35. Corvin

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Nelly folgte mir. Ihre Wut heizte mir den Rücken ein und ließ meinen Körper vor Verlangen erwachen. Am liebsten würde ich mich umdrehen, sie einfach packen, gegen die nächste Wand drücken und leidenschaftlich küssen. Diese eine Woche war die reinste Qual gewesen. Selbst die Hölle kam mir dagegen wie ein Kinderspielplatz vor.

Ständig hatte ich ihren Geruch in meiner Nase, ihren Geschmack in meinen Mund oder ihr Bild vor meinem Auge. Auslöser dafür waren die kleinsten Dinge oder Gegebenheiten: der Anblick des Sessels in der Bibliothek, wo sie mir von ihrem Verlobten erzählt hatte; die Couch in meinem Wohnzimmer, wo wir uns ungestüm geliebt hatten; oder als sich die Tür meines Arbeitszimmers öffnete und eine wütende Caro hineingestürmt kam, um sich über Hektor zu beschweren. Nur, dass es nicht Caro war, sondern die kleine Hexe, die mir eine Scheuerte... Es war nicht zum Aushalten! Mich wunderts, dass ich überhaupt noch Haare auf den Kopf hatte, so oft, wie ich sie mir in letzter Zeit gerauft hatte.

So konnte es nicht mehr weiter gehen. Ich begann daher alle Orte zu meiden, die Erinnerungen mit Nelly verbanden. Begonnen habe ich mit meiner Wohnung, gefolgt von der Bibliothek. Mein Arbeitszimmer suchte ich nur noch auf, wenn Hektor druck machte. Sonst war ich hauptsächlich im Trainingsraum anzutreffen. Dort ließ ich so viel wie möglich Dampf ab. Trotzdem bekamen meine Untergebenen noch sehr viel meines Zornes zu spüren.

Und warum das alles? Nur wegen dieser verdammten kleinen Hexe mit dem mahagonifarbenen Haaren und den silbernen Augen, die in ihren schwarzen Klamotten dicht hinter mir lief.

Warum hatte ich nicht die ganze Aktion abgeblasen? Warum wollte ich sie so dringend umsetzen? Wäre es nicht leichter gewesen, einfach die Zeit abzusitzen und Nelly das Schwert auszuhändigen, wenn sie aus dem Packt entlassen wurden wäre? Warum tat ich mir das alles an?

In Gedanken versunken, öffnete ich mit Schwung das Eingangsportal und trat ins Freie. Kühle Abendluft schlug mir entgegen, doch ich nahm es kaum wahr.

„Ähm... Corvin, wo ist das Auto?"

Diese überraschende Frage ließ mich stehenbleiben und über die Schulter zurückschauen. „Wir fliegen."

Riesige silbergraue Augen starrten mich an. „Bitte was?!" rief Nelly aus. Aus ihrer Stimme war die Wut gewichen und hat der Angst Platz gemacht. „Falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte: ich habe keine Flügel!"

Meine Mundwinkel zuckten bei ihrer entsetzten Reaktion. Es viel mir in ihrer Gegenwart immer schwerer, die abweisende Maske weiter zu tragen. Schon als ich sie das erste Mal an diesem Abend gesehen hatte, war meine Wut verraucht, die ich die letzte Woche gegen sie gehegt und gepflegt hatte. Obwohl sie mich einfach sitzengelassen, mich zurückgewiesen hatte, wollte ich sie in meine Arme schließen und ihr vergeben. Vergeben?! Ich, ein Dämon, ein Höllenfürst wollte vergeben?! Man, die kleine Hexe setzte mir echt zu, verändert mich, weckt untypische Gefühle in mir.

„Du wirst auch nicht fliegen." Meinte ich nun. „Ich werde dich tragen."

„Nein!" Entsetzt wurden ihre Augen noch größer. „Nein, auf keinen Fall! Ich laufe!" Und schon stapfte sie an mir vorbei.

Erstaunt wanderte eine meiner Augenbrauen in die Höhe, während ich sie bei ihrem Abgang beobachtete. Ganz ungewollt – natürlich – wanderte mein Blick über ihren Rücken hinab zu ihrem Po. Hübscher Anblick.

Dann holte mich die Wirklichkeit wieder ein. Mit zwei schnellen Schritten versperrte ich ihr den Weg.

„Wohin willst du denn laufen?" fragte ich neugierig.

„Na zum Treffpunkt natürlich." Nelly verschränkte trotzig die Arme vor der Brust, hob stolz ihr Kinn und schaute mir unverwandt in die Augen.

„Und der wäre wo?"

„Ähm..." Unsicher schweifte ihr Blick umher, bevor sie mich wieder ansah. Seufzend stieß sie die Luft aus. „Keine Ahnung." Gab sie zerknirscht zu.

Erneut zuckten meine Mundwinkel. Schnell beugte ich mich vor, um das fast Lächeln zu verberge. „Schließ die Augen." Hauchte ich in ihr Ohr.

Sofort wich sie zurück, doch ihre Gänsehaut konnte sie nicht verbergen.

„Wieso?" Misstrauisch musterte sie mich.

„Mach's einfach."

„Vergiss es." Sie schob sich an mir vorbei und stapfte weiter Richtung Eingangstor. Konnte sie nicht einfach einmal das machen, was ich sage?! Am liebsten hätte ich mir die Haare gerauft, aber hier konnte mich jeder sehen und es als Schwäche auslegen.

„Du sollst mich nicht in meiner dämonischen Haut sehen."

Abrupt blieb die kleine Hexe stehen und drehte sich langsam zu mir um. Erstaunen lag in ihren Augen. „Sag das nochmal!"

Jetzt fuhr ich mir doch mit einer Hand durch meine schwarze, lockige Mähne.

„Du sollst mich nicht in meiner dämonischen Haut sehen." Wiederholte ich erneut meine Worte. Sie waren die reine Wahrheit. Mein ganzes Wesen sträubte sich dagegen, dass sie mich in meiner wahren Gestallt sah. Nicht, weil ich mich schützen wollte, sondern sie. Sie würde sich niemals damit abfinden können. Sie würde schreiend vor mir weglaufen, mich nie wieder ansehen wollen. Und das, würde ich nicht verkraften. Tief in meinem Inneren wusste ich, dass es mich zerstören würde, wenn sie mich angewidert anschauen beziehungsweise überhaupt keinen Blick mehr würdigte würde.

Lachen drang an meine Ohren. Reines weibliches Lachen. Verblüfft klappte mein Kinnlade nach unten. Die kleine Hexe lachte. Sie lachte über meine Worte und es berührte mich tief in meinem Herzen. Trotzdem verstand ich nicht den Grund dafür. Warum lachte sie gerade?

„Deine Sorge kommt etwas zu spät." Brachte sie luftjapsend heraus, während sie versuchte sich wieder zusammenzureißen. „Ich kenne dein dämonisches Aussehen. Zu gut sogar, wenn du mich fragst."

Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Meine Rückkehr aus der Hölle und die darauffolgenden Erlebnisse hatte ich total verdrängt. Dort hatte sie mich wirklich schon einer sehr genauen Musterung unterziehen können und trotzdem scheute ich immer noch davor zurück, mich zu wandeln. Aber warum? War ich so ein Feigling? Ich ein Höllenfürst? Auf keinen Fall! Ich ab mir einen Ruck. Na gut, wenn die kleine Hexe es so wollte...

Sobald ich meine Entscheidung getroffen hatte, schoss ein heißer, wohltuender Schmerz durch meine Wirbelsäule. Die Wellen breiteten sich durch meinen ganzen Körper aus, brachten mein Knochen zum Schmelzen und meine Haut zu brennen. Meine Muskeln krampften sich immer wieder zusammen, während mein Körper sich veränderte. Nach wenigen Sekunden war die Wandlung vollbracht. Jetzt stand ich in meiner ganzen Pracht vor der kleinen Hexe.

Während ich meine Flügel ordentlich auf meinem Rücken zusammenfaltete, beobachtete ich ihre Reaktion genau und was ich sah, verblüffte mich. Fasziniert nahm Nelly alles auf, was sie beobachtet hatte und nun sehen konnte. Sie kam sogar neugierig ein paar Schritte mit erhobener Hand auf mich zu, bis sie bemerkte, was sie da machte und mit errötenden Wangen schnell ihren Arm wieder sinken ließ.

„Du..." stotterte sie beschämt. „Du siehst gut aus."

Ein Stein viel mir vom Herzen, doch ich überspielte meine Erleichterung. „Können wir dann?"

Das leichte Nicken reichte mir als Antwort vollkommen aus. In dämonischer Geschwindigkeit hatte ich den Abstand zwischen uns überwunden, war in die Hocke gegangen und hatte ihr ihr je einen Arm unter die Kniee und oberen Rücken geschoben. Eine lauter Aufschrei erklang als ich die kleine Hexe ohne Vorwarnung hochhob, meine Flügel ausbreitete und mich in die Lüfte erhob.

„Mach die Augen zu. Der Gegenwind wird nicht gerade angenehm." Sagte ich ins Ohr der kleinen Hexe, die sich an meinen Hals klammerte und ihren Kopf an meiner Schulte vergraben hatte. Dann schoss ich in die Abenddämmerung hinaus in Richtung Übergabeort. Hoffentlich würde heute Abend alles gut gehen.

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Hey Leute, :)

dieses Buch neigt sich langsam dem Ende zu. Also nutzt die Chance und gebt mir ein Feedback. - Am besten sind Sterne. ;) Aber auch Kommentare lese ich gerne.

Eure MaSoFeh

Dämon - Höllisch VerhextWhere stories live. Discover now