38 ~ Blut und Tränen

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»Ach, halt's Maul«, fauchte ich Jared an.

»Habe ich mit dir geredet?«, fragte Jared und balancierte zu uns über die Brücke. »Nein, habe ich nicht, also warum antwortest du darauf?«

»Denkst du, mich nervt es nicht, wenn du vor meiner Nase über mich in der dritten Person redest?«, erwiderte ich genervt.

»Jared, wenn dir etwas mit Monday nicht passt, dann behalte bitte deine Gedanken bei dir«, warf Lina ein, welche mittlerweile bei uns im Raum angekommen war. »Komm, Monday, wir führen deine Bestimmung durch.« Sie nahm mich an die Hand und wir traten durch eine weitere Tür.

Hinter der Tür herrschte komplette Dunkelheit.

»So, ich änder jetzt meine Augenfarbe, um meine Nachtsicht zu erlangen. Erschrick dich nicht«, sagte Lina.

Kurz darauf sah ich neben mir ein blutrotes Augenpaar. Linas Dämonenaugen waren wunderschön, sie waren das Einzige, was ich in der Dunkelheit ausmachen konnte. Obwohl sie so stark leuchteten, konnte ich nichts anderes sehen. Nicht einmal Linas Gesichtszüge konnte ich ausmachen. Es war magisch.

Ich spürte, wie Lina meine Hand nahm.

»Um die Bestimmung zu vollbringen, benötigt man komplette Dunkelheit, ein Messer und einen Dämon der Stufe Eins, welcher die Bestimmung durchführt. Ich muss dir kurz in die Hand schneiden, sodass du blutest. Die Verbindung von deinem blutroten Blut und meinen blutroten Augen wird auslösen, dass du deine Dämonenaugen und deine Fähigkeit bekommst«, erklärte sie. »Bist du bereit?«

Ich hörte sehr oft Wörter mit Blut aus ihrer Erklärung hervor, das war nicht gerade beruhigend. Allerdings klang es nicht sehr gefährlich, wenn sie mich bloß schneiden musste, um meine Bestimmung durchzuführen. Ich hatte gedacht, das Ritual wäre weitaus komplizierter.

»Monday?«, fragte Lina. »Alles okay?«

Ich nickte. »Ich bin bereit«, sagte ich. Einige Sekunden später spürte ich einen ungewohnt starken Schmerz an meiner Hand. Mit dem Schmerz nahm ich auch gleichzeitig ein sehr helles Licht war. Langsam gewöhnten meine Augen sich an die Helligkeit und ich konnte Lina vor mir wahrnehmen.

Ich konnte in der Dunkelheit sehen, meine Bestimmung war geglückt.

»Und? Welche Stufe bin ich?«, fragte ich aufgeregt.

»Eine Eins«, sagte Lina. »Wow, Monday, du bist jetzt voll und ganz eine von uns!« Bevor ich wusste, wie mir geschah, zog sie mich in eine feste Umarmung.


»Oh, du bist eine Stufe Eins, ganz schön stark«, sagte Jack beeindruckt, als wir zu ihm und Jared zurückkehrten.

»Und was ist meine Begabung?«, fragte ich.

»Keine Ahnung«, erwiderte Lina.

»Ich dachte die Begabung wird mit der Bestimmung freigeschaltet«, murmelte ich.

»Freigeschaltet wird sie, aber dann musst du herausfinden, was deine Begabung ist.«

»Und wie mach ich das?«

»Wir könnten einen Dämonen aufsuchen, welcher Begabungen sehen kann«, erklärte Jack. »Allerdings wäre dann das Problem, dass der Dämon sich wundern würde, warum du deine Begabung nicht kennst, obwohl du schon deutlich älter als sieben Jahre alt bist. Das würde Verdacht erregen. Das heißt, du musst selbst ausprobieren.«

»Wie soll ich das denn ausprobieren?«, fragte ich verzweifelt. »Ich weiß doch nicht einmal, welche Begabungen es alles gibt, geschweige denn, wie diese Begabungen funktionieren.«

»Hast du denn gar nichts gelernt als Dämonenjäger?«, fragte Jared.

»Nur das Nötigste. Ich musste sie nur töten, da hat es mich nicht interessiert, was für Begabungen die haben.«

»Begabungen können wirklich gefährlich sein«, sagte Lina. »Manche Dämonen können mit ihren Begabungen töten oder haben dadurch eindeutig Vorteile einen zu töten. Wärst du einem von denen begegnet...«

»Sie ist doch schon einem begegnet«, warf Jack ein. »Erinnert ihr euch nicht mehr an den Dämonen, welcher sich unsichtbar machen konnte und zweimal versucht hat Monday umzubringen? Wenn Dämonen noch nicht ihre Begabung freigeschaltet haben, kommen sie nicht in die Hölle, wenn sie in der Menschenwelt sterben. Wäre Lina nicht gewesen, dann wärst du jetzt tot, Monday.«

»Lina?«, sagte ich verwirrt. »Ich dachte Jack hätte den Unsichtbaren ausgesaugt.«

»Mensch, Jack, warum verplapperst du dich?«, beschwerte Lina sich aufgebracht.

Für einen kurzen Moment war ich verwirrt, dann ging mir endlich ein Licht auf. »Ihr habt mich angelogen?«, fragte ich verletzt. »Ich dachte wir könnten uns gegenseitig vertrauen.«

»Ich habe den Unsichtbaren in die Hölle geschickt«, gab Lina leise zu. »Aber ich wollte nicht, dass du davon erfährst, weil ich das nur mit meiner Begabung geschafft habe. Und von meiner Begabung erzähle ich nicht jedem.«

»Nicht jedem?«, erwiderte ich. »Also bin ich nur irgendeine unbedeutende Person für dich?«

»Das meine ich doch gar nicht!«, rief Lina mit zitternder Stimme. »Ich hasse meine Begabung, Monday. Ich hasse es ein Dämon zu sein! Wäre ich doch nur ein Mensch...« Im nächsten Moment brach Lina in Tränen aus.

Noch nie hatte ich einen Dämonen weinen sehen, ich wusste gar nicht, dass das überhaupt möglich war. Und doch, hier stand ich, und sah, wie ein Dämon, der gleichzeitig meine beste Freundin war, weinte. Meinetwegen. Sofort bekam ich ein schlechtes Gewissen.

Tröstend nahm ich sie in den Arm. »Es tut mir leid, Lina«, sagte ich und nahm mir gleichzeitig vor, sie nie wieder über ihre Begabung auszufragen. Beruhigend strich ich ihr über die Haare und stellte mit einem Blick über die Schulter fest, dass die beiden Jungs bloß ein wenig unbeholfen neben uns standen, als wüssten sie nicht, was sie machen sollten.

»Schon okay«, schluchzte Lina. »Es ist nicht deine Schuld, dass ich ein Dämon bin.«

Aber es war meine Schuld, dass ich sie zum Weinen gebracht hatte.

Lina löste sich aus meiner Umarmung und wischte sich die Tränen aus ihrem Gesicht. »Wir sollten wieder nach Hause, unsere Eltern machen sich sicher schon Sorgen um uns«, sagte sie mit einem leichten Zittern in ihrer Stimme.

»Warum machen sie sich Sorgen?«, fragte ich. »Ich dachte, in der Hölle wäre es ungefährlich.«

Lina schwieg einige Sekunden bevor sie sprach.

»Nunja, wir haben ihnen erzählt, dass wir dich als Halbdämon mit zur Hölle nehmen«, erklärte sie schließlich. »Für Dämonen mag es ungefährlich sein, aber falls sie von deiner wahren Identität erfahren würden... Du weißt schon, sie wären nicht erfreut. Und solange du noch nicht deine Bestimmung hinter dir hattest, hätten sie dich noch umbringen können. Jared übernachtet bis morgen bei uns. Kommst du auch noch mit? Dann können wir auch anfangen, deine Fähigkeit herauszufinden.«

Ich dachte an meine »Familie«, welche allem Anschein nach überhaupt nicht meine Familie war. Evelyn war nur meine Stiefmutter und Norbert mein Stief-Stiefvater. Und Adam würde auch ein Wochenende ohne Training auskommen können.

»Klar, ich bin dabei«, erwiderte ich.

Monday - Dämonen der VergangenheitWhere stories live. Discover now