke aus den Augen zu lassen. Sie bewegte sich nicht.

Zu gerne hätte ich das Licht angemacht, jedoch wollte ich nicht riskieren, dass das Licht durch den Spalt unter meiner Zimmertür dringen und meine neue Mutter Evelyn darauf aufmerksam machen würde, dass ich noch wach war. Sie war streng und bestand immer darauf, dass ich vor acht Uhr im Bett war, ansonsten gab es Ärger. Daddy könnte mich heute, wie in so vielen Nächten, nicht vor ihr in Schutz nehmen, denn er war aus dem Haus. Er musste arbeiten, hatte er gesagt. Ich wusste, was das hieß: Dämonen jagen. Schon seit Wochen versuchte er mir beizubringen, wie man die Dämonenplage in unserer Stadt beseitigte. Silber half dagegen. Es machte sie verwundbar und schickte sie, wenn richtig angewendet, in die Hölle.

»Dämonen sind böse. Wir müssen sie töten. Es gibt keine andere Wahl«, sagte er mit immer wieder. Doch ich wusste es besser. Mama war nicht böse gewesen. Sie hatte mit mir gespielt und mir manchmal beim Einkaufen Süßigkeiten gekauft. Ich war mir sicher, dass sie nicht böse war und ich wollte nicht, dass sie sterben musste. Das hatte ich Daddy auch gesagt, aber er hörte nicht auf mich.

»Sie hat dir nicht ihr wahres Selbst gezeigt«, hatte er behauptet. »Sie ist sehr gefährlich, gemein und hinterhältig.«

Ich hatte ihm nicht geglaubt. Er war derjenige, der sie aus unserem Haus geschmissen hatte. Er hatte unsere Familie auseinandergerissen. Doch ich schwieg bis heute, denn ich wusste aus Erfahrung, dass Daddy stur war. Mit ihm konnte man nicht diskutieren.

Mit schnell klopfendem Herzen ging ich auf das Monster zu. Langsam setzte ich einen Fuß vor den anderen und probierte den auf dem ganzen Boden verteilten Spielzeugen auszuweichen, was mir nicht leicht fiel, da ich währenddessen so gut wie möglich die Gestalt zu beobachten versuchte.

Plötzlich stolperte ich über einen harten Gegenstand. Mein Körper fiel nach vorne. Verzweifelt ruderte ich mit den Armen, doch meine Reaktion kam zu spät. Ich landete der Länge nach auf dem Boden und schürfte mir die Knie auf. Urplötzlich kamen mir die Tränen und ich gab einen erstickten Laut von mir, aber nicht, weil es weh tat, sondern aus Schock. Ich hoffte, dass Evelyn mich nicht gehört hatte. Angespannt lauschte ich in die Stille, doch ich nahm keine eilig auf mein Zimmer zukommenden Schritte im Treppenhaus wahr. Sie hatte mich nicht gehört.

Ich strich mir mit dem Ärmel über mein feuchtes Gesicht und richtete mich auf. Die Gestalt befand sich noch immer an Ort und Stelle.

Ich beeilte mich, um zu ihr zu gelangen, wollte die Begegnung mit der Gestalt möglichst schnell hinter mich bringen. Als ich direkt vor ihr war, streckte ich vorsichtig meinen rechten Arm aus und berührte die dunkle Gestalt mit meinem Zeigefinger. Sie war weich und flauschig und fühlte sich definitiv nicht so an, wie ich mir ein Monster vorstellte. Was war das?

Als ich die Gestalt mit beiden Händen ertastete, erkannte ich sie endlich. Es handelte sich um niemand anderen als um Pluto, mein heißgeliebtes Kuscheltier, welcher beinahe so groß war wie ich.

»Warum bist du denn nicht im Bett?«, fragte ich ihn und packte ihn an seinem weichen Arm, um ihn zurückzutragen. Gerade, als ich dabei war, mich umzudrehen, hörte ich, wie die Klinke meiner Zimmertür heruntergedrückt wurde.

Daddy kam normalerweise erst viel später zurück. Das konnte nur eins bedeuten: Wir hatten einen Einbrecher im Haus und ich war alleine mit meiner Stiefmutter, die keine Ahnung von Notwehr hatte. Niemand war hier, um mich zu beschützen.

Versteck dich!, schrie meine innere Stimme.

Mein Blick huschte nach rechts zu meinem Kleiderschrank, doch der Weg war zu weit. Bis ich den erreicht hätte, wäre die Tür schon längst offen.

Ich taumelte zurück, Pluto in den Armen, und presste mich mit dem Rücken gegen die Wand. Schnell rutschte ich an ihr hinunter, zog mir die Knie an die Brust, versuchte, mich hinter Pluto zu verstecken, mich unsichtbar zu machen.

Mir stockte der Atem, als ich aus meiner kauernden Sitzposition beobachtete, wie die Tür sich öffnete. In dem Türrahmen konnte ich die Umrisse eines Menschen erkennen, jedoch nicht mehr, denn dafür war es zu dunkel.

Ich versuchte, mich noch kleiner zu machen, während die fremde Person durch mein Zimmer ging. Der Klang ihrer dumpfen Schritte auf dem Holzfußboden war alles, was ich hören konnte. Schließlich blieb die Person vor meinem Bett stehen und bückte sich. Ich konnte nicht sehen, was sie dort tat, doch dann unterbrach sie die Stille und sprach.

»Monday«, fragte sie leise. »Wo bist du?« Es dauerte nicht lange, bis ich die Stimme zuordnen konnte.

All die Anspannung verließ meinen Körper und eine Welle des Glücks durchfuhr mich.

»Mama!«, rief ich aus und rannte mit ausgebreiteten Armen auf sie zu. Sobald ich sie erreicht hatte, hob sie mich in die Lüfte empor und drückte mich an sich.

Ich vergrub mein Gesicht in ihrer Schulter, konnte es kaum fassen, dass sie hier war. Eine Reihe an Schluchzern überkam mich. Nachdem Daddy Mama aus dem Haus gejagt hatte, war ich davon ausgegangen, Mama nie wiederzusehen. Ich umarmte sie fester. Ich würde sie nie wieder loslassen.

Monday - Dämonen der VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt